Kolumne von Martina Bergmann

Luxus, nicht Leberwurst

15. November 2019
Redaktion Börsenblatt
Auf ihrer Lesereise durch bisher 25 Orte hat die Buchhändlerin und Autorin Martina Bergmann beobachtet, dass die sozialen Erwartungen an den Buchhandel ein schwindelerregendes Niveau erreicht haben. Ihr Rat an die Kollegen: Aufwand und Risiko für Veranstaltungen auf mehrere Schultern zu verteilen.

Ich war auf Lesereise, bisher an 25 Orten. Das hatten wir anfangs nicht vorgesehen, die Verlegerin und ich zögerten sogar, überhaupt Termine anzubieten. Autorenlesungen mit nicht so bekannten Leuten können sehr zäh sein, das weiß ich selbst nur zu gut. Aber nun war ich eben unterwegs, Provinz meistens oder doch wenigstens die Vorstadt, weil meine Geschichte nicht urban ist. Oder weil Städter unter mehr Angeboten wählen können und deswegen nicht so gern an Lesungen teilnehmen. So oder so: Ich war überall da, wo nicht die U-Bahn fährt. Und es war voll, es war häufig sogar ausverkauft. Das liegt nicht an mir, siehe oben: Unbekannte Autoren sind kein Selbstläufer.

Ich muss mich bei den Veranstaltern bedanken, ausnahmslos gute Programmmacher. Ob es sich dabei um Buchhandlungen, Bibliotheken oder andere mit der öffentlichen Kultur befasste Einrichtungen handelt, scheint nachrangig. Das Publikum geht gern dorthin, wo es willkommen ist, gut sitzt und ein Getränk erhält. Bücher und ihre Autoren erfüllen eine soziale Funktion, wie sie sonst vielleicht nur noch der Mode zukommt. Das ist zunächst eine gute Nachricht für den Einzelhandel mit Lesewaren. Oder? Die ernüchternde Betrachtung von der anderen Seite: Es ist dem Publikum egal, wo und auf wessen Einladung Autoren auftreten. Kunden erwarten am Veranstaltungsort einen Büchertisch. Aber ob die Person an der Kasse auch das Risiko trägt, beschäftigt sie nach meinem Eindruck nicht.

Die weitreichendere Beobachtung: Überall da, wo ich Kollegen länger als auf einen Händedruck begegnete, räumten sie ein, der Druck sei immens. Es scheint mir nicht, es handelte sich um ökonomische Not. Aber dieser vielfältige und kreative Buchbetrieb ist aufwändig. Einen Laden organisieren, mit all dem Alltagszeug (Glühbirnen, Tesafilm, Regenschirmständer, Kundenklo), mit Mitarbeitern, die sich hoffentlich untereinander mögen und gern Bücher lesen, das Sortiment inhaltlich im Blick behalten und dann eben auch noch Lesungen veranstalten: Das ist ein heftiger Job, mental und von der Zeit. Über Caterings für Einschließer, selbstgebackenen Kuchen und Vorlesen für den guten Zweck will ich gar nicht reden. Leseförderung, Engagement in der Kaufmannschaft, Karitatives. Ich finde, die sozialen Erwartungen an den Buchhandel haben ein schwindelerregend hohes Niveau erreicht.

Man könnte sagen, wieso, ist doch schön, wenn man gut angesehen ist. Ja, einerseits. Menschen sind soziale Wesen, und ich gehe unter anderem deshalb jeden Morgen gern in meine Buchhandlung. Egal, wie sehr ich mich manchmal über dies und das ärgere - ich kann auch nach vielen Jahren Einzelhandel Menschen noch gut leiden. Aber mir ist eine eigenartige Verschiebung aufgefallen, sowohl in Borgholzhausen als auch auf der Lesereise. Ich habe nämlich den Eindruck, das Besondere sei zur Voraussetzung geworden: Veranstaltungen, Kulinarisches, der hohe individuelle Zeitaufwand: Wissen die Kunden noch, dass all dies kostbar ist und eben keine Selbstverständlichkeit? Ich habe manchmal den Eindruck, nein. Die Gleichung lautete eigentlich darauf, dass Buchhändler sich gern mit Freizeit (Kuchen, Büchertische, Lesungen) erkenntlich zeigen, weil viele Kunden noch mehr Bücher gekauft haben. All das Schöne war eine Art Bonus für beide Seiten.

Dass Buchhändler Zusatznutzen erbringen, bevor sie den Standardumsatz in der Kasse haben, ja, dass der Zusatznutzen zur Voraussetzung wird, scheint mir eine ungesunde Umkehrung der Verhältnisse. Man kann das alles leisten, ja. Aber man kann, davon bin ich fest überzeugt, Aufwand und Risiko für eine gute Veranstaltung auf mehrere Schultern verteilen. Es kommt nicht eine Person weniger, wenn Rotary oder die Sparkassenstiftung das Honorar des Autors übernehmen, und niemand sitzt unbequem, weil die Oberstufenschüler in der Aula die Stühle gerückt haben. Das ist eine Frage der Kommunikation. Man kann als Buchhändler durchaus selbstbewusst sagen: Schau, ich kenn den und den Autor, ich kann dort etwas organisieren und habe hier mein Netzwerk. Helft Ihr mir dafür mit den Schnittchen?

Und der zweite Punkt: Man muss sich ausruhen. Wann und wo soll man das tun, wenn alle Energie in die Firma geht? Wenn selbst das Ausrollen der Weihnachtsplätzchen buchhandelsrelevant ist? Etwas weniger wäre womöglich mehr - sagt ausgerechnet die Person, die ein privates Buch geschrieben hat und damit durch halb Deutschland reist. Aber ich habe in meiner eigenen Buchhandlung dieses Jahr genau gar keine Veranstaltung gehabt (Zeitmangel), und was ich koche und backe haben schon immer nur die gegessen, die bei mir zu Hause sind (Prinzip). Die simple Konsequenz: Ich war in diesem Jahr ohne Abendtermine vor Ort erheblich ausgeruhter. Einige Kunden haben sich beschwert, und deshalb gibt es 2020 wieder Veranstaltungen. Aber ich bin dahin zurückgekehrt, Lesungen für Luxus zu halten, für die Sahnehäubchen und eben nicht für Roggenbrot mit Leberwurst.


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