Seit am Montag bekannt gegeben wurde, dass Monika Schoeller verstorben ist, gehen überall ratlose Anrufe hin und her. Geschichten und Erinnerungen werden ausgetauscht, um die Leere zu füllen, die ihre Stille hinterlässt - ihre tätige Stille, so muss es heißen. Ich hatte das Glück, sie vor dreißig Jahren unter Bäumen kennenzulernen, gemeinsam mit dem tschechischen Dichter Jan Skácel, der zu den Wipfeln aufblickte und sagte: "Ein Dichter ist ein Radar unter Linden." Man musste die Stille danach mit ihr ermessen, dann wurde sie groß und weit. Diese Stille ist es, in der Bücher geschrieben und gelesen werden, "und ich brauche ganz viel von ihr", sagte sie in einer ihrer letzten Reden.
Ihre unnachgiebige, tätige Stille: Nach einem Gespräch mit ihr, bei einem Tee in ihrem Büro oder auf der Treppe, fühlte man sich immer ein wenig mehr bei sich zuhause und bestärkt in dem, was man gerade tat. Das war ihre Gabe: Zugewandt, diskret und behutsam erkundigte sie sich, hörte zu, fragte nach Problemen und Sorgen, gab einen Hinweis und kaum, dass man ihn als Rat bemerkte, sah man, wie er wirkte. Carolin Emcke schrieb einmal von ihrer "unnachahmlichen Gabe, jemanden zu sehen. Als ob alle Hüllen und Masken vor ihr abfallen würden."
Autoren ging es nicht anders. Diskret, aber bestimmt beharrte Monika Schoeller auf dem Möglichkeitsraum der Literatur. Eine Verlegerin muss stets beides tun: für das geschriebene Buch kämpfen und zugleich das noch nicht Geschriebene einfordern. Die Autoren konnten sich dabei auf sie verlassen, auch in Zeiten, da es knapp wurde. Sie hatte einen siebten Sinn für Menschen, die mit der gleichen Leidenschaft an das Morgen der Bücher dachten: Egon Ammann und Marie-Luise Flammersfeld wurden ihre Lebensfreunde.
Dabei war die am 15. September 1939 in Stuttgart Geborene Widerstand gewohnt. Als sie nach dem Studium der Kunstgeschichte und Volontariaten bei Artemis & Winkler und Arche mit 34 Jahren als gerade dritte Verlegerin die Leitung von S. Fischer übernahm, legte ihr die Belegschaft zur Begrüßung ein Buchhaltungsjournal hin. Zur vermögenden Tochter des Medienunternehmers Georg von Holtzbrinck ging der Verlag scheinbar auf Gegenkurs, als Frau trauten ihr auch alte S. Fischer-Autoren die Lenkung des Dampfers nicht unbedingt zu. Doch wie haben sie sich getäuscht! Mit dem Riesenerfolg von Doris Lessings "Das goldene Notizbuch" und mit der Einführung der Taschenbuchreihe "Frau in der Gesellschaft" zeigte sie, wohin verlegerisch die Reise gehen muss: ins Jahrhundert der Frau. Daneben gab es die "Schwarze Reihe" zur Erforschung der Zeit des Nationalsozialismus und "Fischer alternativ", eine Taschenbuchreihe, die schon vor 40 Jahren einen anderen Umgang mit der Natur anmahnte.
Ihre Erfolge wie Reiner Kunzes "Die wunderbaren Jahre" oder die Edition von Thomas Manns Tagebüchern überzeugten schließlich das Ensemble, in das sie soviel Vertrauen legte. Verlegen war für sie eine Gemeinschaftsleistung: von Autoren und "Verlagsmenschen", wie sie gerne sagte. Samuel Fischers Rat an seinen Nachfolger Gottfried Berman-Fischer, als erstes am Tag immer die Briefe der Autoren zu beantworten, hallte in ihr nach. Verlegen war ihr ein lebendiges Gespräch, das nicht notwendigerweise mit Debatten und Türenschlagen einhergehen muss, sondern mit einem offenen Ohr und einem wachen Herzen.
Als sie sich 2002 aus der operativen Verlagsarbeit zurückzog, blieb sie doch die Verlegerin von S. Fischer und saß gemeinsam mit ihrem Bruder Stefan von Holtzbrinck der Geschäftsführung der internationalen Holtzbrinck Publishing Group vor, der Zeitschriften und Verlage in den USA und Großbritannien gehört.
2003 gründete sie die S. Fischer Stiftung, um kritische Klassikereditionen wie die Frankfurter Thomas-Mann-Ausgabe zu unterstützen. Dabei war sie längst als Mäzenatin für das Freie Deutsche Hochstift mit dem Goethe-Haus in Frankfurt und für das Literaturarchiv in Marbach hervorgetreten. Aber ihr ging es dabei nicht allein nur um die "Schatzhäuser" als Hüter der Literatur, sondern auch um deren Zukunft. So, wie sie dazu beitrug, einen fehlenden Band aus der Bibliothek von Goethes Vater wieder zu besorgen, setzte sie sich genauso dafür ein, dass ein Übersetzungsprogramm deutsche Gegenwartsliteratur in allen osteuropäischen Sprachen greifbar machte und ermöglichte es über Jahrzehnte, dass internationale Lektoren und Agenten nach Jerusalem zur Buchmesse reisten. Als Verlegerin dachte sie in großen Perspektiven, aber immer von Buch zu Buch und von Mensch zu Mensch.
Monika Schoellers Leben ist eine lange Liste von Gelegenheiten, an denen sie gründlich unterschätzt wurde – vor allem von den bärbeißigen Verlegertitanen ihrer Anfangszeit und deren Nachfolgern. Aber mit ihrem Durchsetzungswillen und ihrer Beharrlichkeit hat sie Krisen gemeistert und Erfolge gefeiert, um die sie viele beneideten. Sie konnte Autoren an den Verlag binden, die seine Zukunft sind. Und sie hat mit Siv Bublitz eine Nachfolgerin für Jörg Bong gefunden, mit dessen Team ihr vor 20 Jahren ein bedeutender Neuanfang gelungen war.