Martina Bergmann über zu viel Meinung in ihrer Buchhandlung

Dieses ewige Gedröhne nervt

26. Februar 2020
Redaktion Börsenblatt

Martina Bergmann wehrt sich gegen die Dauersendung weltanschaulicher Positionen in ihrem Verkaufsraum. Individualmoral ist privat und gehört an den Küchentisch oder ins Ehebett, meint die Buchhändlerin und Autorin aus Borgholzhausen. 

Letzten Sommer habe ich die beiden Sofas aus der Buchhandlung geräumt. Eins war auf, das ging zum Sperrmüll. Und das zweite nahm ich mit nach Hause. Wir haben immer noch ausreichend Sitzplätze, aber es endete eine Praxis des Sprechens ohne Aufforderung und ohne Adressaten. Auf den Sofas fanden sich all die Personen ein, die grundsätzlich was zu sagen haben. Der Hausarzt meinte, in seinem Wartezimmer ginge es ähnlich zu. Aber da will ja auch niemand in Ruhe ein Buch aussuchen, kein anderer möchte sich zu seiner Bestellung erkundigen, und ich muss dort nicht das Telefon bedienen.

So schön es ist, wenn Menschen die Buchhandlung auf ihre je eigene Weise nutzen: Je weiter sich ihre Gebrauchsform von den eigentlichen Aufgaben hier entfernt, desto störender finde ich das. Ich verstehe als Grundfunktion der Firma die Versorgung mit Lesewaren, ergänzt durch Anregungen zum Austausch. Weder Postkarten noch andere Papeterie und auch kein freundliches Gespräch mit Kunden laufen dem zuwider. Aber die Dauersendung der weltanschaulichen Positionen - so viel Talkshow erträgt kein Einzelhandelsunternehmen, explizit auch keine Sortimentsbuchhandlung.

Individualmoral ist das Thema aller Monologe 

Wann ging das los, dieser Zwang sich zu bekennen? Erst 2015, als die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten kamen? Oder schon vorher, mit dem ersten Sarrazin? Mit Christian Wulffs privaten Schwierigkeiten, dem Lügenbaron im Verteidigungsministerium? Fukushima fällt mir ein, als eine Sensation. Aber das war weit weg, und so eine tatsächliche Katastrophe bietet wenig Raum für Individualmoral. Denn das ist ja das Thema all der Monologe. Es geht immer um Moral. Weitere Begriffe: Sitte, Anstand, das sich jeweils Gehörende oder irgendwem Zustehende. Es ist ein Sprachhandwerk aus der Mottenkiste, ausgegraben auf dem geistigen Dachboden.

Ich bin keine Zeitzeugin, aber meine Eltern sagen, der beste Fortschritt der letzten 50 Jahre bestand in Bildungsfreiheit und damit dem Zugriff auf Argumente, auf Gesprächsverhalten. Das leuchtet mir ein; ich erinnere mich, dass alle Kinder in meiner Grundschulklasse sich auszutauschen lernten - auch die, wo so etwas zu Hause weniger wichtig gefunden wurde. Ist das heute wieder schlechter? Wenn ich die jungen Kunden betrachte: Nein. Sie haben andere Themen, aber sie können darüber sprechen und akzeptieren begründete Widerworte. Sie äußern sich wertend nur insofern, als dass sie Rassismus und Frauenfeindlichkeit zum Kotzen finden.

Dieses ewige Gedröhne nervt

Und dann aber die Sprechenden auf meinen Sofas. Es ist, vom Alter und der Kaufkraft besehen, die besonders relevante Zielgruppe. Sie sind viele, und sie haben Geld. Sich mit denen anzulegen: Riskant, aber unumgänglich. Wir verkaufen hier eben keine Staubsauger, keine Funktionskleidung oder E-Bikes. Wir verkaufen Bücher, Inhalte, Argumente. Wir stehen für all das, was die Ware über Papier mit Einband hinaus besonders macht. Denn wären es nur Quader aus Papier, könnte man sie auch bei Edeka kaufen oder sich vom Datenkraken frei Haus liefern lassen.

Das Paradox: Wir haben als unabhängige Sortimenter kulturelle Relevanz und wirtschaftliche Berechtigung, weil wir sortieren, empfehlen, auch abraten und manchmal widersprechen. Deswegen sind wir Buchhändler und nicht ein weiteres Wartezimmer bis zum nächsten Aufruf. Wahrscheinlich muss ich es heute als eine buchhändlerische Grundfunktion begreifen, Monologe zu unterbrechen. Ich sage manchmal, bitte entschuldigen Sie, dass ich eine andere Position vertrete. Das irritiert, aber es erreicht akustisch alle und sinnhaft die meisten.

Hier muss keiner bekehrt werden

Der zweite Punkt, mit dem ich nur selten durchdringe: Ich meine, Individualmoral ist privat. Sie gehört nach Hause, an den Küchentisch, ins Ehebett. Was weiß ich wohin. Aber sie gehört nicht in meine Buchhandlung. Keiner muss hier bekehrt werden, weder zum Veganismus oder Hanfgerichten, noch zur Verehrung von beziehungsweise zum Hass auf Greta Thunberg. Man kann zu der pflegerischen Versorgungssituation vor Ort, zum muslimischen Kopftuch, zu den Vor- und Nachteilen des Bachelorstudiums, man kann überhaupt zu allem verschiedene Meinungen haben. Hass nicht, gegen keinen. Sämtliche anderen kulturellen Erscheinungen und Lebensmodelle möchte ich toleriert wissen - auch insofern, dass die überaus große Mehrheit liebenswerter Kunden ein Recht auf ungestörte Buchauswahl genießt. Dieses ewige Gedröhne nervt ja nicht nur mich, sondern auch die schweigende Mehrheit.

Liberale, aufgeklärte Öffentlichkeit gibt Möglichkeiten zum Gespräch und unterbindet Monologe. Das ist ein feiner Unterschied. Für eine Buchhandlung erscheint er mir in diesen Zeiten essentiell. 


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