Wenn der erste Kunde mich bedauert, weil ich ja nie in Urlaub fahre, dann weiß ich: Bald ist Sommer. Ich habe tatsächlich wenig Urlaub, aber das ist ein anderes Thema. Und selbst wenn ich mehr Urlaub hätte, nähme ich ihn nicht im Sommer. Denn dann ist es hier besonders schön. Es ist grün und warm und leer. Alle, die dringend in Urlaub müssen, weil der Alltag sie stark strapaziert, sind ja dann weg.
Zum Urlaubsritual dieser Kreise gehört ein Besuch in der Buchhandlung. Erstens, Buchhändlerin bedauern. Zweitens, Bücher kaufen, gern stapelweise. Ich habe also aus kaufmännischer Sicht ausnahmsweise nichts gegen Bedauern, denn viele laufende Meter bester Lektüre warten hier bei mir. Mein Lagereinkauf ist nicht ganz so konfus, wie es vielleicht klingt. Ich kaufe Bücher, die mich selber interessieren, außerdem Krimis, Liebesromane und dicke Wälzer. Letztere vielleicht etwas pragmatischer als meine Steckenpferde, aber alles zusammen ergibt eine Menge Auswahl.
Marmeladenpatriotismus als Standortbekenntnis
Die Zurückbleibenden und ich widmen uns dann gern der Ernte und Verarbeitung von Obst und Gemüse. Ich kann das, von früher her, von meiner Oma. Ich weiß, es geht nicht um die Schönheit irgendwelcher Etiketten, wie neuerdings manchmal behauptet wird. Es geht darum, sehr viel sehr schnell zu säubern, zu entsteinen und eventuell auch kleinzuschneiden. Dann ab damit in Gläser, die ihrerseits in einem Apparat luftdicht verschlossen werden. Dasselbe gilt für Fruchtsaft, herzustellen im sogenannten Entsafter. Der ist aus Blech und hat einen Gummischlauch, wo heißer Fruchtsaft rausläuft. Man verbrennt sich fies die Finger, wenn man nicht aufpasst. Drittens, auch sehr wichtig: Marmeladenherstellung, also das Verhältnis von Zuckern zu Früchten. Marmelade ist nicht dasselbe wie Gelee, und Pflaumenmus ist ganz was anderes.
Aber das kommt erst später im Sommer, wenn die Urlauber schon wieder da sind. Also widmen wir anderen uns den Hochsommerprodukten besonders gründlich. Dass es zu all diesen Verfahren neuerdings herrlich bunte Bücher gibt, gefällt uns hier sehr gut. In meiner Buchhandlung liegen davon eindeutig zu viele. Ich würde es Marmeladenpatriotismus nennen, eine Art Standortbekenntnis. Außerdem Etiketten, auch wenn die unnütz sind. Ich finde sie aber schön. Genauso wie die Kaffeeservietten mit Bötchen-Mustern und Obstgirlanden. Die tun ja keinem weh, und außerdem ist die Handelsspanne wirklich gut.
Und dann kommen ja auch noch Touristen, meistens als Wanderer auf dem Hermannsweg. Der geht direkt an der Buchhandlung vorbei, und es gefällt mir immer gut, wenn jemand zu mir herein wandert. Wir haben nicht so wenige Postkarten mit Bäumen (fotografiert und gezeichnet), außerdem Kartenmaterial und, siehe oben, leichte Muse. Ich weiß außerdem besser als das Internet, wo es was Gutes zu essen gibt, und ich kenn auch die Oberkellnerin vom größten Restaurant ringsum. Ich kann sie immer anrufen und fragen, ob sie noch sechs Leute unterbringt. Ja, nein, nicht angemeldet, aber ausnahmsweise, weil ich mir das jetzt mal bitte wirklich wünsche. Ja, wirklich, Leser dieser Kolumne. Dann macht sie eine Ausnahme, nur für mich.
Ohne Ironie: Genau wie die Oberkellnerin und auch die Frühstücksfrau im kleinen Hotel schräg gegenüber freu ich mich, wenn meine Leser aus dem Internet in das echte Borgholzhausen radeln oder wandern oder fahren und merken: Sie übertreibt nicht. Sie hat es wirklich schön, mit netten Menschen. Besonders im Sommer, und Mitte Juli hab ich auch noch Jubiläum. Der zehnte Geburtstag im Buchladen! Herzlich Willkommen!
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