Branche auf Sinnsuche
„Was ist unser gemeinsames Anliegen? Die gesamte Buchbranche braucht ein ‚Wofür‘, nicht ein ‚Wogegen!‘“, machte Hirnforscher Gerald Hüther in seiner Keynote klar. Die moderne Arbeitswelt, so Hüther, schränkt mit ihren starren hierarchischen Strukturen die Potenzialentfaltung des Einzelnen ein. Ergebnis: Unzufriedene Mitarbeiter, ausbleibender Erfolg, Objektbeziehungen zwischen Mitarbeitern und Führungskräften statt Subjekt-Begegnungen auf Augenhöhe.
In seinem anschließenden Workshop verstrickte Hüther die Teilnehmer in ein Gespräch und eine Sinnsuche, die gerade erst begonnen habe. Ein vorläufiges Fazit: „Das Bildungsbürgertum stirbt aus und mit ihm alte Gewissheiten. Sie müssen als Unternehmen jetzt gemeinsam den Bedarf wecken bei Zielgruppen, die Sie gar nicht kennen. Das kann kein Unternehmen alleine, auch nicht Random House.“
Hier sehen Sie die Keynote von Hirnforscher Gerald Hüther.
Wie tickt der Leser?
Wie die Bedürfnisse verschiedener Zielgruppen aussehen und mit welcher Tonalität die Zielgruppen angesprochen werden wollen, erforscht Jörg Munkes von der Gesellschaft für Innovative Marktforschung. Statt der bisher meist herangezogenen Sinus-Milieus setzt er auf psychografische Einordnungen: „Milieus helfen uns dabei nicht weiter. Erst die Kreuzungen von Werthaltungen und Charaktereigenschaften ergeben ein mehrdimensionales und oft überraschendes Bild der Kunden.“ . Auf Basis des Big5-Modells stellte der Diplompsychologe vor, wie die Generationen X, Y und Z sowie die sogenannten Boomer bei der Persönlichkeitsanalyse in den fünf Clustern aufgestellt sind: Offenheit/Aufgeschlossenheit, Gewissenhaftigkeit/Perfektionismus, Extraversion/Geselligkeit, Verträglichkeit/Kooperationsbereitschaft und Neurotizismus/emotionale Labilität. Wichtig sei dabei, die jeweilige Verteilung der Ausprägungen zu berücksichtigen und nicht nur den Durchschnitt. Munkes regt eine Studie zum Leserschwund an: „Haben sich die Bedürfnisse geändert – oder eher die Lösungen der Zielgruppe?“
Vom Cookie zum Briefkasten
Wie die Deutsche Post schon heute mit Onlineshops kooperiert, um sogenannten Warenkorbabbrechern (und deren Nachbarn) vollautomatisiert einen Brief oder eine Produktprobe zuzuschicken, führte Lars Schlimbach, Deutsche Post Dialog Solutions, vor. Seine aktuelle Baustelle: KI-gesteuerte Kampagnen über möglichst digitale wie auch analoge Touchpoints hinweg. Aktueller Umsatz mit Postsendungen: 2 Mrd. Euro jährlich.
Mehr Grip fürs Lesen
Mirjam Berle ist im Jahr 2015 von Thalia zu Goodyear gewechselt. Warum der amerikanische Reifenriese auf crossfunktionale Teams setzt und welche Methoden er für die emotionale Kundengewinnung einsetzt, erklärte sie ihren früheren Branchenkollegen. „Wir sollten uns davon lösen, dass wir nur ein Produkt verkaufen. Sie müssen es schaffen, die Antwort auf konkrete Bedürfnisse zu vermitteln – auf Augenhöhe mit Ihren Kunden!“ Um Kundenbedürfnisse möglichst gut adressieren zu können, setzt das amerikanische Unternehmen bei der Entwicklung von Botschaften auf Mitarbeiter aus unterschiedlichen Bereichen, die verschiedenste Blickwinkel einnehmen.
Fortsetzung folgt 2020
Aktuelle Fragestellungen und Trends aus Berufsalltag und Wissenschaft, der Blick auf andere Handelsbranchen - der MVB Ad Summit wird im kommenden Jahr in die zweite Runde gehen.
MVB möchte mit diesem neuen Veranstaltungsformat Marketing- und Vertriebsverantwortliche aus Publikumsverlagen ansprechen. Inhaltlich bestand der erste Ad Summit aus zwei Teilen: Am Vormittag haben die Teilnehmenden gemeinsam mit dem Hirnforscher Gerald Hüther über Fragen wie diese nachgedacht: Wozu arbeiten wir? Was ist unser eigentliches Anliegen, wenn wir Bücher produzieren und unter die Leute bringen? Können wir darauf überzeugtere (und überzeugendere) Antworten geben als bloß Hinweise auf Vertriebs- und Umsatzziele? Sind die Bedingungen unseres Arbeitens in einer Organisation namens "Verlag" günstig dafür, dass jede und jeder ihre bzw. seine kreativen Potenziale bestmöglich entfalten kann? Und falls sie nicht so günstig sind: Was sollte, was könnte sich ändern?
Der Nachmittag richtete sich thematisch eher auf operative, "handwerkliche" Fragestellungen. Für diesen Teil hatten sich Menschen aus der beschriebenen Zielgruppe, die wir zuvor gefragt hatten, für ihre Arbeit auch Anregungen aus anderen Branchen gewünscht.
Nach Auswertung aller Rückmeldungen und Kommentare machen wir uns im Sommer an die inhaltliche Planung des Ad Summit 2020. Ich freue mich jetzt schon darauf.
Sorry für meine Verspätung hier - und viele Grüße!
Torsten Casimir