MARKT UND MACHT: Analyse zum Konditionenpoker im Lebensmitteleinzelhandel

Kraftprobe am Supermarktregal

22. Oktober 2019
Redaktion Börsenblatt
Blick in eine andere Branche: Nahrungsmittelkonzerne und Handelsketten ringen schon länger erbittert um die besten Konditionen – bis hin zu Auslistungen und Lieferstopps. Die Konflikte sorgen dafür, dass alternative Markenstrategien und neue Vertriebswege an Bedeutung gewinnen.

"Leider müssen wir Sie darüber informieren, dass wir Ihnen derzeit nicht alle Produkte des Lieferanten Heinz anbieten können", unterrichtete die Handelskette Edeka enttäuschte Ketchup-Käufer im Frühjahr an halbleeren Regalen. Zuvor hatte The Kraft Heinz Company die Lieferung ihres Marken-Ketchups an Edeka ausgesetzt, weil man dort einer Preiserhöhung nicht zustimmen wollte. Seinen Kundinnen und Kunden erklärte der Händler daraufhin: "Es ist unser Anspruch, Ihnen stets ein attraktives Sortiment zu preiswerten Konditionen anzubieten. Leider ist es uns bislang trotz harter Verhandlungen nicht gelungen, eine Einigung […] zu erzielen."

Dass Hersteller und Händler oftmals unterschiedliche Preisvorstellungen haben, ist in der Lebensmittelbranche nichts Neues. Die Vehemenz, mit der die Konditionenkonflikte inzwischen ausgefochten werden, aber schon. Zumal die Streits längst auch in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Vor einem Jahr erregte Kaufland Aufsehen mit dem Entschluss, Produkte von Unilever aus seinen Märkten zu verbannen. Axe, Dove, Knorr, Lipton, Pfanni, Rexona, Signal, Viss u.a. wurden nicht mehr nachbestellt. Lücken in den Regalen? Sind längst mit Konkurrenzprodukten geschlossen.

Der Tonfall wird schärfer

Die Ausgangssituation der Konflikte ist immer dieselbe: Wenige multinational operierende FMCG-Hersteller (von Gütern des täglichen Bedarfs, also: Fast Moving Consumer Goods) stehen wenigen Handelsketten gegenüber, die immer größere Teile des Geschäfts mit Endkunden kontrollieren. Beide Seiten bestehen auf die jeweils besten Konditionen zu ihren Gunsten. Dabei verschärft sich der Tonfall zunehmend.

Die Streitpunkte sind simpel. Hersteller geben an, Kostensteigerungen für Rohstoffe und Produktentwicklung weitergeben zu müssen; gleichzeitig ärgern sie sich über die Einkaufsallianzen, mit denen Handelsketten aus unterschiedlichen europäischen Ländern gemeinsam bessere Konditionen durchsetzen wollen, etwa für das Aktionsgeschäft. Edeka verhandelt im Bündnis AgeCore zusammen mit Coop (Schweiz), Intermarché (Frankreich), Colruyt (Belgien), Conad (Italien) und Eroski (Spanien). Rewe hat sich bei Coopernic mit E. Leclerc (Frankreich), Ahold Delhaize (Belgien, Niederlande) und Coop Italia zusammengetan. Der Markenverband wittert darin einen "Machtmissbrauch". Die Händler entgegnen, über die Bündnisse lediglich gleiche Verhältnisse mit Handelskonzern wie der Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) herstellen zu wollen, die länderübergreifend aktiv sind und international einkaufen.

Schrumpfende Margen durch Niedrigpreise

Preiserhöhungen der Hersteller werden von Händlerseite oft als überhöht eingestuft. Während man wesentlich dazu beitrage, Marken aufzubauen und am Markt zu etablieren, würden Nahrungsmittelkonzerne hohe Umsatzrenditen einstreichen, aber wenig in Produktinnovationen investieren. Gleichzeitig liefere die Industrie ihre Produkte zunehmend an Discounter, die mit Niedrigpreisen dafür sorgen, dass die Margen schrumpfen.

Den Herstellern wiederum geht es gegen den Strich, dass sie den Allianzen zusätzliche Rabatte einräumen sollen – ohne konkrete Gegenleistung zu erhalten. Wird man sich nicht einig, lautet die Konsequenz In vielen Fällen: Auslistung oder Lieferstopp – zumindest vorübergehend. Rewe stritt mit Danone über vermeintlich ungerechtfertigte Preiserhöhungen. Edeka war sich uneins mit Mars und Red Bull. All diese Konflikte wurden letztlich wieder beigelegt. Doch das scheint längst nicht mehr selbstverständlich zu sein.

Vor allem die Händler testen aus, wie weit sie gehen können. Im vergangenen Jahr wagte Edeka die mehrwöchige Kraftprobe mit dem Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé und war bereit, über mehrere Wochen auf Thommy, Maggi, Nescafé und Wagner zu verzichten, um die eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Nicht immer lässt sich im Voraus kalkulieren, wem diese Strafmechanismen mehr schaden.

Manche Marke ist von derart großer Bedeutung, dass Kundinnen und Kunden im Zweifel die Einkaufsstätte wechseln, wenn sie ihr Lieblingsprodukt nicht mehr im Regal finden – und das komplette Einkaufsbudget zur Konkurrenz tragen. Umgekehrt gehen Hersteller das Risiko ein, dass Konsumenten nach Lieferstopps zum Produkt eines anderen Herstellers oder der Eigenmarke des Händlers greifen, sich umgewöhnen und gar nicht mehr zum "Original" zurückkehren.

Eigenmarken werden zum Druckmittel

Ohnehin wird sich der Handel zunehmend der Macht bewusst, die er mit seinen Eigenmarken ausüben kann. Dank innovativer Rezepte und modernen Verpackungen nehmen viele Kundinnen und Kunden die Produkte inzwischen als (gleich)wertige Alternative zu klassischen Marken wahr. Um Heinz zu ersetzen, ließ Edeka dieses Jahr kurzerhand seinen eigenen "Marken"-Ketchup unter dem Namen "Papa Joe’s" entwickeln, der dem Vorbild zum Verwechseln ähnlich sah. Mit solchen Aktionen signalisieren Händler den großen Herstellern zunehmendes Selbstbewusstsein. Gleichwohl wissen die Nahrungsmittelkonzerne, dass Edeka, Rewe & Co. nur ungern auf Umsätze verzichten, die ihnen hochpreisige Markenartikel sichern – selbst wenn sich mit günstigeren Eigenmarken bessere Margen erzielen lassen.

Dennoch scheint sich in den Führungsetagen der Konzerne langsam die Erkenntnis durchzusetzen, dass sie sich auch selbst bewegen müssen. So steigt die Bereitschaft, Exklusivmarken für Handelspartner herzustellen (wie Maggi, das "Koch Doch"-Fixgerichte für Edeka produziert) oder Produktlinienerweiterungen zunächst exklusiv bei ausgesuchten Partnern zu verkaufen (wie Kit Kat Ruby Cocao bei Rewe).

Auf der Suche nach alternativen Vertriebswegen

Darüber hinaus werden neue Kooperationsmöglichkeiten ausgelotet. Die Nestlé-Tochter Wagner, die im vergangenen Jahr rückläufige Umsätze im Endkundengeschäft verzeichnete (vermutlich auch wegen des mehrwöchigen Verkaufsstopps bei Edeka), testete eine Kooperation mit dem Essens-Lieferdienst Lieferando. Der ließ die "Ernst Wagner Original"-Pizza, die es regulär im Handel zu kaufen gibt, bei Restaurantpartnern in Großstädten aufbacken und lieferte sie Kundinnen bzw. Kunden fertig verzehrbar nachhause. Bedeutende Umsätze dürften sich darüber derzeit kaum generieren lassen. Dennoch gewinnen alternative Vertriebswege an Bedeutung, um unabhängiger von traditionellen Partnern zu werden.

Zwischen den Fronten stehen die kleineren Unternehmen

Kleinere Hersteller beobachten die Streits der Großen mit gemischten Gefühlen. Einerseits besteht die Chance, mit den eigenen Produkten auf frei werdende Plätze im Regal zu rücken, die nach der Auslistung großer Marken gefüllt werden müssen. Andererseits haben mittelständische Unternehmen angesichts der zunehmenden Konzentration kaum noch Möglichkeiten, auf andere Händler auszuweichen, wenn die Konditionenwünsche beim bisherigen Partner nicht mehr erfüllt werden können. So bleibt das Risiko, zwischen den Fronten aufgerieben zu werden – zumal die Handelsunternehmen zunehmend selbst als Produzenten tätig werden, so wie Edeka (mit Albi in der Saftherstellung) oder Lidl (mit eigenem Produktionswerk für Eiscreme).

Profitieren Kundinnen und Kunden von den Auseinandersetzungen? Ja, wenn Preise für Nahrungsmittel dadurch stabil bleiben. Und nein, weil nur noch einige wenige Akteure entscheiden, was es wo zu kaufen gibt.

Zwar kehren die allermeisten ausgelisteten Produkte in der Regel nach kurzer Zeit wieder in die Regale zurück. Auch Edeka ist sich mit Heinz einig geworden. Im Zweifel aber eskaliert die Lage. Erst ein Jahr ist es zum Beispiel her, dass Kaufland Bier von Krombacher zurück in seine Läden holte. Der Verkauf war wegen unterschiedlicher Preisvorstellungen gestoppt worden – sechs Jahre zuvor.

Zahlen & Fakten
  • Der Konzentrationsgrad im Lebensmitteleinzelhandel ist hoch: Vier Konzerne – Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe (Lidl / Kaufland) – teilen sich in Deutschland nach Schätzung des Bundeskartellamts bis zu 90 Prozent des Markts.
  • "Das ist eine ausgesprochen hohe Marktkonzentration, die sowohl gegenüber den Verbrauchern als auch gegenüber den Lieferanten negative Auswirkungen haben kann", warnte Andreas Mundt, Chef des Bundeskartellamts, schon vor einiger Zeit in Interviews, etwa mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
  • Dennoch wachsen die Großen durch Zukäufe immer weiter, derzeit allerdings in Teilmärkten, die als unproblematisch eingestuft werden. Im Juli stimmte das Kartellamt einer Übernahme der im Großhandel aktiven Handelshof-Gruppe durch Edeka zu, Anfang Oktober gab es grünes Licht für den Kauf von Lekkerland durch Rewe. Lekkerland beliefert Tankstellen-Shops und Kioske.

Peer Schader, Autor des Beitrags, ist freier Journalist in Berlin und analysiert auf supermarktblog.com regelmäßig die Entwicklungen im deutschen und europäischen Lebensmitteleinzelhandel.