Martina Bergmann über Care-Arbeit

Wer schmiert die Schulbrote und schneidet Opa die Fußnägel?

31. Januar 2020
Redaktion Börsenblatt

Wer macht die unbezahlte Arbeit wenn Einzelhändlerinnen im Laden arbeiten? Und warum ist das unbezahlt? Wer unter weltanschaulichen Motiven über das Kochen und Putzen verhandeln möchte, sollte seine Haushaltshilfen zuallererst mal bei den Sozialversicherungsträgern anmelden und ihnen den Mindestlohn zahlen, meint Martina Bergmann, Buchhhändlerin aus Borgholzhausen.

Meine Kolumnenmanuskripte durchlaufen einen Elchtest im Handyladen. Ich will nicht sagen, dass sie sich dort für jede Einzelheit des Buchwesens interessieren. Aber die Testhörer können zuordnen, ob es sich um ein Phänomen des Landlebens, des Einkaufens oder um Literarisches handelt. Die Testhörer haben frühzeitig vor Anglizismen im Standortmarketing gewarnt. Sie wussten sofort, dass Buy Local hier nicht funktioniert. Die Testhörer verhalten sich skeptisch zu Akronymen. Dessen ungeachtet habe ich aber die WUB als etwas Gutes akzeptiert. Wir funktionieren als Redaktionssystem schon fast zehn Jahre. Einzelne Tester wurden ausgewechselt, andere kamen dazu. Allerdings immer Männer. Ich konnte vermuten, dass mein neues Thema sie anders beschäftigen würde als mich.

Es lautet: Care-Arbeit. Wer macht die unbezahlte Arbeit? Wer macht wann was, und warum ist das unbezahlt? Wenn einer bezahlen müsste, dass die Wäsche sich nicht von alleine bügelt, dass irgendwer Schulbrote schmiert und dem Opa die Fußnägel schneidet, wer wäre das? Die Gesellschaft als solche, also die Steuerzahler? Arbeitgeber, die eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn ermöglichen? Vermögende Menschen, die sich Angestellte organisieren, wie so ein großbürgerlicher Haushalt vor 90 oder 100 Jahren?

Man kann sich den Fragen des Alltags weltanschaulich nähern, also etwa feministisch. Ich finde das - persönliche Meinung - etwas überhöht, aber ich ignoriere nicht den Aufwand, den selbst mein relativ kleiner Haushalt bedeutet. Ein simples Beispiel: Inhaber und Angestellte von Einzelhandelsgeschäften haben nicht besonders viel Freizeit bei Tageslicht, und im Dunkeln kann man schlecht die Fenster putzen. Anderes Beispiel: Wir haben hier keine große Auswahl für unser Mittagessen. Wir können fußläufig Pizza kaufen, belegte Brötchen beim Bäcker holen oder an der Mikrowelle herumhantieren. Das ist alles nicht sehr attraktiv. Als ich den Testern einmal erzählte, was es nicht alles an Optionen gibt, in Städten, bei Firmen, machten sie ausnahmsweise keine Witze, sondern seufzten mit mir im Chor.

Es ging nie so weit, bei keinem von uns, dass wir dauerhaft gesundes Essen, etwa Schraubgläser mit Schichten, mitgebracht hätten. Ich war darin etwas ausdauernder, weil ich meine Biokiste leerverbrauchen musste, die ich aus Prinzipienreiterei für eine Weile unterhielt. Da sind im Winter allerdings nur Kartoffeln und Mohrrüben drin, die es auch bei Edeka gibt. Wenn man Kartoffeln und Mohrrüben nicht mehr am Ort kauft: Was dann?

Wir beredeten diese Fragen eine Weile, ließen den Begriff der Care-Arbeit bald hinter uns und waren auch eher unlustig, Haushaltsfragen grundsätzlich zu erörtern. Ein berechtigter Einwand gegen jede Politisierung: Alle beteiligten Männer kochen besseren Kaffee als ich.

Was bleibt? Die Erkenntnis, dass unsere Infrastruktur verbesserungswürdig ist, würde ich für trivial halten, hätte nicht gerade das Landwirtschaftsministerium in einer echt peinlichen Imagekampagne uns Dorfkinder in die lebensweltliche Puppenstube verbannt. Ich war kurz geneigt, mir eine Küchenschürze umzubinden und Fotografien mit einem bösartigen Hashtag digital zu verbreiten. Ich musste dann aber im echten Leben die Umsatzsteuervorerklärung abgeben, was kein geschlechterspezifisches Problem, sondern Organisationsaufwand ist.

Wieder: Keine Zeit für Care Arbeit-Diskussionen, deren Notwendigkeit sich mir erschließt, die ich aber in der ideologischen Vehemenz ermüdend finde. Ein mögliches Fazit: Würden alle, die privat gegen Entgelt arbeiten lassen, dies bei den Sozialversicherungsträgern anmelden und die entsprechenden Abgaben bezahlen, und würden alle in Haushalten beschäftigten Menschen wenigstens den Mindestlohn erhalten, der in Deutschland gerade gilt: Es wäre ein Anfang. Wir würden das als Arbeitgeber im Einzelhandel begrüßen, denn die sogenannten Pflegepolinnen, die vielen Paketboten und auch Vertragsarbeiter in der Industrie sind oft unwürdig arm. So etwas sehen Dorfkinder, und das ist ein erheblicheres Problem als Sushi zum Mittagessen. Diesen sozialen Elchtest sollte jede*r bestehen, der unter weltanschaulichen Motiven über das Kochen und Putzen verhandeln möchte.

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