Klaus Stierstorfer über Recht und Literatur

Zwei "aus einem Bette"

13. Juni 2019
Redaktion Börsenblatt
Das Wechselspiel von Recht und Literatur als eigenes Forschungsfeld: Professor Klaus Stierstorfer über ein neues Projekt an der Universität Münster, das einen spannenden, interdisziplinären Ansatz verfolgt.

Während in der US-amerikanischen Wissenschafts­geschichte die Verbindung von Recht und Literatur seit den 1970er Jahren viel reflektiert wird, geschieht dies in Europa bislang eher selten. Vereinzelte Publikationen oder Konferenzen diesseits des Atlantiks stehen einem etablierten Platz von Recht und Literaturstudien in den Lehrplänen von Rechtsinstituten jenseits des Atlantiks gegenüber. Dies könnte sich nun ändern: Am 1. Juli beginnt der jüngst bewilligte Sonderforschungsbereich Recht und Literatur an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster seine Arbeit.

Mit neun Millionen Euro durch die Deutsche Forschungs­gemeinschaft gefördert, soll hier ein europäisches Zentrum zur interdisziplinären Erforschung von Recht und Literatur entstehen. Wenngleich die Verbindung dieser beiden gesellschaftlichen Sphären nicht sofort einleuchtet, hat sie doch gerade in Deutschland eine lange, wenn auch in der Öffentlichkeit wenig präsente Tradition, bemerkte doch schon Jakob Grimm 1815, Recht und Literatur seien "miteinander aus einem bette aufgestanden".

Sicherlich wird das neuerlich erstarkende Interesse für diese Forschungsrichtung durch den Impetus des amerikanischen Law-and-Literature-Movement befeuert. Doch ist es eines der Ziele des Münsteraner Unterfangens, eine dezidiert europäische Position zu finden, die nicht wie das US-amerikanische Pendant aus einer Reaktion gegen die befürchtete Ökonomisierung des Rechts entstand und sich für dessen (Re-)Humanisierung einsetzt, wozu die Literatur als besonders geeignetes Mittel angesehen wurde.

Während so Literatur zum Instrument für eine in den USA gern als politisch links eingestufte Rechtsauffassung mutiert, ist der Sonderforschungsbereich in Münster für eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen den beiden Disziplinen ausgelegt und zielt auf ein besseres Verständnis von Recht einerseits und Literatur andererseits ab – durch die Reflexion im jeweils anderen, aber auch auf die gemeinsame Erforschung von hochaktuellen Fragestellungen kultureller und gesellschaftspolitischer Art.

Zu solch brisanten Themenkreisen gehört zum Beispiel die Neuperspektivierung der Buchpreisbindung in Deutschland oder die Frage der Deutungshoheit über Texte, wenn diese vor Gericht verhandelt werden, mündend in Problemstellungen wie "Was ist und darf die (literarische) Kunst? Wo sind ihre Grenzen (falls vorhanden) und (falls vorhanden) wie sind sie juristisch zu fassen?".

Andere der insgesamt zwölf Teilprojekte befassen sich mit Prozess-Inszenierungen im Theater oder mit der Frage, wie und warum Gerichte zitieren. Auch jüdische und islamische Rechtstexte werden in die Untersuchungen einbezogen, etwa mit der vergleichenden Frage, wie Autorität in jüdischen und islamischen Rechtstexten inszeniert wird. Gleichzeitig wird umfassend Grundlagenforschung im Überschneidungsbereich von Recht und Literatur betrieben, deren Ergebnisse zeitnah und offen verfügbar in einer dynamischen Online-Enzyklopädie zur Verfügung gestellt werden.

Insgesamt zielt der Sonderforschungsbereich in Münster darauf ab, ein für die Herausforderungen einer vor allem europäischen Zukunft gut gerüstetes Rechtsverständnis zu erarbeiten – und ein neues Selbstbewusstsein für die gesellschaftliche Bedeutung und das Entwicklungspotenzial der Literatur.
Wenn Literatur Recht hat ... und Recht Literatur schreibt: mehr zu den Erkenntnissen dieser Wechselbeziehung gern zu gegebener Zeit im Börsenblatt.

Klaus Stierstorfer lehrt Anglistik an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster – und ist Sprecher des Sonderforschungs-bereichs Recht und Literatur.