Umsatzeinbruch bei Verlagen um bis zu 80 Prozent

Titelverschiebungen, Kurzarbeit und eine Portion Optimismus

31. März 2020
Redaktion Börsenblatt
Weil in diesen Wochen nicht jedes Buch seinen Interessenten erreicht und manche Lieferkette reißt, fahren viele Verlagshäuser nur noch auf Sicht. Titel werden verschoben, Kurzarbeit angeordnet, Druckaufträge zurückgezogen. Doch nicht überall. Bei manchen Playern überwiegt der Optimismus. Einschätzungen aus großen Verlagshäusern.      

Die ersten Meldungen über verschobene Erscheinungstermine und die verzögerte physische Auslieferung von Frühjahrstiteln waren ein Indiz dafür, dass in den Verlagen angesichts der Corona-Pandemie intensiv über eine Verzögerung der Auslieferung von Titeln und die Verschiebung ganzer Programmteile nachgedacht wird.

Von Berlin und Sachsen-Anhalt abgesehen, sind in 14 Bundesländern mindestens bis Ostern alle Buchhandlungen geschlossen, und der größte Online-Buchhändler Amazon kauft derzeit bei den Verlagen keine Bücher ein, weil er sich auf Waren des täglichen Bedarfs fokussiert, vorerst bis 5. April. Die Einbußen für Verlage und Buchhandel sind enorm: Unternehmen wie Bonnier Media sprechen von einem Umsatzeinbruch von 80 Prozent. In einigen Häusern wurde Kurzarbeit abgeordnet oder in Erwägung gezogen.

Suhrkamp hatte angekündigt, seine April-Titel zunächst als E-Book herauszubringen und erst im Juni physisch auszuliefern. Andere Verlage wie Hanser Berlin oder Zsolnay gaben bekannt, einzelne Titel zu verschieben, zum Teil bis in den September. Das hat in vielen Fällen natürlich Folgen für die weiteren Programme: Titel, die für den Herbst geplant sind, werden ins nächste Frühjahr rutschen.

Inzwischen haben viele große Verlagsgruppen, aber auch unabhängige Verlage den Programmumfang reduziert und die Erscheinungstermine gestreckt. Die Zahl der Novitäten dürfte also 2020 deutlich niedriger sein als in den Vorjahren – wie stark der Rückgang sein wird, lässt sich erst im kommenden Jahr genau feststellen.

Lendle: "Ab dem 1. April – leider kein Aprilscherz – sind wir alle in Kurzarbeit"

Hanser-Verleger Jo Lendle erwartet inhaltlich keine Auswirkungen auf die Programmplanung. "Was den Umfang angeht, ist uns wichtig, dem Handel schöne neue Bücher anbieten zu können, um die Menschen zurück in die Läden locken zu können, wenn die Situation sich normalisiert." Andererseits, so Lendle, wolle man die Möglichkeiten der Branche nicht überfordern. "Einen kleinen Schlag stecken wir schon alle ein. Konkret werden wir deshalb ein gutes Fünftel der bisher geplanten Herbst-Bücher ins kommende Frühjahr schieben. Ab dem 1. April – leider kein Aprilscherz – sind wir alle in Kurzarbeit."

Die Strategie, wie man mit den Beschränkungen durch die Corona-Krise umgeht, ist von Fall zu Fall verschieden. Christian Schumacher-Gebler, Geschäftsführer von Bonnier Media Deutschland, zu der die Verlage UllsteinPiperCarlsen und weitere gehören, bestätigt, dass viele der für April und Mai geplanten Novitäten später in diesem Jahr oder auch erst 2021 erscheinen. Grund dafür sei, dass „der Bezugsweg vom Verlag zum Interessenten weitgehend gekappt ist“. „Nachdem in vielen Bundesländern – wenn überhaupt – die Läden erst wieder nach Ostern geöffnet werden, und Amazon derzeit so gut wie keine physischen Bücher ausliefert, wären aktuell erscheinende Novitäten weder sichtbar noch vom Leser zu erwerben."

Schumacher-Gebler: Bücher müssen auch bei 80 Prozent Umsatzeinbruch gemacht werden

An den Herbstprogrammen wollen die Bonnier-Verlage hingegen mit wenigen Einschränkungen festhalten: "Ich teile mit unseren Verlagen die Hoffnung, dass wir ein halbwegs normales Herbst- und Weihnachtsgeschäft erleben werden. Folglich planen wir derzeit keine großen Titelreduzierungen für das zweite Halbjahr." Gewisse Abweichungen vom geplanten Programm seien allerdings möglich, da einige Frühjahrsnovitäten nach hinten rutschten und dafür ein Platz freigemacht werden müsse. Die Anzahl der Novitäten im zweiten Halbjahr werde trotz der Verschiebungen aus dem Frühjahr aber keinesfalls steigen. "Damit würden wir dem Buchhandel wie auch den Lesern – und letztlich auch den Autoren – keinen Gefallen erweisen."

Im Gegensatz zu Hanser sieht Schumacher-Gebler in Kurzarbeit keine echte Option: "Der Buchhandel benötigt auch für den stark reduzierten Umsatz Bücher. Und diese Bücher brauchen mehr oder weniger die gleiche Aufmerksamkeit der verschiedenen Abteilungen. Auch wenn der Umsatz um 80 Prozent einbricht, muss ein Titel übersetzt werden, benötigt ein Buchcover, braucht Metadaten für die Auffindbarkeit und will beworben, produziert und distribuiert werden." Die Bonnier-Verlage könnten daher das Instrument Kurzarbeit nur in geringem Umfan nutzen. „Wir haben also kaum die Möglichkeit, die Fixkosten zu senken. Und dieser Umstand belastet die Verlage erheblich“, so Schumacher-Gebler.

Kurzarbeit bei Buchdruckern

Der durch den Lockdown und den Abriss von Lieferketten verursachte Umsatzeinbruch sowie das verzögerte Erscheinen neuer Titel hat auch Folgen für die Herstellung. Druckaufträge werden storniert oder verschoben, Nachauflagen für die Backlist zurückgestellt. Olivier Maillard, CEO von CPI Deutschland, wozu unter anderen die Buchdruckbetriebe Clausen & Bosse und Ebner & Spiegel gehören, hatte in einem Brief an die Kunden die aktuelle Lage beschrieben: "Der Auftragseingang ist leider stark zurückgegangen. Aus diesem Grund müssen wir Kapazitäten durch Kurzarbeit abbauen."

Pfuhl: "Wir brauchen die Kollegen nach der Krise erst recht"

Auch bei den Holtzbrinck Buchverlagen werde intensiv über Kurzarbeit nachgedacht, so CEO Joerg Pfuhl: "Auch wenn die Situation schwierig ist, ist für mich sehr beeindruckend, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den einzelnen Häusern reagieren. In allen Unternehmen der Holtzbrinck Buchverlage wird besonnen und entschlossen zugleich gehandelt. Überall gibt es einen intensiven Austausch im Unternehmen – und auch mit den Autorinnen, Autoren, mit dem Buchhandel und anderen Geschäftspartnern. Wir denken derzeit intensiv über Kurzarbeit nach und sind dazu in Gesprächen mit Betriebsräten  und Belegschaften. Auch wenn das für uns alle Neuland bedeutet, ist Kurzarbeit ein gutes Instrument, um die nächsten Monate der Unsicherheit zu überbrücken. Denn wir wollen die Arbeitsfähigkeit sichern, die wirtschaftliche Stabilität erhalten und gleichzeitig die Arbeitsplätze sichern – wir brauchen unsere Kolleginnen und Kolleginnen in der Corona-Krise, und danach erst recht."

Siv Bublitz, Verlegerische Geschäftsführerin S. Fischer Verlage, sagt zur Frage der Verschiebung von Titeln: "Wir sehen uns jeden einzelnen Titel, den wir in diesem Jahr veröffentlichen wollen, genau an und prüfen, ob eine Verschiebung sinnvoll ist oder nicht. In dieser schwierigen Situation wollen wir die Buchhändlerinnen und Buchhändler nicht mit zu vielen Novitäten überfordern. Es gibt ganz unterschiedliche Gesichtspunkte, vom Charakter des Buchs über Aspekte des Textes bis hin zur Prognose der Medienresonanz. Außerdem loten wir aus, für welche und wie viele Titel ausreichend Vertriebsmöglichkeiten bestehen. All diese Aspekte gehen in unsere Entscheidungen ein, die wir natürlich in jedem einzelnen Fall mit der Autorin, mit dem Autor besprechen."

Man wolle für jedes einzelne Buch, auch unter diesen sehr schwierigen Bedingungen, das beste erreichen, so Bublitz. Deshalb müsse man Einzelfallentscheidungen treffen. Eine generelle Verschiebung brächte eine Häufung und Verdichtung der Erscheinungstermine im Herbst und im Frühjahr des nächsten Jahres mit sich. "Das wäre für den Handel und damit auch für Verlage, Autorinnen und Autoren problematisch", betont Bublitz.

Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise lassen sich derzeit nicht absehen. "Wir müssen derzeit auf Sicht fahren", sagt daher Rowohlt-Verleger Florian Illies. „Ein gutes Buch, das sich aufgrund der augenblicklichen Situation kaum noch verkaufen lässt, bleibt zwar ein gutes Buch. Damit ist aber weder Buchhandel noch Verlag geholfen, vor allem nicht den Autorinnen und Autoren. Aus diesem Grund stehen bei Rowohlt zahlreiche Titel auf dem Prüfstand, um sie in den Herbst oder auf 2021 zu verschieben.“
Welchen Umfang die Herbstprogramme von der Titelanzahl gesehen haben werden, kann Illies zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Dies hänge nicht zuletzt davon ab, ob und wann Verhältnisse eintreten werden, die es Handel und Verlagen erlauben, Bücher wie in der Vergangenheit zu verkaufen, Lesungen zu veranstalten und andere klassische Multiplikationsformen zu nutzen. „Noch stehen wir erst am Anfang einer tiefgreifenden Wirtschaftskrise, deren Dimension und Dauer wir noch nicht erahnen können.“

Rathnow: "Keine systematischen Titelverschiebungen"

Die größte deutsche Publikumsverlagsgruppe Random House habe bisher noch "keine systematischen Titelverschiebungen vorgenommen", so CEO Thomas Rathnow. "Wir sind der Meinung, dass es gerade in der aktuellen Situation auch Nachfrage nach neuen Büchern gibt, und versuchen, gemeinsam mit Händlern und Plattformen so kreativ wie möglich zu sein, um die Bücher und Geschichten, die gerade jetzt gefragt sind, auf allen erdenklichen Wegen zu den Leserinnen und Lesern zu bringen." Gleichzeitig werde aber Titel für Titel entschieden, ob und wie stark die Auslieferung einzelner Bücher reduziert wird, die ganz überwiegend auf die Präsenz im physischen Handel angewiesen sind.

Ob die Arbeitsleistung bei Random House heruntergefahren werden muss, ist noch offen. Man sei zwar im Verbund mit Bertelsmann gut aufgestellt, niemand könne aber absehen, wie lange die Krise anhalten wird. "Um die Arbeitsplätze und Einkommen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter langfristig zu sichern, prüfen wir derzeit alle Optionen, darunter auch die Möglichkeit von Kurzarbeit", so Rathnow. "Die Erfahrung gelebter Solidarität und Unterstützung innerhalb der Gesellschaft, in unserer Branche und insbesondere in unserer Verlagsgruppe stimmt mich jedoch trotz allem optimistisch."

Halff: "Wir müssen im Gespräch bleiben"

Carel Halff, CEO von Bastei Lübbe, hält von Programmverschiebungen nicht viel: "Nach intensiven Gesprächen mit Handelspartnern unterschiedlicher Größenordnung werden die Frühjahrsprogramme, von Einzeltiteln abgesehen, wie geplant ausgeliefert, zeitgleich physisch und digital. Damit reagiert Bastei Lübbe auf den Wunsch des Handels, ein stets aktuelles Programm vorzuhalten, um so sowohl den Wünschen der Leserinnen und Leser nachzukommen, die gerade in diesen Zeiten verstärkt nach neuen Inhalten, spannenden Stoffen suchen, als auch das eigene Webangebot so attraktiv wie möglich zu gestalten. Wir müssen als Branche und mit unserem Medium Buch kontinuierlich sichtbar, im Gespräch und spannend bleiben.“

Auch die Herbstprogramme der Lübbe-Verlage sollen, von Ausnahmen abgesehen, wie geplant und angekündigt kommen, so Halff. "Bis Herbst ist noch lange hin, und bis dahin sind auch die Buchhandlungen wieder geöffnet." Kurzarbeit hat der CEO noch nicht angemeldet, weil der Verlag derzeit sehr viel Arbeit habe. "Wir bauen mit großem Erfolg unsere Social-Media-Aktivitäten in Richtung der Leserinnen und Leser  aus. Vertrieb, Marketing und Presse arbeiten derzeit daran, ‚Gesprächsanlässe‘  auf allen denkbaren (sozialen) Kanälen zu schaffen, um Buch und Leser miteinander in Kontakt zu bringen – stets unter Einbezug des stationären Handels." Beeindruckend sei die Kreativität vieler Buchhändlerinnen und Buchhändler, so Halff. Dies könne man zum Beispiel an den zahllosen Posts unter dem hashtag #einlesezeichensetzen ablesen. "Das stimmt uns zuversichtlich, die Krise mit Kraft und Energie im engen Schulterschluss mit dem Handel bewältigen zu können."