Zwischenruf von Thomas Mahr (Buchhandlung Thomas Mahr, Langenau)

"Die Kultur verschwindet aus Europa"

17. September 2019
Redaktion Börsenblatt
Die künftige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen führt die Kultur in keinem der Aufgabengebiete ihrer 26 nominierten EU-Kommissarer mehr im Titel. "So wird das vereinte Europa weiter unter dem Primat der Ökonomie stehen, anstatt endlich einmal die Bürger in den Mittelpunkt zu stellen", meint der Buchhändler Thomas Mahr.

Wenn die Erinnerung nicht trügt, sind vor einem halben Jahr vor der Europawahl Tausende von Menschen auf die Straße gegangen, um für ein vereintes Europa zu demonstrieren. Auf der Agenda der engagierten Bürger standen die gemeinsamen Werte, die untrennbar mit der europäischen Kultur verbunden sind. Aufgestanden sind die Menschen für diese Idee, da die rechtspopulistischen Gegner Europas diese mit Füßen treten und dabei sind, die EU mehr als nur in Frage zu stellen. Das Wahlergebnis ließ das europäische Parlament noch einmal mit einem blauen Auge davonkommen.

Wie wenig Feinfühligkeit, wie wenig Sensorik, besitzen die neuen Verantwortlichen der europäischen Kommission unter der Führung von Ursula von der Leyen: Die Kultur steht nicht ganz oben im vereinten Europa, nein, sie wird ganz von der Liste gestrichen. Sollten die Skeptiker doch recht behalten, die EU war, ist und bleibt eine Gemeinschaft zur Wahrung wirtschaftlicher Interessen. So wird das vereinte Europa weiter unter dem Primat der Ökonomie stehen, anstatt endlich einmal die Bürger in den Mittelpunkt zu stellen.

Dafür gäbe es zahlreiche Möglichkeiten. Warum nicht neben die Kulturhauptstädte Kulturdörfer stellen, warum tauscht nicht ein Bürgermeister einer lothringischen Kleinstadt seinen Job auf Zeit mit einem aus der belgischen Wallonie. Denkbar wäre so ein Austausch auch zwischen Österreich und Deutschland oder der Slowakei und Ungarn. Auch den Beständen aus den verwaisten Heimatmuseen täte es gut im Tauschverfahren mit Wechselausstellungen in Europa auf die Reise zu gehen. Begegnungen auf allen Ebenen sind das Gebot der Stunde, bevor die chauvinistische Rechte unser Europa zerschlagen kann. Wer die Kultur der anderen verstehen lernt, verliert seine Engstirnigkeit und das Brett vor dem Kopf.

Schluss mit den Sonntagsreden, hin zu einem Austausch, der den Alltag einschließt. Es braucht eine EU-Kommission der Kultur, die das Übersetzen von Büchern fördert, die europäische Theatertourneen auf die Beine stellt, aber auch Bäuerinnen, Feuerwehrleute und Kirchenchöre aus ganz Europa an einen Tisch setzt. Um Transparenz zu erreichen und eine Wertschätzung dieser gewachsenen europäischen Zivilisation aufzuzeigen, braucht es die kulturelle Vermittlung, vor allem um der Europaskepsis entgegenzuwirken.

Welch falsches Signal die Kultur aus der europäischen Agenda zu verbannen, übrigens genauso wie die Begriffe Forschung und Migration, aber das sind ganz andere, gravierende Unterlassungen.