Kolumne von Martina Bergmann

Die Konjunktur des Flüchtigen

8. Oktober 2019
Redaktion Börsenblatt

"Ach, das ist ja schön, dass Sie hier fünf Vogelbestimmungsbücher haben. Aber bitte bestellen Sie mir trotzdem drei zur Ansicht." - Aus der Auswahl in der Buchhandlung auszuwählen, scheint unmodisch geworden zu sein, beobachtet Martina Bergmann. In ihrer Buchhandlung in Borgholzhausen werde andauernd bestellt, ganz egal, wie groß das Angebot sei.

Es gibt Konjunkturen des gerade besonders Lästigen. Wendungen, Anforderungen, grundsätzliche Verhaltensweisen, deren man als Einzelhändler gut entbehren könnte. Ich hatte das phasenweise mit dem Begehr nach Praktikumsplätzen, mit Beratungsangeboten verschiedener Dienstleister, mit Warenofferten im Bereich des Modernen Antiquariat. Das kam und ging; letzteres meist ohne mein Zutun. Konjunkturen haben die Eigenschaft zu enden. Man kann sie also, wenn als solche erkannt, einfach aussitzen. Wie angenehm. Die von mir betrachteten hatten in den letzten zehn Jahren meist einen gesellschaftlichen Hintergrund, etwa die verstärkte Integration Alleinerziehender in den Arbeitsmarkt (Praktika) oder die staatliche Förderung von Dienstleistungen (Berater). Kundenseitig war das nicht so. Kundenseitig gab es Moden. Etwa Vampire und andere Untote. Malbücher für Erwachsene. Grußkarten mit Blumensaat, die nicht aufgeht, und das hat dann die Buchhändlerin in Schuld. Kunden waren in ihrem Verhalten bisher nicht konjunkturanfällig. Und jetzt ändert sich das.


Beraten und beschaffen

Die Kunden sind nett dieses Jahr. Sie verwirren mich nur mit einer Begriffshäufung. Sie sagen andauernd - Bestellen. Bestellen, bestellen, bestellen. Kommen zur Tür herein und sagen bestellen. Bestellen, bestellen. Tatsächlich ist es hier nicht wenig gefüllt. Dieser Ort kann sich mit einem Vollsortiment schmücken; das ist für die Einwohnerzahl und Lage eher ungewöhnlich. Noch dazu kauft die Buchhändlerin gern ein. Im Zweifel stehen mindestens 20 Prozent mehr Warenwert zur Auswahl als branchenüblich angeraten. Ich würde sagen, es ist für jeden genug da; es sei denn, er oder sie müsste ein bestimmtes Fachbuch, den siebzehnten Band einer Serie oder diese ganz besondere Wanderkarte haben; Blattschnitt x mit Folierung y. Solche Artikel ordern wir gern, haben sie vom Barsortiment normalerweise zügig da. Ich will nicht sagen, über Nacht, wobei auch das eher die Regel ist, aber binnen 48 Stunden klappt es immer. Kein Problem, dafür haben wir diesen Großhändler, und nein, das kostet für den Kunden weder Porto noch eine Bestellgebühr. Ja, auch wenn's ein Reclamheft zu zwei Euro zwanzig ist. Machen wir alles gern, denn so lautet das Serviceversprechen des Sortimentsbuchhandels: Beraten und beschaffen.


Bestellen, reservieren, liegenlassen

Ich stolpere nur über den Mechanismus des Bestellenmüssens. Ich habe jeden Tag eine, eher zwei oder drei Begegnungen mit Menschen, die völlig erstaunt sind, weil entweder das, was sie gebrauchen, vorrätig ist ("Wenn Sie das behalten wollen, können Sie es mir aber auch neu bestellen. Es ist nicht so eilig.") oder weil ich für die zentrale Funktion des Sortimentsbuchhandels eben nicht das Bestellen, sondern das Vorhalten eines Sortimentes erachte ("Ach, das ist ja schön, dass Sie hier fünf Vogelbestimmungsbücher haben. Aber bitte bestellen Sie mir trotzdem drei zur Ansicht."). Ich finde das, wie gesagt, verblüffend. Es geht nicht so weit, dass ich mich darüber ärgere, aber ich beobachte eine Konjunktur des Flüchtigen. Bestellen, reservieren, liegenlassen. Eventuell abholen, später. Wann auch immer. Der direkte Einkauf, also reingehen, auswählen, mitnehmen, ist unmodisch. Ich vermute, damit sind auch auf dem Land Konsumgewohnheiten üblich geworden, die Großstadtkollegen schon länger beschreiben. Da die entsprechenden Kunden ihre Anliegen zum weitaus größten Teil freundlich vortragen, kann ich darüber nicht klagen. Aber ich frage mich, worin dann noch die genuine Leistung des Einzelhändlers besteht. Geschenke einpacken? Das sieht von Amazon nicht so schön aus wie bei mir. Leicht erreichbar sein? Hier ist kein Verkehrschaos, kein Innenstadtstau, absolut nicht vergleichbar den Hürden auf dem Weg zum Buchkaufhaus.

Sinngewitter in den Köpfen der Konsumenten

Befragungen der Kunden ergaben, dass sie mich einfach gern unterstützen. Anders gesagt, sie haben ein Bewusstsein, dass inhabergeführter Einzelhandel auf Umsatz angewiesen ist. Das war schon schlechter. Ob es nun Verbandslobbyismus und/oder unsere eigenen Initiativen sind, die WUB, der Buchhandlungspreis, dieses und jenes - es gibt bei Kunden inzwischen eine rege Auseinandersetzung mit sich selbst als Konsumenten. Und die kommt sich nun mit dem Klick zum Glück ins Gehege. Ich würde mal sagen, ein Sinngewitter. Es blitzt und donnert in den Kundenköpfen. Die Klicks und die Autos und das Wetter und die Plastiktüten und die Greta und ich weiß nicht was noch alles. Man kommt da als Kunde, ach was, als Zeitgenosse, leicht ins Schlingern. Meine Reaktion: Ich bin stoisch. Ich sage immer wieder lächelnd - Guten Tag! Schön, dass Sie da sind. Lassen Sie uns gemeinsam schauen, ob wir das richtige Buch für Sie finden. An der Auswahl liegt es nicht, und ich habe die kleine Hoffnung, dass Sie sich daran erinnern, dass ich mit Ihnen gesprochen habe. Geredet, mit Worten. Konversation. Das Serviceversprechen des Sortimentsbuchhandels lautet seit jeher: Beraten und beschaffen. Dabei gibt es keine Konjunkturen, das hört nie auf.


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