Zwischenbuchhandel

Preisbindung in Gefahr!

12. März 2020
Redaktion Börsenblatt
Libri-Chef Eckhard Südmersen sieht durch die Rabattpolitik der Verlage die Preisbindung in Gefahr. Im Interview spricht er über den Wunsch nach mehr Solidarität, harte Konditionenverhandlungen und die neuesten Entwicklungen in seinem Unternehmen.

Um Ihre Subventionen bei der Übernachtlieferung zu reduzieren, erhöhen Sie zum 1. April die Preise. Warum ist es für Sie so wichtig, an dieser Leistung festzuhalten?
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir aus Konsumentensicht denken müssen. Diese hat sich in den letzten fünf Jahren deutlich verändert. Die Amazonisierung ist sehr weit fortgeschritten und die Endkunden erwarten auch von ihrem Buchhändler das von den Onlineplattformen vorgegebene Liefertempo. Wir sorgen dafür, dass die Libri-Kunden sich in diesem Wettbewerb behaupten können. Man muss bedenken, dass in den Bücherwagendienst drei Partner investieren, die Verlage, die Buchhändler und das Barsortiment, und dass das alles andere als eine kostendeckende Leistung ist. Aber: Die Branche gönnt sich mit dem Bücherwagendienst keine besonders teure Logistik, sondern er ist immer noch die günstigste Alternative für den Buchhandel, günstiger als reguläre Marktangebote.

Was würde passieren, wenn man die Übernachtlieferung abschaffen und den Lieferrhythmus reduzieren würde?
Das hätte fatale Folgen für die gesamte Branche. Wir alle zusammen könnten die Erwartungen unserer Kunden nicht mehr erfüllen, was sich mittelfristig auf die Buchverkäufe und die Buchhandelslandschaft auswirken würde. Die Präsenz in Richtung Leser würde fehlen, denn jedes Schaufenster ist natürlich Werbung für das Buch. Wenn uns die Wettbewerbsfähigkeit des Sortiments und damit die kulturelle Vielfalt wichtig ist, müssen wir eben auch investieren.

In welcher Höhe bewegen sich die Transportkosten für den Buchhandel?
Sie liegen lediglich in der Größenordnung von einem bis zwei Prozent des Warenwerts, je nach Größe der Buchhandlung. Aber die Buchhändler sind das letzte Glied in der Kette und durch die Preisbindung in ihrer Gestaltungsmöglichkeit sehr eingeschränkt. Für mich ist es ein ganz zentraler Punkt, dass die Verlage die Endverbraucherpreise festlegen und damit automatisch die Verantwortung für die gesamte Prozesskette tragen. Dieses Argument fliegt aber geradezu an den Verlagen vorbei, sie nehmen ihre Verantwortung an dieser Stelle nicht wahr und reagieren mit Unverständnis und Erschrockenheit, wenn man sie darauf anspricht.

Sollten die Verlage bei den Bücher­preisen mutiger sein?
Auch bei dieser Frage muss man wieder beim Konsumenten anfangen. Bücher stehen mit anderen Unterhaltungs- und Bildungsmedien im Wettbewerb, und das Buch hinkt preislich weit hinterher, insofern gibt es noch Luft nach oben. Die Entwicklung der Ladenpreise hält nicht mit den steigenden Sach-, Personal- und Dienstleistungskosten mit. Und im Backlistbereich passiert so gut wie gar nichts. Nur wenige Verlage nehmen bei einer Neuauflage eine Preiserhöhung vor. Da wäre ebenfalls noch Potenzial.

Sie kritisieren die Verlage auch deswegen, weil sie aus Ihrer Sicht »Cherry Picking« betreiben und die Lager großer Buchhandlungen direkt anfahren, den Bücherwagendienst aber nur für unrentable Strecken nutzen. Wie sind die Reaktionen aus der Branche?
Mit einigen Verlagen habe ich bereits darüber gesprochen, bin aber mit meinem Vorschlag, dass wir gern alle ihre Büchersendungen transportieren möchten, auf glasklare Ablehnung gestoßen. Wie in diesem Fall jeder nur an sich denkt, das finde ich wirklich erschreckend. Hier ist eine gewisse Solidarität gefragt im Interesse aller.

Eine andere Variante wäre, den Bücherwagendienst gemeinsam zu betreiben und KNV und Umbreit ins Boot zu holen. Wie weit sind Sie mit diesen Überlegungen?
So ein Konstrukt ist generell denkbar, lässt sich aber nicht von heute auf morgen realisieren.

Der Buchhandel beklagt zurzeit vermehrt Rabattkürzungen der Verlage. Wie hart sind für Sie die Konditionengespräche mit den Verlagen?
Ganz simpel: Sie sind größtenteils komplett unbefriedigend. Besonders, und darüber ärgere ich mich sehr, ist das mit den Verlagen der Fall, die nicht substituierbare Titel im Programm haben. Bei solchen Gesprächen wird uns aufgezeigt, welche Investitionen die Verlage tätigen, um schließlich zu sagen: »Jetzt müssen wir euch die Rabatte kürzen.« Da kann ich nur fragen: »Wo ist hier die Verantwortung für die gesamte Wertschöpfungskette?« Hinzu kommt, dass größere Buchhandlungen von den Verlagen teils höhere Rabatte und Werbekostenzuschüsse für Platzierung und Beratung bekommen als wir. Das halte ich für sehr kritisch, weil das Preisbindungsgesetz nur als Ganzes funktionieren kann. Tut es das nicht, führt dieses Gebaren nur zu weiterer Konzentration und Marktbereinigung und hat somit den gegenteiligen Effekt. Insofern finde ich es ganz wesentlich, an der Präzisierung des Buchpreisbindungsgesetzes zu arbeiten, damit an dieser Stelle wieder Normalität einkehrt.

Die KNV-Insolvenz ist jetzt gut ein Jahr her. Haben Sie davon profitiert?
Nein, von vorübergehenden Zuwächsen abgesehen nicht. An der Stelle ist der Buchhandel sehr treu (lacht).

Im letzten Jahr wurden viele kleinere Buchhandlungen von Thalia und Osiander übernommen. Wie sehr trifft Sie die Konzentration im Handel?
Wir spüren sie natürlich auch, und das ist nicht zu unserer Freude. Aber wir halten dagegen, beispielsweise, indem wir eBuch und Nordbuch unterstützen. Beiden Kooperationen fühlen wir uns verbunden und stehen in einem regen Austausch mit ihnen. Zudem engagieren wir uns mit dem Libri.Campus in der buchhändlerischen Weiterbildung, die wir gemeinsam mit dem media­campus frankfurt mittlerweile zu einer ganzjährigen Seminarreihe ausgebaut haben. Außerdem bieten wir Seminare zu Existenzgründung und Nachfolge an. Ziel ist es, den Buchhändlern Methoden und Werkzeuge an die Hand zu geben, die sie auch zukünftig erfolgreich machen.

Seit 1. Februar bieten Sie einen Grundrabatt von nur noch zwölf Prozent auf Bücher, deren Ladenpreis unter fünf Euro liegt. Warum haben Sie sich zu diesem Schritt entschieden?
Zunächst einmal: Titel unter fünf Euro machen niemandem Spaß. Das gilt für die Buchhändler, die Verlage und für uns. Für die meisten Buchhandlungen stehen sie nur für ein Prozent des Umsatzes. Ich verstehe zwar die Emotionen, die wir mit dieser Entscheidung hervorgerufen haben, aber der wirtschaftliche Blick sollte hier überwiegen. Klar benutzen manche Buchhändler die Bücher zur Arrondierung ihres Sortiments. Für uns sind diese Titel aber nicht kostendeckend zu handeln: Katalogdatenerfassung und -pflege, Disposition, Wareneingang, Lagerung und Warenausgang sind mit der zu erwirtschaftenden Marge nicht zu bezahlen.

Weswegen Sie diese Bücher eigentlich nicht mehr führen wollten ...
Im Zuge der Lagerreduzierung wollten wir Ende letzten Jahres Niedrigpreis­artikel aus dem Sortiment nehmen. Aber auf Wunsch vieler Buchhändler haben wir uns entschieden, diese Titel weiter zu führen. Gleichzeitig hatten wir angekündigt, neu zu kalkulieren, damit wir die Vielfalt des Libri-Lagers wirtschaftlich gestalten können.

Dennoch: Sie haben Ihr Titelangebot von einer Million Titel auf 750 000 reduziert. Welcher Barsortiments­bestand ist aus Ihrer Sicht optimal?
Wir sind immer noch das Barsortiment mit dem mit Abstand größten Titel­angebot. Trotzdem müssen wir Kritik einstecken, das tut schon ein bisschen weh. Unser Ziel ist es, grundsätzlich all das zu führen, was unsere Buchhändler und die Leser nachfragen. Wir listen nahezu jede Neuerscheinung und kaufen sie nach allerbester Einschätzung unserer Disponenten oder nach Hinweisen des Verlags ein. Wenn sie sich dann wirklich nicht verkaufen, gehen sie aber auch wieder zurück. Das ist das ganz normale Handling. Wir alle, Buchhändler, Verlage und Barsortiment, haben ein Interesse daran, auch Titel, deren Abverkauf schleppend ist oder deren Entwicklung eine lange Zeit braucht, für die Endkunden sichtbar zu halten und bei Bedarf schnell verfügbar zu machen.

Ihre Vision ist es, aus einer Million über Nacht lieferbaren Titeln mittels Print-on-Demand fünf Millionen Titel über Nacht verfügbar zu machen. Der Bau Ihres neuen Print-on-Demand-Zentrums in Bad Hersfeld, in das Sie einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag investieren werden, ist gestartet. Damit Ihre Pläne aufgehen, müssen die Verlage mitziehen. Tun sie das?
Herausforderungen haben wir schon immer als Chance gesehen: Da das Titelangebot weiter wachsen wird, aber die Absätze je Titel sinken, ist die einzig wirtschaftliche und ökologisch sinnvolle Möglichkeit die kostenfreie digitale Lagerung aller Titel und die Just-in-­time-Herstellung, sobald sie nachgefragt werden. Dass sofortige Verfügbarkeit Absatz schafft, haben wir bewiesen. Mit unserem riesigen Hintergrundlager stellen wir den Buchhandel, insbesondere die stationären Sortimenter, auf nahezu die gleiche Stufe wie große Onlinehändler. Die Zufriedenheit der Kunden ist maßgebend. Unser Ziel ist es, dass fast alle Titel heute bestellt und morgen früh in der Buchhandlung sind. Mit der Methode, Bücher in Regalen zu lagern, werden wir die Zukunft des Geschäfts nicht aus­reichend unterstützen können. Die digitale Verfügbarkeit gibt den Verlagen Planungssicherheit und sorgt für Wirtschaftlichkeit. Titel, die sich nicht verkaufen, gehen zurück an den Verlag. Das wollen wir vermeiden, denn nicht umsonst heißt es: Hin und her macht Taschen leer.

Deshalb schieben Sie jetzt Ihr Projekt Plureos an den Start ...
Genau. BoD und Libri gehen nun den nächsten Schritt: Mit der Überführung der BoD-Produktion in die Libri-Logistik­abläufe schaffen wir unendliche Büchervielfalt. Diese gemeinsame Lösung trägt den Namen Plureos. Plureos besteht aus drei Säulen und steht für Vielfalt, Geschwindigkeit und Nachhaltigkeit. Wir sind davon überzeugt, dass wir ein langfristig tragfähiges Angebot unterbreiten, alle(!) Bücher unabhängig von ihrer aktuellen Lagerdrehzahl allen Kunden jederzeit zeigen und liefern zu können. Das ist natürlich für uns ein dickes Brett, das wir schon seit 20 Jahren bohren. Mehr als 3 000 Verlage, nationale und internationale, arbeiten mit uns zusammen, und es dürfen und sollen gern mehr werden. Kurzum: Wir erweitern das verlegerische Spektrum, fördern kulturelle Vielfalt und sorgen überall für eine immerwährende und sofortige Verfügbarkeit von Büchern.

Libri in Zahlen

Standort: Bad Hersfeld

Mitarbeiter: 850 feste Mitarbeiter*innen
(mit jeweils saisonalen Schwankungen)

Lagerfläche: 70 000 Quadratmeter

Fördertechnik: 20 Kilometer

Lagerbestand: Je nach Saison zwischen zehn und zwölf Millionen Exemplare

E-Books und Hörbücher: Mehr als zwei Millionen

Libri-Katalog: 95 Prozent des Bedarfs, auch einer Fachbuchhandlung, werden gedeckt

Lieferanten: knapp 9 000 Verlage aus Deutschland und der Welt

Anlieferadressen: rund 4 000

Bücherwagen (BOOXpress): 26 regionale Umschlagpunkte

White-Label-Shops: 1 300
(700 Libri.Shopline und 600 genialokal)

Quelle: Unternehmensangaben