„Die Änderungen betreffen den einseitigen Haftungsausschluss zugunsten von Amazon, die Kündigung und Sperrung der Konten der Händler, den Gerichtsstand bei Streitigkeiten sowie den Umgang mit Produktinformationen und viele andere Fragen. Für die auf den Amazon Marktplätzen tätigen Händler haben wir mit unserem Verfahren weltweit weitreichende Verbesserungen erwirkt. Das Verfahren wird eingestellt“, fasst Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, zusammen.
"Um die Rechte und Pflichten unserer Verkaufspartner klarzustellen, nehmen wir einige Änderungen am Amazon Services Business Solutions Vertrag vor. Diese Änderungen werden zum 16. August wirksam. Wir werden auch in Zukunft viel Arbeit und erhebliche Summen investieren sowie neue Tools und Services entwickeln, um unsere Verkaufspartner auf der ganzen Welt bei der Gewinnung neuer Kunden und beim Ausbau ihres Geschäfts zu unterstützen“, kommentiert ein Amazon-Sprecher.
Im November 2018 hatte das Bundeskartellamt aufgrund von zahlreichen Beschwerden von Händlern ein Verfahren gegen das Unternehmen wegen des Verdachts auf missbräuchliche Geschäftsbedingungen und Verhaltensweisen gegenüber den Händlern auf dem deutschen Marktplatz amazon.de eröffnet. Dort waren 2018 mehr als 300.000 Dritthändler tätig. Das Netto-Handelsvolumen des deutschen Marktplatzes betrug im Jahr 2018 weit mehr als 20 Mrd. Euro.
Bei den Dritthändlern auf dem Marktplatz amazon.de ...
- erwirtschaften deutsche Händler 60-65 Prozent des Volumens
- außereuropäische Händler 20-25 Prozent
- 10-15 Prozent Händler aus sonstigen europäischen Ländern
- Mehr als 95 Prozent des Gesamthandelsvolumens auf amazon.de entfällt auf deutsche oder österreichische Kunden
- 2018 wurden auf amazon.de mehr als 300 Mio. verschiedene Artikel angeboten
- 2018 wurden ca. 1,3 Mrd. Produkte verkauft
- Amazon.de ist der mit Abstand größte der fünf europäischen Marktplätze von Amazon. Der deutsche Marktplatz macht 40-50 Prozent aus, danach folgen der britische und dann die drei übrigen Marktplätze (amazon.fr, amazon.es, amazon.it).
- Das Handelsvolumen auf amazon.de stammt zu 40-45 Prozent von der eigenen Retail-Sparte von Amazon und zu 55-60 Prozent von Dritthändlern
Gesperrte Händler und Fake-Rezensionen
Im Jahr 2018 wurden laut Bundeskartellamt auf dem deutschen Marktplatz mehr als 250.000 Verkäufer-Konten von Amazon dauerhaft und mehr als 30.000 Verkäufer-Konten vorübergehend gesperrt. Grund waren vor allem Betrugsvorwürfe (daneben Verletzung gewerblicher Schutzrechte und Produktfälschungen). Immer wieder haben sich aber auch Händler beschwert, die gesperrt wurden, weil Kundenreklamationen oder- Bestellungen nicht schnell genug bearbeitet wurden (z.B. über das Wochenende liegen geblieben sind). Ein weiterer Streitpunkt ist der Umgang mit Produktbewertungen (s.u.). Amazon bevorzugt aktuell Bewertungen von Kunden für die eigene Retail-Sparte und löscht mitunter Bewertungen von Drittanbietern, wodurch diese weniger vertrauenswürdig erscheinen.
Amazon hat die Praxis gegenüber dem Bundeskartellamt verteidigt, pikanterweise damit, „dass es ein erhebliches Risiko von falschen und manipulativen Bewertungen gibt und Amazon das Problem grundsätzlich angehen möchte.“
Das ändert sich laut Bundeskartellamt im Detail
Geheimhaltung:
Öffentliche Äußerungen der Händler zu der Geschäftsbeziehung zu Amazon sind bislang nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung von Amazon erlaubt gewesen. Die diesbezügliche Klausel wird weitgehend reduziert.
Haftungsregeln:
Amazon ist bislang praktisch von jeglicher Haftung gegenüber den Händlern freigestellt. Dieser Haftungsausschluss von Amazon wird zu Gunsten der Händler eingeschränkt und enger gefasst. Amazon haftet künftig ebenso wie die Händler:
- für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit
- sowie bei Verletzung wesentlicher Vertragspflichten
Damit erfolgt für die europäischen Marktplätze eine Anpassung der Regelungen an europäische Standards für Geschäftsbeziehungen zwischen Gewerbetreibenden (B2B).
Kündigung und Sperrung:
Amazon hat bislang ein unbeschränktes Recht zur sofortigen Kündigung und der sofortigen Sperrung von Konten der Händler ohne Angabe von Gründen. Bei ordentlichen Kündigungen gilt künftig eine 30 Tage-Frist. Bei außerordentlichen Kündigungen (gestützt auf den Vorwurf von Gefährdungen und Rechtsverletzungen durch einen Händler) ebenso wie bei Sperrungen besteht nun eine Pflicht von Amazon zur Information und Begründung.
Gerichtsstand:
Bislang war Luxemburg als ausschließlicher Gerichtsstand in den europäischen Geschäftsbedingungen für den Marktplatz als auch in den europäischen Geschäftsbedingungen für den Zahlungsverkehr vorgegeben. Diese Regelung hat es insbesondere kleineren Händlern erschwert, überhaupt eine rechtliche Auseinandersetzung zu suchen. Die Ausschließlichkeit des luxemburgischen Gerichtsstands wird nun für alle europäischen Marktplätze beseitigt. Inländische Gerichte können künftig zumindest unter bestimmten Voraussetzungen zuständig sein.
Retouren und Erstattungen:
Für die Kunden bleibt laut Bundeskartellamt weiterhin alles beim Alten. Die Amazon-Regeln zu Kundenretouren und Erstattungen im Hinblick auf das Verhältnis zu den Kunden bleiben von den AGBs unberührt. Aber: Bislang mussten die Händler einseitig die Kosten und sonstigen Folgen einer von Amazon getroffenen Erstattungsentscheidung tragen. Halten Händler die Retoure für unberechtigt, können sie nach den neuen Regelungen Widerspruch einlegen und ggf. einen Ausgleichsanspruch gegenüber Amazon geltend machen.
Produktinformation und Nutzungsrechte: „Paritätsvorgabe“ entfällt
Die Händler mussten Amazon bislang sehr weitreichende Rechte zur Nutzung der eigenen Produktmaterialien, wie Informationen, Beschreibungen, Bilder etc. einräumen. Händler mussten dem Amazon-Marktplatz außerdem Produktmaterial zur Verfügung stellen, das qualitativ ebenso hochwertig ist wie das von ihnen in anderen Vertriebskanälen verwendete Material („Paritätsvorgabe“). Die angepassten Regelungen enthalten hinsichtlich der Nutzungsrechte Verbesserungen und Klarstellungen im Sinne der Händler. Insbesondere ist die zulässige Nutzung durch Amazon nun auf bestimmte Verwendungszwecke beschränkt. Die sogenannte „Paritätsvorgabe“ entfällt. Künftig sind daher hochwertigere bzw. speziellere Produktinformationen und Darstellungen auf anderen Webseiten möglich. Anforderungen von Amazon an die Qualität des Produktmaterials bleiben weiterhin zulässig. Diese Änderung soll es Händlern leichter machen, mit eigenen Internetseiten in den Wettbewerb zum Amazon-Marktplatz zu treten.
Transparenz:
Änderungen der AGB müssen besser auffindbar sein und werden künftig mit einer Frist von 15 Tagen vorher angekündigt.
Produktrezensionen und Verkäuferbewertungen:
Das bislang nur den Lieferanten von Amazon Retail zugängliche eigene Bewertungsprogramm „Vine“ soll schrittweise für solche Marktplatzhändler geöffnet werden, die Inhaber einer bei Amazon registrierten Marke sind. Von weiteren Anforderungen für die Regelungen zu Produktbewertungen hat das Bundeskartellamt abgesehen, zumal die Kartellhüter sowie die Europäische Kommission zu diesem Punkt eigene Verfahren laufen haben.