Auch wenn viele Buchhandlungen seit diesem Montag wieder öffnen können, dürfte der Umsatz in den nächsten Wochen hinter dem normalen Level zurückbleiben. Was ist Ihre Empfehlung an Unternehmen, die jetzt dringend Liquidität brauchen?
Liquidität ist gerade landauf, landab das drängendste Problem für alle Unternehmen, ganz gleich aus welcher Branche. Günstige Kredite helfen hier nach meiner Einschätzung nicht weiter, weil sich die Betriebe damit nur weiter verschulden. Sehr charmant und vor allem unbürokratisch finde ich dagegen eine Idee, die der Ökonom Daniel Stelter in seinem Podcast "Beyond the obvious" vorgeschlagen hat: Die Finanzämter kennen den Jahresumsatz jedes einzelnen Unternehmens. Man könnte diesen Wert einfach durch zwölf teilen und Selbstständigen und Firmen das Geld überweisen, das sie in vier Lockdown-Wochen normalerweise umgesetzt hätten. Abgerechnet wird das dann mit der Steuererklärung, die ja dann ohnehin erfolgen muss.
Leider fand diese Idee bisher kein Gehör bei der Politik. Buchhandlungen und Verlagen bleibt deshalb nur übrig, sämtliche Kostenpositionen zu überprüfen und vor allem auch über die Themen sprechen, die bisher als Tabuzone galten. Und zu überlegen, was sie in der Krise für ihre Kunden tun können – so wie es der Buchhandel ja in den vergangenen Wochen beispielhaft mit dem Lieferservice vorgemacht hat.
Würden Sie Buchhandlungen und Verlagen dazu raten, die Zuschüsse aus den Soforthilfe-Programmen zu beantragen? Viele haben Angst, dass sie später für falsche Angaben belangt werden können…
Weil wir alle nicht wissen, wie es weitergeht, würde ich sagen: Jeder Euro hilft. Die Soforthilfe für Unternehmen mit bis zu 10 Mitarbeitern passt genau zur Größenordnung vieler Buchhandlungen und kleiner Verlage. Falsche Angaben sollten sie aber natürlich unter keinen Umständen machen.
Vorsichtig wäre ich, wie erwähnt, bei den Corona-Krediten der KfW, auch wenn sie zinslos sind. Denn Liquidität dadurch herzustellen, dass ich mich weiter verschulde: Hinter diese Strategie würde ich ein großes Fragezeichen setzen. Der Umsatz, der durch die Corona-Krise ausfällt, wird sich hinterher kaum nachholen lassen.
Ist Kurzarbeit bei den Personalkosten das Instrument der Stunde?
Das Kurzarbeitergeld ist eine gute Regelung, gerade auch nach dem vereinfachten Verfahren für die Corona-Krise. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob es wirklich sinnvoll ist, alle Mitarbeiter durch die Bank nach Hause zu schicken. Wer es sich leisten kann, sollte mit seinem Team lieber daran arbeiten, was sich aus der Corona-Krise für die Zeit danach lernen lässt. Vom Podcast bis zu Social-Media-Aktivitäten: Was kann dabei helfen, das Unternehmen attraktiver aufzustellen? Für solche Überlegungen bleibt im Tagesgeschäft normalerweise wenig Zeit. Gleichzeit macht gerade die Corona-Krise deutlich, wie wichtig digitale Strategien sind. Jetzt ist die Chance, die Kreativität der Mitarbeiter zu nutzen und an solchen Lernfeldern zu arbeiten.
Ein großer Kostenblock ist die Miete. Haben Einzelhändler im Moment eine gute Verhandlungsposition, weil Vermieter Sorge haben müssen, dass Leerstände durch die Corona-Krise zunehmen?
Ich denke schon, dass die Position der Einzelhändler dadurch gestärkt wird. Alle haben die möglichen Folgen vor Augen, gerade in Klein- und Mittelstädten dürfte die Zahl der Leerstände steigen. Ich würde meinem Vermieter offen und transparent darlegen, wie sich die Umsätze aktuell entwickeln – und dabei an das gemeinsame Interesse erinnern, dass der Laden vermietet bleibt. Ein guter Kompromiss für beide Seiten kann zum Beispiel sein, nur die Hälfte der Kaltmiete zu zahlen. Wenn das Geschäft wieder ganz rund läuft, kann man sich auf Nachzahlungen verständigen.
Wichtig ist ein persönliches Vertrauensverhältnis, denn ich habe auch schon von Vermietern gehört, die die Miete einfach früher eingezogen haben, um möglichen Ausfällen zuvor zu kommen. Pauschale Empfehlungen kann man hier also nicht geben. Bei Einkaufszentren und großen Immobiliengesellschaften werden kleinere Händler sicher schlechtere Karten haben als bei Vermietern, die sie persönlich kennen.
Corona trifft den Einzelhandel in einer ohnehin schon schwierigen Phase. Welche Buchhandlungen werden es durch die Krise schaffen – und welche vielleicht auch nicht?
Für mich gibt es dafür vor allem zwei Kriterien:
- Gute Chancen haben diejenigen, die ihr Geschäft schon heute konsequent an den Bedürfnissen und Wünschen ihrer Kunden ausrichten.
- Darüber hinaus gilt: Je anpassungsfähiger man ist und je schneller man Lösungen findet, um mit der Lage kreativ umzugehen – umso besser sind die Überlebenschancen.
Viele Buchhandlungen haben in den Lockdown-Wochen gezeigt, dass sie beides beherrschen und beherzigen. Für Unternehmen, die vorher schon Schwierigkeiten hatten, wirkt die Corona-Krise dagegen wie ein negativer Katalysator. Diese Geschäfte hätten sich vielleicht noch einige Zeit am Markt gehalten, werden durch die Corona-Krise vermutlich aber früher aufgeben.
Was können Buchhändler*innen und Verleger*innen für die Zukunft lernen?
Sie können sich zum Beispiel fragen, was Führung für sie bedeutet. Wie können sie ihre Mitarbeiter*innen ermächtigen, solche Krisenzeiten durchzustehen? Unternehmerinnen und Unternehmer müssen und sollten jetzt die ganze Kreativität, Loyalität und Verbundenheit ihrer Teams nutzen – um später voller Stolz sagen zu können: Wir haben das gemeinsam geschafft! Das strahlt auch auf die Kunden ab.
Corona wirft uns auf den eigentlichen Zweck unseres Handelns zurück. Es geht darum, passenden Lesestoff zu den Lesern zu bringen und diese Aufgabe auch in schwierigen Zeiten gut zu meistern. Geld damit zu verdienen, ist dann die logische Folge davon, das Richtige getan zu haben. Ich würde mir wünschen, dass wir uns alle diesen Wirkungszusammenhang wieder bewusst machen – auch für die Zeit nach Corona.
Apropos Führung: Verlage sammeln gerade umfangreiche Home-Office-Erfahrungen. Ist das gut?
Ja unbedingt, denn in vielen Unternehmen gab es vorher große Widerstände gegen das Home-Office. Das hat viel mit dem Menschenbild von Führungskräften zu tun, dem Misstrauen, dass das Team ohne Kontrolle von oben nicht richtig arbeitet. Durch den Lockdown sind alle dazu gezwungen, diese neuen Werkzeuge zu nutzen – und die Chefs sehen, dass es funktioniert. Ich warne allerdings davor, aus Kostengründen künftig alles ins Home-Office zu verlegen. Wir brauchen zwar mehr Flexibilität und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie - aber die Face-to-Face-Begegnung zwischen Menschen ist unverzichtbar. Kurzum: Die Zeiten sind spannend. Ich lerne gerade selbst ganz viel dazu.
Zur Person: Thomas Brinkmann ist Organisations- und Teamentwickler (www.brinkmann-consulting.de). Er war früher Vertriebsleiter bei Libri und zuvor für den Libri-Außendienst im Münchner Buchhandel und in Süd-Bayern unterwegs.