Corona-bedingt wird 2020 das Jahr ohne Messen. Werden Aussteller und Besucher möglicherweise feststellen: Es geht auch ohne?
Über Jahrzehnte waren wir eine Gesellschaft in bewegtem Stillstand, veränderungsresistent. Was die Finanzkrise und Greta nicht geschafft haben, führt jetzt dazu, dass schrittweise das öffentliche Leben stillgelegt wird. Die Hamsterkäufe, die wir in den letzten Wochen beobachten, antizipieren auch das temporäre Ende des Hamsterrads. Wir richten uns – wie für ein verlängertes Weihnachtsfest – auf eine Zeit in der Familie ein. Aber das Weihnachtsfest lässt sich nur überstehen, weil sieben Tage später Silvester ist und dann die Korken wieder knallen. Meine Prognose ist, dass es im nächsten Jahr geradezu einen Heißhunger auf jedwede große Veranstaltung geben wird.
Business oder Erlebnis? Wie muss die Mischung bei einer Messe sein?
Die meisten Motive, die eine Messe erfüllt, sind emotionaler Natur. Dazu zählen der Wettbewerb, die Gegnerschaft mit den Konkurrenten auf engstem Raum, Zeigelust und Zeigestolz, Gemeinschaft erleben oder Austausch und Nähe. Die geschäftliche Seite kommt nur beim Waren- und Know-how-Transfer zum Tragen.
Die IAA schrumpft, die Cebit wurde eingestellt – geht der Trend vielleicht ohnehin zu kleineren Formaten?
Das sind natürliche Korrekturbewegungen. Die Messe befriedigt verschiedene Bedürfnisse. Ob und wie das gelingt, entscheidet nicht nur die Größe. Um etwa die Zeigelust zu befriedigen, braucht man ein möglichst großes Publikum. Austausch und Nähe, also die Begegnungsqualität, kann bei kleineren Events genauso gut erfüllt werden. Gemeinschaft erleben, das ozeanische Gefühl, in etwas Größerem aufzugehen, braucht eine gewisse Größe, kann aber auch in ein Gefühl der Verlorenheit und Selbstauflösung kippen, wenn die Messe zu sehr auswuchert und sich über endlose Hallen erstreckt. Ich glaube, die Corona-Zäsur wird dazu führen, dass alle Messeveranstalter ihre Konzepte noch einmal überdenken.
Nach der Absage der Leipziger Buchmesse entstanden in Windeseile jede Menge Ersatzveranstaltungen, virtuell im Netz, aber auch real an kleineren Schauplätzen. Ausnahme oder Regel?
Das scheint mir ein Phänomen der Buchbranche zu sein. Lesen an sich ist ein sehr autonomer, mitunter autistischer Prozess. Aber es gibt auch eine andere Seite, die etwa an der lit.Cologne zu beobachten ist, die es ja geschafft hat, die Intimität des Lesens in das Event eines Großereignisses zu transformieren. Es ist durchaus möglich, dass nicht nur Netflix in den nächsten Monaten boomt, sondern dass auch das Buch zum Trostmittel in der sozialen Fastenzeit wird.
Was lässt sich durch digitale Messen, für die die Technik ja immer ausgefeilter wird, ersetzen? Motive wie Zeigelust und Zeigestolz können auch im Netz befriedigt werden.
Das wird auch passieren. Unsere Studien im Handel und mit jungen Lesern zeigen allerdings: Je mehr Zeit die Menschen in digitalen Welten vor Computer, Smartphone, Laptop et cetera verbringen, desto größer wird die Sehnsucht nach dem analogen Leben, nach realen Begegnungen und Erlebnissen.
"Das mehr Menschen des Digitalen überdrüssig sind, lässt sich anhand des Freizeitphänomens names "Digital Detox", oder zu Deutsch "digitale Entschlackung", ablesen. Eine Bewegung, die sich bereits heute zum Megatrend entwickelt."
Je mehr wir uns im Digitalen bewegen, umso mehr wächst unsere Sehnsucht nach realer Kommunikation.