Leseförderung

Der Vorlesefriseur

28. Februar 2020
Redaktion Börsenblatt
Danny Beuerbach schneidet Haare. Wer ihm vorliest, erhält den Haarschnitt kostenlos. »Book a Look« ist kein Marketing-Gag, sondern Leseförderung

Danny Beuerbach rollt den Teppich aus, rückt den Hocker zurecht und klappert mit der Schere: Die Bühne ist bereitet. »Und dann passiert Magie«, stellt er selbst immer wieder staunend fest. Meist dauert es nicht lange, bis das erste Kind sich traut, Platz zu nehmen – mit einem Buch in der Hand. Den Haarschnitt gibt es nicht umsonst, sondern nur für eine ganz bestimmte Gegenleistung: Vorlesen. Während er mit Kamm und Schere hantiert, steigt das Kind in die Geschichte ein. »Ich finde es schön, wenn jemand gut vorlesen kann, aber korrigieren würde ich nie«, erklärt Beuerbach. Ihm geht es vor allem darum, das Selbstwertgefühl der Kinder zu stärken. Ihnen vielleicht sogar über den Vorleseerfolg aus einer Rolle herauszuhelfen, in die er selbst als Kind gedrängt wurde: »Ich bin lange als dumm abgestempelt worden, weil ich erst spät Lesen gelernt habe. Schöne Aufsätze konnte ich schreiben, die allerdings wegen der vielen Rechtschreibfehler nicht gewürdigt wurden«, erinnert er sich.

Vom Friseur zum Autor

Jetzt aber wird eine Geschichte von und über Danny Beuerbach veröffentlicht: Am 1. Januar ist sein Buch »Der magische Frisör« in der Ravensburger Erstlesereihe Leserabe erschienen, das sein Projekt »Book a Look« unterstützt. Für den Hairstylisten mit der unverwechselbaren Lockenpracht, die er seinen teils afro-puertoricanischen Wurzeln verdankt und die von Illustrator Patrick Wirbeleit wunderbar in Szene gesetzt wurde, war das bis vor Kurzem noch unvorstellbar.

»Book a Look« ist aus einer fixen Idee heraus entstanden. »Ich hatte mir vorgenommen, 2018 wieder mehr zu lesen«, berichtet Beuerbach, »aber zu Hause kam ich einfach nicht dazu.« Kurzerhand brachte er sein eingestaubtes Exemplar von »Der Alchimist« in den Münchner Frisörsalon mit, in dem er als Freelancer arbeitet, und bat seine Kunden, ihm während des Haareschneidens vorzulesen. Was als Spaß begann, wurde ein Riesenerfolg – erst recht, nachdem er auch seinen jungen Kundinnen und Kunden Lesestoff anbot. Einen enormen Auftrieb erhielt seine Idee durch seinen ersten offiziellen Auftritt als Vorlesefriseur bei Thalia in Hanau im April 2018. »Es sind Verlage aufmerksam geworden, die Türöffner für die Teilnahme an Buchmessen waren«, berichtet Beuerbach, der damit in eine für ihn völlig neue Welt eintauchte, unter anderem 2019 Juror beim bundesweiten Vorlesewettbewerb war. Wichtig ist ihm seine Unabhängigkeit. ­Leseexemplare für sein Non-Profit-Projekt sind ihm immer willkommen, als Werbeträger für Verlage will er sich aber nicht missverstanden wissen. »Ich habe viele Anfragen für Lesefestivals, Buchhandlungen und Messen. Aber ich will die Waage halten und vor allem Kinder in Vierteln, in Jugendzentren und Geflüchtetenheimen erreichen, in denen wenig Kohle ist und wo nicht gelesen wird. Sie locke ich mit einem Gratis-Haarschnitt an. Große Sachen mache ich, um das zu finanzieren«, stellt er klar. Um noch mehr Jungen und Mädchen zu solch einem Erfolgserlebnis zu verhelfen, wünscht er sich konkrete Unterstützung: »Ich brauche eine funktionierende Homepage«, sagt er, »und außerdem eine einfache App, die Vorlesefriseure in der Nähe anzeigt.« Denn sein weiteres Ziel ist es, möglichst viele Kolleginnen und Kollegen zum Mitmachen zu motivieren. »Dass es beim Friseur ganz regulär die Option gibt: Prozente gegen Vorlesen – das muss doch zu schaffen sein«, meint Beuerbach und setzt sich 1 000 Mitstreiter in einem Jahr zum Ziel.

 

Über »Book a Look«

Danny Beuerbach ist in Gelnhausen in Hessen aufgewachsen. Die Ausbildung zum Friseur brachte ihn mit 20 Jahren nach Frankfurt. Für das internationale Friseurunternehmen Tony & Guy war er anschließend weltweit tätig, auch als Ausbilder. Stationen waren unter anderem London, Schanghai, Hongkong und Guatemala. Seit 2013 lebt Beuerbach in München. 2017 hatte er die Idee, sich beim Frisieren von seinen Kunden aus Büchern vorlesen zu lassen. Daraus ist das Leseförderungsprojekt »Book a Look« entstanden. Besonders in Gegenden mit bildungsfernen Milieus animiert er Kinder zum Vorlesen: Wer ihm – und dem spontan zusammengekommenen Publikum – vorliest, erhält von ihm währenddessen einen Gratishaarschnitt.