Analyse zur den März-Umsätzen im Sortimentsbuchhandel

Ein überwältigender Kraftakt

8. April 2020
Redaktion Börsenblatt
Der Umsatz im stationären Buchhandel ist im März um 30 Prozent eingebrochen. Das trifft Buchhandlungen und Verlage hart. Aber: Die Branche kämpft um jeden Euro. Eine Analyse von Christina Schulte, stellvertretende Chefredakteurin des Börsenblatts.

Mit dem Shutdown ist ein Worst-Case-Szenario für die deutschen Einzelhändler zur Realität geworden, das sich noch vor ein paar Monaten niemand hätte träumen lassen: Läden dicht, Hauptumsatzquelle trockengelegt.

Zahlen zum Umsatzeinbruch - und auch zu Umsatzspitzen - hat das Marktforschungsunternehmen media control erhoben, die Zahlen liegen dem Börsenblatt exklusiv vor. Die Zahlen für die Warengruppen sehen Sie in der Infografik

Der Buchhandel hat sofort versucht, sich mit den widrigen Umständen zu arrangieren. Die Buchhändler*innen haben ihr großes kreatives Potenzial dazu genutzt, ihre Geschäfte auch ohne Kundenkontakt in den Läden weiter zu betreiben, sei es nun über die sozialen Medien, die Webshops oder ausgeklügelte Lieferservices. Die Barsortimente haben mitgezogen und halten bis heute die Belieferung, wenn auch in geringerer Frequenz, aufrecht.

Für alle ist das ein überwältigender Kraftakt, der nicht lange durchgehalten werden kann, und ein wirtschaftlicher Spagat, der seinen Preis hat. Der verbleibende Umsatz, erwirtschaftet im Ausnahmezustand, ist mit einem riesigen Aufwand erkauft. Sei es mit hohen Kosten für maximale Arbeitszeiten derer, die nicht in Kurzarbeit sind, portofreier Lieferung an die Kunden oder mit einem aufwendigen Lieferservice. Dazu laufen fixe Kosten wie Miete, denen derzeit keine angemessene Leistung gegenübersteht, weiter.

In diesen Krisenzeiten stellt sich natürlich sofort die (Existenz-)Frage, welche Folge die gravierenden Umsatzausfälle und die erhöhten Kosten im betriebswirtschaftlich ohnehin auf Kante genähten Buchhandel haben. Das gilt nicht nur für die stationären Händler, sondern auch für etliche, vor allem kleinere Verlage. Sie wirtschaften ebenfalls überwiegend, bis auf einige größere oder sehr große Häuser, auf einer sehr dünnen Kapitaldecke. Und ausgerechnet im Bücherfrühling haben sie mit dem Problem zu kämpfen, dass ihre Novitäten nicht sichtbar sind, weil der stationäre Buchhandel als wichtiger Absatzweg und Schaufenster zum Kunden entfällt und Amazon derzeit andere Produkte priorisiert. Auch remittieren viele Buchhandlungen, so dass es sogar zu Negativ-Umsätzen bei den Verlagen kommt. Und: Verlage gewähren ihren Handelspartnern in der Krise verlängerte Zahlungsziele, was ihre Liquidität weiter unter Druck setzt.

In den wenigsten Fällen gibt es Reserven, auf die jetzt zurückgegriffen werden könnte. Bekanntermaßen leben Buchhändler*innen und Verlage mit prekären Betriebsergebnissen und von der Hand in den Mund. Da kommt es auf jeden Euro an. Große Abweichungen nach unten kann sich kaum jemand erlauben.

Nahezu alle Branchenteilnehmer schlagen sich jetzt erst einmal mit hilfsweisen Instrumenten wie Kurzarbeit, Soforthilfen des Bundes und der Länder, KfW-Darlehen oder Gesprächen mit den Vermietern herum. Ob das alles genügt, dass möglichst viele Verlags- und Buchhandelsunternehmen genug Atem schöpfen können, diesen Shutdown zu überstehen, ist noch offen. Zumal die Umsatzzahlen im April sich entweder größtenteils oder sogar ganz (je nachdem, wann, in welchem Umfang und mit welcher Geschwindigkeit die Wirtschaft wieder hochgefahren wird) aus der Shutdown-Situation speisen werden.

Dass die Buchhändler*innen und Verlage vor diesem Hintergrund dennoch unermüdlich um jeden Euro Umsatz kämpfen, belegt nicht nur ihre große Leidenschaft, sondern zeigt auch ihre Professionalität und ihren hohen Einsatz für die Welt der Bücher. Zugute kommen den Händlern hierbei ihre professionellen Onlineshops und ihre sehr enge Kundenbindung. Die jahrelange Pflege der Stammkunden wird nun zur Überlebenshilfe. Und: Der Buchhandel bekommt Unterstützung aus der Medienwelt. Selten ist in Zeitungen, Zeitschriften, Hörfunksendungen, im Fernsehen oder im Internet so häufig darauf hingewiesen worden, dass der Buchhandel vor Ort trotz geschlossener Ladentüren geöffnet hat und dort Bücher gekauft werden sollen. Dieses Echo wird nachhallen.

Man kann es auch anders formulieren, wenngleich das kein Trost sein mag: Sollte es dem Buchhandel, der in der Krise als eines der Best-practice-Beispiele voran geht, nicht gelingen, sein weitreichendes Netz und seine Vielfalt aufrecht zu erhalten – dann mag man sich nicht vorstellen, wie die Einzelhandelslandschaft insgesamt demnächst aussehen wird.

Diskutieren Sie mit: Wie wird der Buchhandel aus der Corona-Krise hervorgehen? Bleibt die jetzige Struktur erhalten? Schreiben Sie Ihre Einschätzungen direkt unter diesen Text.