Mit Handschuhen hinterm Tresen
Zwei Drittel des normalen Umsatzes macht Christiane Schulz-Rother derzeit noch in ihren Berliner Buchhandlungen, mit abnehmender Tendenz. Sie schätzt, dass er in der kommenden Woche auf ein Drittel sinkt. "Wir arbeiten viele Telefon- und Online-Bestellungen ab, was zeitintensiv ist", die Kunden bestellen noch sehr viel. Vor allem Vormittags kommen auch noch Kunden, aber weniger, 51 Bons verzeichnete sie etwa gestern in der Tegeler Bücherstube, bei Menger in Tempelhof im Süden der Stadt waren es so um die 60, deutlich mehr im Norden in Frohnau bei Haberland: "Das liegt daran, dass nebenan Butter-Lindner geöffnet hat." Ihre Buchhandlung im wenige Kilometer entfernten Glienicke hat sie schließen müssen – Glienicke liegt schon in Brandenburg. Von dort hat sie noch Rätselhefte, Lernhilfen und Beschäftigung abgezogen, denn nachordern will sie momentan nur mit Blick auf den genauen Bedarf.
Schulz-Rother ist froh, dass noch Kunden kommen, "das ist psychologisch für sie wie für uns nicht unwichtig." So kann sie das Geschäft noch über den März hin halten, ohne Kurzarbeit für ihre Mitarbeiterinnen zu beantragen - "und bei 60 Prozent des Netto-Gehalts wird es für die meisten mehr als eng." Wie verhalten sich die Kunden? "Wir haben Schilder aufgestellt, wo wir auf den nötigen Abstand hinweisen. Es verteilt sich, auch wenn es ältere Kunden gibt, die zunächst unerschrocken sind – aber dann gehen wir nochmal zwei Schritte zurück und dann verstehen sie es." Die Mitarbeiterinnen tragen Handschuhe, recherchiert wird nur noch hinterm Tresen, der den Abstand zu den Kunden garantiert. Schulz-Rother hat die Kolleginnen gezielt in Schichten aufgeteilt, so dass sie sich nicht begegnen.
Die Berliner Buchhandlungen hätten bei der Ausnahmegenehmigung spontan aufgeatmet und gefreut, sagt Johanna Hahn, Geschäftsführerin des Börsenverein-Landesverbands Berlin-Brandenburg. "Sie nehmen es mit den Hygiene-Vorschriften sehr genau und halten sich daran", weiß Hahn aus vielen Gesprächen und auch, dass die Kunden besonnen und sehr positiv reagierten: "Sie merken, welche soziale Funktion Bücher erfüllen." Als Reaktion auf die Krise hätten viele Berliner Buchhandlungen aber ihre Öffnungszeiten reduziert. Im Gegensatz zu den Berlinern sähen die Brandenburger Sortimente allerdings einer großen Existenzkrise entgegen: "Bei vielen kleineren Buchhandlungen gibt es keine hohen Rücklagen, das wird eng werden", merkt Hahn an.
Die Berliner Tageszeitungen fordern die Leser auf, den lokalen Buchhandel zu unterstützen. "Es muss nicht bei d Konzern bestellt werden, der hierzulande keine Steuern zahlt", meint etwa Cornelia Geißler in der "Berliner Zeitung" und: "Wenn es noch eines amtlichen Beweises bedurft hätte, Berlin hat ihn erbracht: Bücher sind Lebensmittel."
Wir hatten im Kollegium schon einige gute Pläne erarbeitet wie wir auch bei geschlossenen Läden voll für unsere Kunden da sein können, das ist aber finanziell nicht zu stemmen wenn wir vom Senat weiterhin als systemrelevant eingestuft werden. Ich persönlich fühle mich sehr im Stich gelassen und hoffe darauf dass es weitere Erlasse gibt die auch uns schützen.
Wenn die Gehälter im Buchhandel nicht so gering wären (ich selbst habe für 1000€ netto Vollzeit gearbeitet), dann würde KUG nicht so ein angsteinflößender Albtraum sein, sondern eine echte Überbrückung.
Wenn sich Berliner Buchhändler/Inhaber für ihre Angestellten interessieren würden, dann hätten sie nicht noch geöffnet.
Das gilt im Übrigen für alle Buchhandlungen Deutschlands, die am 17.3. "von einer Art Weinachtsgeschäft" und von "die Hölle los" gesprochen haben - man mag sich, trotz Abstand und Handschuhen, gar nicht ausmalen, wieviele Neuinfektionen das bedeutet haben könnte.
Wenn all ihre Angestellten in Gruppen und Scharen krank zu Hause liegen, dann nützen ihnen auch die Einnahmen von vor 2 Wochen nichts mehr.
Ich persönlich hoffe, dass meine Großeltern das überleben und meine Freunde, die im Supermarkt arbeiten, nicht zermalmt werden von gierigen und dreisten Menschen.
Ich liebe Bücher, sie sind wichtig, ich verkaufe sie von Herzen gern. Aber sie sind keine Medikamente und man kann sie nur im größten Notfall essen.
Es geht nicht um Panik, es geht um Eindämmung.
Wieviel Umsatz rechtfertigt die Angst meiner Mitarbeiter?