Remissionsquote

Abverkaufsexpertise

27. Februar 2020
Redaktion Börsenblatt
Der Buchhändler Thomas Mahr hält seine Remissionsquote gern niedrig. Und ärgert sich darüber, dass einige Verlage ihre Vertreter dazu anhalten, mehr Bücher in seine Buchhandlung »reinzuverkaufen« als er braucht.

Das Weihnachtsgeschäft ist vergangen und das neue Jahr mit der Inventur eingeläutet. Für uns Buchhändler gilt es jetzt, die Regale wieder aufzufüllen. Die Verlagsvertreter kommen. Also werden wir abends und wochenendweise Verlagsprogramme durcharbeiten, um gut vorbereitet unsere Einkaufsentscheidungen zu treffen. Ach, wie würde ich mir wünschen, dass einmal ein Verantwortlicher aus einem der großen Verlagshäuser einen Sonntagnachmittag mit mir verbringt und wir gemeinsam Vorschauen wälzen!

Erstaunt würden wir gemeinsam feststellen, dass der Fantasielosigkeit keine Grenzen gesetzt sind. Es scheint, als gäbe es nur noch eine Handvoll Buchgestalter, die unisono allen Büchern ihr Cover verpassen. Wir würden in den vielen bunten Prospekten blättern und gar nicht wissen, ob wir gerade die Vorschau eines anspruchsvollen Literaturverlags vor uns haben oder die eines Boulevardverlags. Schlimm genug, dass die Bücher mittlerweile alle gleich aussehen. Wenn sich dann aber auch noch die Inhalte der Bücher zum Verwechseln ähneln, kommt je nach Stimmungslage Verzweiflung oder Langeweile auf.

Wie viele Doubletten braucht man im Regal? Nie war es so einfach, Bücher nicht einzukaufen. Verlagsvertreter wissen, dass es mir auch nach 36 Jahren unverbesserlichen Bücher­narrentums schwerfällt, einem neuen Buch nicht die Chance auf Leserschaft in unserer Buchhandlung zu geben. Aber bitte, liebe Verleger, springt nicht auf jeden fahrenden Zug auf, vor allem lasst das Abkupfern sein, seid kreativ. Schaut euch um in euren Archiven, da schlummern Schätze! Entwickelt, findet Neues, anstatt Trends hinterherzulaufen. Seid mal wieder mutig und schaut nicht immer nur auf Rentabilität und den sogenannten Kostendruck. Genug. Das soll hier keine Rundumschelte sein, denn es gibt ja viele kleine Verlage, die innovativ und mutig sind.

Schelte statt Lob

Auch bei den großen Verlagen gab es im vergangenen Jahr Bücher, für die sich der buchhändlerische Einsatz gelohnt hat und für die wir viele Leserinnen und Leser gefunden haben. Also: Umsatzsteigerung bei gleichbleibend niedriger Remissionsquote. Perfekt, dachte ich. Doch statt Lob bekamen »unsere« Verlagsvertreter von ihren Auftraggebern Schelte für unser gutes Ergebnis. Wie kann das sein? Ganz einfach: Die Vertriebschefs hätten gemeint, so die Vertreter, dass sie in unsere Buchhandlung mehr »reinverkaufen« müssten. Hätten wir diese Rückmeldung jetzt in der Frühjahrsrunde nur einmal bekommen, Schwamm drüber. Es waren aber gleich mehrere Vertreter, die unsere niedrige Remissionsquote rügten. Da frage ich mich doch, ob der Klimawandel in den großen ­Verlagshäusern noch nicht angekommen ist. Mal abgesehen davon, dass ich immer noch mitleidend auf die Bücher blicke, die bei uns auf dem Remi-Tisch liegen, ist es doch fatal, in diesen Zeiten nach dem Prinzip Versuch und Irrtum Bücher ins Sortiment zu pumpen. Auch wenn die Recyclingindustrie Nachschub zu brauchen scheint: Papiermüll gibt es genug, es müssen keine Bücher für den Reißwolf produziert werden.

Ich kenne meine Kundinnen und Kunden, ich weiß, welche Titel ich im Laden haben muss und welche überflüssig sind. Und ich halte meine Remissionsquote sehr gern niedrig. Statt ständig auf die Zahlen zu schauen, würde ich mir von den Verlagen wünschen, mal wieder die Inhalte in den Fokus zu stellen. Gerade jetzt, wo wieder junge Leser in die Buchhandlungen kommen und Antworten auf die großen und kom­plexen Fragen der Zeit in Büchern suchen.