Nina George über Wertschätzung und Wertschöpfung in der Buchbranche

Die Chance auf ein System-Update

30. März 2020
von Börsenblatt

Digitale Verwertung, Abhängigkeiten von Vertriebs- und Format-Monopolen, Untervergütung der Autor*innen - die Corona-Krise mache die Sollbruchstellen der Buchbranche deutlich, meint die Schriftstellerin Nina George. Nach der Corona-Ruptur müsse die Branche vor allem eins angehen: Ein grundlegendes Update des bisherigen Systems.

Diese Krise hat niemand geübt. Alle fahren auf Sicht. Und Sie alle haben meinen tiefen Respekt: Die Buchhändler­innen, die unermüdlich laufen, radeln, packen, mit dieser hartnäckigen „Jetzt-erst-Recht!“-Haltung. Die Autoren, die sich in den Online­netzwerken um die Literatur, die gute Laune, sogar um Neuerscheinungen ihrer weniger bekannten Kolleginnen bemühen. Die Verlagschefinnen, die Verantwortung übernehmen, für Feste, Freie, für Mieten, Kredite, nächste Schritte – und für ihre Autorinnen und Autoren.

All das wird nicht reichen. All unser Aktionismus wird nicht ersetzen, was wir nach dieser tiefen Ruptur angehen müssen: Ein grundlegendes Update des bisherigen Systems.

Für dieses »Danach« sollte unsere gemeinsame Aufgabe darin bestehen, die nun überdeutlich gewordenen Sollbruchstellen unserer Branche zu benennen. Und dann gründlich zu überarbeiten. Ob es um digitale Verwertung und die geringe Wert­schöpfung daraus geht, um immer hilfloser geduldete Abhängigkeiten von Vertriebs- und Format-Monopolen, und ich meine hier nicht nur das große A – und vor allem um die Art und Weise, wie wir Branchenbeteiligten miteinander weiter schaffen wollen.

Wertschätzung und Wertschöpfung

Die Kriegsgebiete der letzten Jahre sind bekannt. Es geht um Geld, um Umgang miteinander, um Wertschätzung und Wertschöpfung, um den Verlust von Mut zu anderen als nur marktgleitfähigen Inhalten; um Verträge, Zahlungsziele, Programme der Barsortimenter und Großhändler, um reichlich Verkantetes im Binnenverhältnis von Schaffenden und Verlegenden, und auch zwischen Buchhandlungen und Verlagen. Um gemeinsame Positionierung gegen die GAFAS dieser Welt und öffentlichen Institutionen, die sich zu gerne unsere Arbeit so günstig wie möglich nutzbar machen wollen, weil sie ebenfalls durch schwache Kulturpolitik keinen Etat haben für das, was jeder Gesellschaft doch so wichtig ist: Wissen und Kultur. Was jetzt im Shutdown an Buchwerken ge- und verbraucht wird, zeigt doch den Wert dessen, was wir tun. Wir sind Systemrelevant. Wir sind Überlebensrelevant.

Warum überleben wir das hier aber so schlecht?

 

Ein neuer Plot für die Buchbranche

Was ich uns zumuten will, ist ein Systemumbau. Der jene Fehler beseitigt, die uns gerade die Existenzen vernichten. Der Systemfehler der zu weit fortgeschrittenen Untervergütung der Autorinnen etwa: Durch gerechtere Vertrags- und Beteiligungsstrukturen, mit einem komplett neu aufgesetztem Normvertrag oder gemeinsamen Vergütungsregeln für jedes Genre, und einem Urhebervertragsrecht, das sich so durchsetzen lässt, ohne dass gleich Empörung ausbricht. Bei der Gelegenheit: Keinen Quatsch mehr mit aggressivem Preisdumping und Gratis-Aktionen, weil das angeblich Werbung sei. Ein E-Book ist ein Buch, erschließen wir uns also Wertschätzung – und auch Wertschöpfung: Entwerfen wir Verwertungsmodelle auf Portalen, die es bereits gibt, oder neuen, branchengerecht gebauten Plattformen, die es den bisherigen Monopolen nicht so furchtbar einfach machen, unwürdige Bedingungen von Flatrates und 60-Prozent-Rabatten zu diktieren – oder mal eben den Buchversand auszusetzen.

Reden wir darüber, wie regionale Stadtentwicklung aussehen muss, die die Buchhandlungen nachhaltig fördert, ansässige Autorinnen unterstützt und unabhängigen Verlagen ihre Finanzierungsaufgabe leichter macht. Reden wir darüber, wie der Staat die Kommunen und Bibliotheken mit einem erhöhten Haushalt aufstocken muss, wenn die Onleihe wirklich gerecht vergütet werden soll. Reden wir darüber, Selfpublishern Raum im Buchhandel zu geben und auch dadurch Monopole aufzulösen. Reden wir über Konkurrenz, Geldflüsse und wo wir uns gemeinsam anstatt gegeneinander aufstellen. Wir werden uns auch über unseren Tellerrand hinaus einsetzen müssen, wenn wir noch mal so etwas wie Lizenzgeschäfte in dem Literaturgerodetem Europa tätigen wollen; für einen niedrigschwelligen EU-Notfallfonds für Autorinnen und Übersetzer, beispielsweise. 

Die Chance dieser für jeden von uns lebensverändernden Ruptur ist, dass wir uns einen neuen Plot für die Buchbranche ausdenken. Aber diesmal einen, der funktioniert.

 

Die Schriftstellerin Nina George ist Präsidentin des European Writers‘ Council, das 150.000 Autoren und Autorinnen aus 41 Organisationen Europas repräsentiert.
europeanwriterscouncil.eu
ninageorge.de
 

 

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