Joseph Rheintaler zur Verlagförderung in Bayern

"Gewinnspiele sind etwas für den Rummel – wir brauchen eine kalkulierbare Lösung"

30. Januar 2020
Redaktion Börsenblatt
Im November 2019 hatte der Fürther Verleger Manfred Rothenberger einen Offenen Brief an den Freistaat Bayern initiiert und darin die mangelnde Förderung bayerischer Verlage beklagt. Als Reaktion hatte das Kulturministerium in einem "Call for Papers" Verlage aufgerufen, Verbesserungsvorschläge einzureichen. Das hat Joseph Reinthaler (homunculus) nun getan − und gleich ein Modell ausgearbeitet. Wir veröffentlichen seinen Text hier im Wortlaut.

Joseph Rheinthaler antwortet mit seinem Text "Förderung unabhängiger Verlage" auf den "Call for Papers" des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst. Dieses liegt auch unserer Redaktion vor. In einer Mail dazu schreibt Rheinthaler, der zu den Unterzeichnern des Offenen Briefes (siehe Archiv) gehörte: "In der Antwort war ich besonders um ehrliche Offenheit bemüht. Das Scheiden unseres bayerischen Kollegen, dem Unsichtbar Verlag [siehe Archiv], vor wenigen Tagen hat sicher dazu beigetragen, die Ansprüche und Notwendigkeiten so deutlich wie möglich zu formulieren − dies in der Hoffnung, auf Landesebene von der ersten Sekunde an die richtigen Ziele zu verfolgen."

Hier sein Paper im Wortlaut:

Die Untergrenze des Anspruchs

In einem Gespräch mit meinem sehr geschätzten Kollegen Manfred Metzner (Verlag Das Wunderhorn) fiel ein Satz, den wir als Credo unserer Arbeit an einer geeigneten Form von Verlagsförderung unbedingt voranstellen müssen: "Wir können nicht mit der Hoffnung wirtschaften, nächstes Jahr vielleicht einen Preis zu gewinnen." Wir wissen, dass Preise ein systemisch niedrigschwelliger Fördermechanismus sind, und in der momentanen Krise ist freilich jede Form der Förderung sehr willkommen. Dennoch sollten wir die Aufmerksamkeitsspanne der Öffentlichkeit unmittelbar und von der ersten Sekunde an nutzen, um zügig eine echte, den Umständen gerechte Lösung zu erarbeiten. Auf dem Weg dorthin dürfen wir schlichtweg keine Zeit verlieren und sollten nicht mit der Entwicklung von Prophylaxen Zeit, Fokus und Energie verschwenden.

Auf Bundesebene wurde 2019 ein Verlagspreis etabliert. Leider hat dieses erste Ergebnis mit dazu beigetragen, dass für viele sehr geschätzte Kolleg*innen nun lediglich vergleichbare Ergebnisse den äußersten Erwartungshorizont darstellen. Unser Anspruch muss aber sein, auf bayerischer Landesebene in der Urverantwortlichkeit hervorragender Kulturarbeit eine Vorbildlösung zu erarbeiten und zu etablieren, die unter Umständen sogar geeignet sein könnte, für andere Bundesländer und zukünftig auch für eventuelle Ansätze auf Bundesebene als Modellösung zu gelten. Ich bin überzeugt, dass dies erreichbar ist.

Die momentane Krise der unabhängigen Verlage trifft jeden Einzelnen von uns. "Wir sitzen alle im selben Boot – und dieses Boot sinkt!" Dies war das häufig vernehmbare Mantra, das wir unabhängigen Verleger*innen der öffentlichen Aufmerksamkeit überantwortet haben. Dieses Mantra trägt nicht den Geist innerer Konkurrenz innerhalb dieser Krise – und dies sollte auch der absolute Minimalanspruch für jede mögliche Lösung sein. So wie sich die momentan miserablen Rahmenbedingungen über jeden unabhängigen Verlag gleichermaßen ergießen, so muss es auch für jede Förderung gelten, die aufrichtig auf die Kernprobleme abzielen will. Gewinnspiele sind etwas für den Rummel – wir brauchen eine kalkulierbare Lösung, und wir dürfen in dieser Lösung nicht in Gewinner und Verlierer aufteilen. Und dies nicht zuletzt aufgrund eines fairen Wettbewerbsgedankens, der in einer Handelsbranche nötig ist.

Um den Punkt zusammenzufassen: Preise und Preismechanismen zeichnen sich durch ein Bewerbungsverfahren aus, das nicht den Bedarf, sondern das eigene Prestige im Blick hat, der regelmäßig Gegenstand der Bewerbungsunterlagen ist. Die Entscheidung erfolgt nicht durch irgendeine Form von transparenten Kriterien, sondern durch die Entscheidungsfindung mittels einer Jury. Die Verleihung erfolgt gewöhnlich im Rahmen eines Festakts. Für andere Zwecke mögen Mechanismen wie diese geeignet sein – für unsere Ansprüche sollten wir jeden Mechanismus meiden, der Vorgehen wie diese abbildet. Also Obacht! Oft werden exakt diese Mechanismen unter falschem Namen oder in neuer Verpackung gefordert. Meiden wir also nicht nur den Begriff, sondern auch alle ihm zugrundeliegenden Mechanismen.

Welche nicht verhandelbaren Ansprüche sollten wir bezüglich eines geeigneten Fördermechanismus mindestens haben? Ohne diese Frage zu beantworten, können wir schlichtweg nicht in einen zielgerichteten produktiven Prozess starten. Ich beantworte diese Kernfrage wie folgt: Wir unabhängigen Verleger*innen benötigen zwingend Fördermechanismen, die
 

  1. transparente Vergabekriterien beinhalten,
  2. Verteilungsgerechtigkeit anstreben und
  3. Planungssicherheit gewähren.

 
Punkt 1 liegt ein sehr einfacher demokratischer Anspruch zugrunde, Punkt 2 ein sehr grundlegender Fairness-Anspruch und Punkt 3 ist die unverzichtbare Minimalvoraussetzung für ordentliches Wirtschaften, eine absolute Schlüsselrolle bezüglich jedes kaufmännischen Handelns, von der Erstellung von Liquiditäts- und Finanzplänen bis hin zur Planung und Inanspruchnahme von Krediten etc.  


Der Standort Bayern im Wettbewerb und die Bubble Berlin

Bayern ist einer der wichtigsten Verlagsstandorte der BRD. Rund 340 "kleine" Verlage (mit einem Jahresumsatz bis 5 Mio. €) nennen Bayern ihre Heimat (Zahlen von 2017). Damit liegt Bayern auf Platz 2 hinter NRW mit rd. 410 Kleinverlagen. Berlin mitsamt Brandenburg kommt im Vergleich hierzu auf rd. 210 Kleinverlage. Bemerkenswert außerdem BaWü mit rd. 280 (Platz 3) und Hessen mit rd. 225 (Platz 4). 

22 der Preise des ersten deutschen Verlagspreises gingen nach Berlin. Lediglich 7 nach Bayern. Die besten Verlage sitzen nun mal in Berlin? Sicherlich ist Berlin die Heimat vieler großartiger Verlage und ein bedeutender Standort, und ich freue mich für meine Berliner Kolleg*innen, die Förderung ebenso nötig haben wie wir und diese auch völlig verdient zugesprochen bekamen. Aber meiner Meinung nach illustriert diese Statistik die besondere Notwendigkeit transparenter Vergabemechanismen, die unabhängig von aufmerksamkeitspolitischen Merkmalen funktionieren. Überhaupt würde eine Stärkung süddeutscher Verlage in der branchenpolitischen Arbeit der unabhängigen Verlage sicherlich guttun – auch den Vorstand der Kurt-Wolff-Stiftung stellen ausschließlich Berliner Verlage, deren Verleg*innen ich im Übrigen professionell wie persönlich ausgesprochen schätze. Voraussetzung für Aufmerksamkeit für unseren Standort ist eine Stärkung und die Ermöglichung bzw. Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit bayerischer Verlage an sich. Das funktioniert nur, wenn die dafür nötige Aufmerksamkeitspolitik im Unternehmen finanzierbar ist. 

Im Nachgang des Bundespreises hat Berlin seinen eigenen Landes-Verlagspreis übrigens wie folgt erhöht:  1 x 35.000 € Hauptpreis, 2 x 15.000 € Förderpreise, 3 x Anerkennung mit je 1.000 €.

Selbstverständlich sprechen wir Indie-Verleger*innen dies selten aus – vor allem wenn uns gemeinsame Probleme plagen wie momentan und uns allen das Wasser bis zum Hals steht. Aber selbstverständlich sind auch wir – trotz aller Geschlossenheit und Leidgenossenschaft – untereinander konkurrierende Betriebe. Der Markt schwindet und wird zunehmend schwieriger. Verlage, die einen der sechzig Deutschen Verlagspreise erhalten haben und evtl. noch Fördermittel auf Landesebene, haben in der Regel einen ganzen Batzen mehr für Marketing und die persönliche Aufmerksamkeitspolitik gegenüber Kunden und Handel zur Verfügung als es im Schnitt für bayerische Verlage auch nur annähernd realistisch erreichbar scheint. Wir brauchen ein gutes Modell schon allein zum Nachteilsausgleich und um weiter konkurrenzfähig im innerdeutschen Wettbewerb zu bleiben.

Wir sind deutschlandweit einer der wichtigsten Verlagsstandorte (übrigens auch was Großverlage anbelangt) – das spürt man momentan leider politisch nicht sehr.  


Rechtliche Rahmenbedingungen

Mithilfe von Prof. Dr. Christian Sprang, Justiziar des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V., und dem externen Berater RA Dr. Wiland Tresselt konnten wir die rechtlichen Rahmenbedingungen abstecken, in welchen die Fördermöglichkeiten für unabhängige Verlage stattfinden müssen. Wichtig dabei ist, dass jede Zuwendung im Verlagswesen grundsätzlich beihilferelevant ist (EU-Recht). Zuwendungen können durch die EU vom Beihilfeverbot befreit werden (gemäß Art. 107 Abs. 3 lit. d) AEUV). Nach Aussage Dr. Tresselts geht die "EU-Kommission […] hier überwiegend pragmatisch vor und erklärt die Kulturförderung regelmäßig für zulässig. […]

In der Praxis werden von den zuständigen staatlichen Behörden überwiegend Förderprogramme für den Kultursektor aufgesetzt, die zunächst bei der EU-Kommission notifiziert und nach positivem Bescheid aktiviert werden. Das Kultusministerium kann also ein entsprechendes Förderprogramm für Verlage aufsetzen, muss dieses allerdings zunächst bei der EU-Kommission notifizieren." 

Das wäre der lange Weg, der nach Möglichkeit parallel zu zügig umsetzbaren Fördermechanismen dennoch auf den Weg gebracht werden sollte. Den Rahmen, in welchem wir uns bereits kurzfristig frei bewegen können, legt dabei die De-Meminimis-Verordnung fest, die übrigens – meines Wissens nach – auch den Verlagspreis berührt.

Die Schranken des Wettbewerbsrechts, wie oben beschreiben, sind erst ab einer Förderhöhe von 200.000 € pro Unternehmen in einem Zeitraum von 3-Jahren relevant. Die De-Minimis-Verordnung (Bagatellförderung) sieht jede Förderhöhe darunter als per se nicht wettbewerbsverzerrend an. Ob dies nur nicht-notifizierte Mittel meint, muss noch abgeklärt werden.

Dies bedeutet, dass jeder Verlag (in Summe!) pro Jahr 66.666 € Fördermittel erhalten darf, die das Wettbewerbsrecht nicht im Geringsten berühren. Der Vergabemechanismus bleibt davon völlig unberührt. 

Wie immer liegt es am Unternehmen selbst, dafür Sorge zu tragen, dass es keine wettbewerbsrechtlichen Verstöße begeht – d.h. die Verantwortung für die Buchführung über zugesprochene Fördermittel liegt selbstverständlich dabei beim Verlag selbst. Er hat Sorge zu tragen, dass die Fördermittel nicht 200.000 € pro 3-Jahres-Zeitraum übersteigen. 

In diesem Rahmen dürfte kurzfristig genug Handlungsspielraum zu finden sein. Im Falle einer Notifizierung könnte die Fördersumme schlichtweg nach oben angepasst werden.


Ein System finden

In Absprache mit meinem Kollegen Manfred Metzner, der auf der Landesebene in BaWü momentan die Entwicklung geeigneter Fördermechanismen anstößt, möchte ich ein Modell vorstellen, das nicht zuletzt seine Inspiration auch aus den Kulturfördermechanismen der EU selbst hat. Ein recht einfacher Weg der Förderung dürfte über das Modell der Projektförderung führen. Die Verwirklichung von Buchprojekten ist ein ständig präsenter Posten im Verlagsgeschäft und die Grundlage unseres Wirtschaftens und unseres Umsatzes. Ein ständig zu knapper Posten hingegen ist das Marketingbudget. Sprechen wir es offen aus: Die Verlage befinden sich momentan nicht in Schräglage, weil der Schreibtisch zu alt ist, sondern weil es immer schwieriger finanzierbar wird, Literatur zu verlegen; d.h. zu veröffentlichen, zu vermarkten und zu verbreiten. Im Zeitalter überquellender Medienkonkurrenz ist die dringend benötigte Aufmerksamkeitspolitik für dringend benötigten Umsatz immer schwieriger zu gewährleisten.

Und all jenen, die anbringen, sie hätten gerne Fördermittel ohne Verwendungszweck, ist problemlos entgegenzuhalten: Geld zeichnet sich durch seine Fungibilität aus. Für den Tausender, der im Druck gefördert und gespart wird, lässt sich auch gut ein neuer Schreibtisch kaufen.

Wir wären mit Projektförderung nahe an Autor*in und Werk, und die Fördergelder würden sich zielgenau auf jene Objekte unseres „Creative Business“ (wie man neudeutsch sagt) richten, um die es eigentlich geht und mit denen unser Dasein als Verlegerschaft steht und fällt. 

Wie auch immer die Vergabekriterien aussehen mögen – die Vergabe muss zwingend algorithmisch erfolgen, und nicht nach thumbs-up-thumbs-down-Entscheidung. Spezielle EU-Vergabekriterien kenne ich z.B. als reine Punkteberechnung. Um die Verteilungsgerechtigkeit sicherzustellen, könnte eine Berechnungsgrundlage auch die bereits empfangenen Fördergelder miteinbeziehen.

Die Strukturfördermechanismen sollten für alle Verlage nutzbar sein, die professionell arbeiten (erkennbar an der Partizipation der wichtigsten Branchenorgane wie z.B. dem Börsenverein des deutschen Buchhandels) und außerdem konzernunabhängig sind. Als Obergrenze der Förderwürdigkeit schlagen wir 5.000.000 € Jahresumsatz vor – diese Obergrenze gilt auch für die Mitgliedschaft im Freundeskreis der Kurt-Wolf-Stiftung, dem Interessensverband unabhängiger Verlage. Deutlich niedriger sollte die Grenze auf keinen Fall gewählt werden, da wir sonst ausschließlich unabhängige Verlage treffen, die nebenberuflich geführt werden – und das kann nicht das Ziel sein.

Die zur Verfügung gestellten Fördermittel müssen diesen relevanten Raum an Unternehmensgrößen abbilden und geeignet sein, eine Mehrheit an bayerischen Verlagsprojekten jährlich zu fördern. Um es ganz direkt zu sagen: Echte Strukturförderung bedeutet, den Bedarf eines jeden Verlags mindestens jährlich anzuerkennen und abzudecken. Denkbar sind auch halbjährliche Rhythmen, die im Groben den Veröffentlichungsrhythmen der Branche entsprechen. 

Vielleicht können wir ein süddeutsches Modell schaffen, das bald zur Allgemeingültigkeit taugt. Ich glaube fest daran. Um Kollegen Björn Bedey zu zitieren: "Von kaum einem anderen Kulturbereich werde erwartet, dass er sich ohne Unterstützung wirtschaftlich trage." Im deutschen Sprachraum sind wir mit der BRD absolutes Schlusslicht – und Bayern, das wirtschaftsstärkste Bundesland, momentan innerhalb der BRD außerdem. Die Wahrheit ist: Ein weiteres Kriterium ist zwingend notwendig für die Möglichkeit einer bayerischen Verlagsförderung: Sie muss bald geschehen. Welches System wir auch zuletzt etablieren werden – 2021 sollte es bereits gelten und nutzbar sein.  

 
Was passiert mit dem Bayerischen Kleinverlagspreis?

Der Bayerische (Klein-)Verlagspreis ist ein schönes Mittel punktueller Aufmerksamkeit und Würdigung besonderer Leistungen. Solange das Siegertreppchen klein bleibt, ist der Preis eine gute Möglichkeit, jedes Jahr einen anderen Verlag in den Fokus zu stellen und seine Arbeit ritualisiert zu würdigen. Dafür ist ein Preis geeignet – und in diesem Rahmen erfüllt er seinen Zweck als Würdigung – punktuell und nicht inflationär. Für alle anderen Anliegen eignen sich ausschließlich andere Mechanismen.

Die punktuelle Würdigung einzelner Branchenteilnehmer wird für die Ganzheit der bayerischen Verlage keine kalkulierbare Auswirkung haben und auch keine regelmäßig erreichbare Fördermöglichkeit darstellen. Wie immer dieser Preis weiterhin gestaltet sein wird: Wir sind sicher, dass für die Einrichtung oder Umstrukturierung eines Verlagspreises nicht die Expertise der Bayerischen Verlage nötig sein wird. Für den Moment sollten wir uns zwingend auf eine zweckmäßige Fördermöglichkeit konzentrieren.  

 
Wem wird geholfen?

Der letzte Punkt betrifft die Rhetorik im Rahmen der aktuellen Diskussionen. Es sind nicht wir Verleger*innen, die hilfsbedürftig sind. Es ist die Bibliodiversität, die deutsche literarische Kultur, eine Kultur der Vielfalt der Stimmen und des Worts. 

Es geht nicht um unseren Geldbeutel, sondern darum: Wenn es nicht mehr weitergeht, dann hören wir auf. Wir werden unsere Brötchen dann irgendwie anders verdienen – macht euch um uns keine Sorgen. Macht euch um euch, um uns alle Sorgen, wenn es soweit ist – dann haben wir, vollalphabetisierte Gesellschaft, die wir sind, keine literarische Vielfalt mehr, die zum Bild gewordenen Rezepturen unserer Sprache, die doch der Tonfall und die Farbe unseres ganzen Denkens ist, keine Widerworte mehr. Helft euch selbst!

Der Mensch kann sich nur so weit denken, wie er sich selbst verstanden hat; und sich selbst verstehen kann er nur, soweit er Sprache dafür hat, sich zu formulieren; die Grenzen des Denkens kann er nur sprengen, soweit er seine Grenzen des Sprechens sprengen kann, und die sprengt nur die Literatur allein. Die Literatur ist der unverzichtbare Nährboden einer demokratischen Gesellschaft, die sich mittels Sprache verständigt, davon ihr Weltverständnis und ebenso ihre Diskurse ableitet und bestreitet. Und wir können nie verzichten auf jene, die vorleben und vor-lesen, wie weit die Grenzen unserer Rhetorik und deren konservatorische Form, der Verschriftlichung, reichen. Das ist es, was sich die Gesellschaft erkaufen sollte und dringend muss – neben allerlei Unfug, der sonst noch ohne mit der Wimper zu zucken erkauft wird. Sie rettet damit nicht die Verlegerin/den Verleger (… und wenn sie nicht gestorben sind etc. etc. etc.). Sie erkauft sich unverzichtbar weite Grenzen der eigenen kulturellen Schöpfungshöhe und ddie eigene Befähigung, diese weiter aufzusprengen.

Was wäre je dringender von Nöten gewesen?
 
 
Ihr Joseph Reinthaler, homunculus verlag