Deutsch-französischer Jugendliteraturpreis

Ein Treppenhaus und ein ganzes Leben

30. September 2019
Redaktion Börsenblatt

Der mit insgesamt 16.000 Euro dotierte Deutsch-französische Jugendliteraturpreis 2019 geht an die Illustratorinnen Hannah Brückner und Rébecca Dautremer. Brückner wurde für ihr Debüt "Mein fantastisches Baumhaus" (Jacoby & Stuart) ausgezeichnet, Dautremer für "Das Stundenbuch des Jacominus Gainsborough" das in deutscher Sprache gerade bei Suhrkamp/Insel erschienen ist.

Die Preisverleihung fand am Freitag in der Saarländischen Staatskanzlei in Anwesenheit von Ministerpräsident Tobias Hans und der französischen Generalkonsulin Catherine Robinet statt – beide sind Schirmherrinnen des mit je 8.000 Euro dotierten Preises. Je 6.000 Euro erhalten die Illustratorinnen, je 2.000 Euro sind für die Übersetzung ins Deutsche bzw. Französische bestimmt. In seiner Begrüßung betonte Ministerpräsident Hans, wie wichtig Bücher für Kinder seien, welche Welten sie ihnen eröffneten.

Gegen die Anonymität

Der Ort von Brückners Geschichte ist ein Mietshaus, wie es in vielen Orten stehen könnte, der Held ein kleiner Junge, der sich auf seinem Weg durchs Treppenhaus nach oben viele Fragen stellt. "Die meisten Hausbewohner kennt er nur vom Sehen, aber die Kraft seiner Imagination ist viel stärker, und der Aufstieg im Treppenhaus wird zu einer Reise", so Börsenblatt-Redakteur und Juror Stefan Hauck in seiner Laudatio. "Hannah Brückner, die an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg Illustration studiert hat, inszeniert das Sich-Wegträumen als Leporello, von Seite zu Seite wächst die Geschichte nach oben, auf der einen Seite die nackte Realität, ein tristes, graues Treppenhaus – das Kinder aber erfahrungsgemäß nach dem Lesen des Bilderbuchs ganz schnell mit Buntstiften verschönern – , auf der anderen Seite eine Wunderwelt. Statt von Stufe zu Stufe erklettert er einen Baum, eine abenteuerliche Konstruktion, die aus Tausenden feinster Pünktchen besteht, die Brückner mit dem Rapidografen gezeichnet hat." Inmitten der Anonymität gebe es aber menschliche Bezugspunkte wie den tolle Geschichten erzählenden Nachbarn im 6. Stock oder die Spielkameraden im 7. Stock. Hauck dankte Brückner, "dass wir als Betrachter diesen Baum mit all seinen merkwürdigen, teils skurrilen Bewohnern mit erklettern konnten: Sie haben den Blick so geschärft, dass wir mit wacheren Augen durch unsere nächste Umgebung gehen."

Leben mit einer Verletzung

Rébecca Dautremer erzählt in ihrem Bilderbuch über das mutige Leben eines kleinen Kaninchens, zerbrechlich und träumerisch, von seinen glücklichen und unglücklichen Stunden. Auf jeder zweiten Doppelseite füllt er den Raum und verschmilzt dann wieder mit großartigen Fresken voller Details und Figuren aus seiner Umwelt. Es ist schwer, dort seinen Platz zu finden, so klein wie er ist, und mit seiner verletzten Pfote, die seit einem bösen Sturz sein Leben verlangsamt. Dennoch geht er Schritt für Schritt weiter, gestützt auf seine Krücke und von der Liebe, die er in sich trägt. Für Dautremer, die nicht anwesend sein konnte, nahm Insel-Lektorin Sabine Erbrich die Auszeichnung stellvertretend entgegen. Insel hatte just vergangene Woche den Titel in deutscher Übersetzung ausgeliefert.

Die Shortlist des Deutsch-französischen Jugendliteraturpreises waren im Januar in Straßburg vorgestellt worden.