Wolfgang Jöst kritisiert Libris Politik bei Niedrigpreistiteln

"Das ist schon ein dicker Hund"

10. Februar 2020
Redaktion Börsenblatt
Immer häufiger Meldenummer 17 und ein Grundrabatt, der nur knapp über 12 Prozent liegt - Wolfgang Jöst, Inhaber des Antiquariats Ubu in Bochum, kritisiert Libris Auslistungen und Rabattkürzungen bei Titeln unter 5 Euro. 

Mein Barsortiment beliefert mich kleinen Fisch nur zweimal in der Woche und schickt die Bücher per Post! Vor nicht so langer Zeit hatte es ein Foto von riesigen Lagerhallen auf seiner Webseite mit der Aufschrift: "Lager mit mit 1 Millionen über Nacht lieferbaren Titel und 10 Millionen Katalogartikeln." Das sieht man jetzt nur noch bei der wayback machine, es wurde vielleicht wegen der schlechten Sprache entfernt.

Außerdem zeigte das Foto eh nicht das eigene Lager. Jetzt steht da u.a.: "Wir bieten das größte Barsortiments-Angebot im deutschen Buchmarkt. Ab 2022 über 5 Mio. über Nacht lieferbare Titel. Wir bieten Ihnen gute Konditionen (hohe Taschenbuch-Rabatte, Bonus-Systeme, skontierbare Rechnungen etc.)." !!!

Seit etwa einem Jahr kriege ich bei meinen Bestellversuchen immer häufiger die Meldenummer 17 -  führen wir nicht beziehungsweise nicht mehr. Ich brauchte vergangene Woche mehrere Mayröcker-Titel von Suhrkamp - Meldenummer 17. Ich bestellte dann via Zeitfracht, und so schnell wäre auch das Barsortiment nicht gewesen, so schnell wie das Paket mit den Büchern da war. Dieser Tage: "Transzendentale Reflexion und Geschichte" von Karl-Otto Apel, ein suhrkamp taschenbuch wissenschaft (stw) von 2017 - Meldenummer 17 - auch schon da.

Und nun diese Mail vom Barsortiment mit zunächst einem Dementi der Meldungen in der Branchenpresse über eine weitgehende Auslistung von Artikeln mit niedrigen Preisen (unter 5,00 Euro), dann eine Schuldzuweisung an die Verlage, die entgegen dem Preisbindungsgesetz dem Zwischenbuchhandel nicht mehr den Höchstrabatt gewähren, gefolgt von einem Bekenntnis pro Buchhandel: "dass nur ein breit aufgestellter Katalog mit Büchern und Medien aller Kategorien geeignet ist, die Wünsche Ihrer Kunden zu bedienen und damit weiter die Attraktivität des Buchhandels vor Ort zu stärken."

Und dann "Daher möchten wir Ihrem berechtigten Wunsch nachkommen, diese Titel weiterhin zu führen, mussten dafür jedoch neu kalkulieren: Ab dem 1. Februar 2020 gilt bei Niedrigpreis-Artikeln mit einem Ladenpreis kleiner und gleich € 5,00 ein Grundrabatt von 12 %. Mit Hilfe dieser Änderung ist es uns in Zukunft weiter möglich, das größte über Nacht verfügbare Titelangebot im deutschen Buchmarkt für Sie am Lager vorrätig zu halten."

Das ist schon ein dicker Hund. Was sagt denn zum Beispiel Reclam dazu? Oder der Verlag der Hamburger Lesehefte? Sind das Verlage, die dem Barsortiment nicht den Höchstrabatt gewährten?  Müsste nicht auch berücksichtigt werden, dass der Buchhandel - allein schon wegen der Lieferkosten - sowieso schon darauf achtet, mehrere Titel gleichzeitig zu bestellen?  Und die sind dann, weil meist für diverse Kunden, auch aus diversen Preiskategorien. 

Für das Lager wurde doch beim Barsortiment traditionell kaum bestellt, dafür gab es doch Abschlüsse mit Verlagen, Vertreter- und Messebestellungen mit Reiserabatt, Partieexemplaren und längeren Zahlungszielen .

Und wie ist es jetzt beim Einkauf von eiligen Klassensätzen von 20 Stück und mehr von einem Billigtitel, wo doch zum Beispiel "Nathan der Weise" von Lessing pro Stück nur  2,20 oder 3,- Euro kostet ? Angeblich liefert Thalia die sogar einzeln noch portofrei aus! Schon mal von Staffelrabatt gehört ?

"Barsortimente bilden das Hintergrundlager des Bucheinzelhandels. Sie führen den größten Teil aller Titel der physischen deutschsprachigen Buchproduktion, mit denen sie im Durchschnitt 90 bis 98 Prozent des Bedarfs einer Sortimentsbuchhandlung abdecken. ... Auf diese Weise können die Buchhandlungen gebündelt, schnell (über Nacht) und kostengünstig alle Titel besorgen, die die Barsortimente auf Lager haben. Damit helfen die Barsortimente dem Buchhandel, seinen Besorgungsauftrag im Rahmen der Preisbindung zu erfüllen und entlasten die Verlage bzw. deren  Auslieferungen von der Ausführung kostspieliger Kleinbestellungen."

Tja, so steht das im letzten "ABC des Zwischenbuchhandels", das dringend überarbeitet werden müsste, wie auch die Wikipedia-Artikel zum Thema.

Hatte ein Barsortiment  nicht traditionell gerade darin einen wichtigen Teil seiner Seinsberechtigung, dass es nicht nur breit aufgestellt war, sondern auch billige Titel schnell liefern konnte? So neu ist die ganze Chose übrigens nicht. Vor etwa 40 Jahren schilderte Fritz J. Raddatz die Probleme unter dem Titel  "Wachstum in den Tod. Treibt die Gigantomanie Verlage und Buchhandel in den Ruin?"

Raddatz aus der Vergangenheit über Gegenwart und Zukunft: "Ist ein Titel im Barsortimentskatalog nicht aufgeführt – dann ist er aus der Welt der Bücher verschieden. Der Buchhändler kann den Titel nicht ermitteln, bestellen, liefern, verkaufen. Ein Leichnam aus Papier. Irgendwo im Verlag dämmert diese Ausgabe dem Reißwolf entgegen."

Wie sagte doch der Dichter lange vor America First damals kurz vor der Weltwirtschaftskrise: "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral!"

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