Interview mit Thomas Eichhorn und Rolli Vogel über Start-ups

Um die Ecke denken

9. Mai 2019
Redaktion Börsenblatt
Zum elften Mal stellt das Projekt "The Hundert" in einem Katalog die 100 wichtigsten Start-ups aus Deutschland vor. Die Macher Thomas Eichhorn und Rolli Vogel von NKF Media erklären, warum sich Gründer manchmal selbst im Weg stehen und weshalb speziell Verlage auch branchenfremde Start-ups auf dem Radar haben sollten.

Immer wieder heißt es, die deutsche Wirtschaft sei nicht mehr innovativ genug. Wenn man sich die Start-ups aus "The Hundert" anschaut, muss einem nicht bange werden, oder?
Vogel: Nein. Wir haben weniger ein Innovations-, sondern ein Präsentationsproblem: Uns liegt es fern, Dinge zu verkaufen, die noch nicht existieren. "Fake it till you make it", heißt ein Sprichwort im angelsächsischen Raum: Dort suchen Unternehmen mit einer tollen Idee frühzeitig Partner, um diese tolle Idee zu einer fantastischen Idee zu machen. Wir dagegen wollen ein Produkt erst bis zur Perfektion entwickeln, bevor wir uns um alles andere Gedanken machen. Dadurch verlieren wir wertvolle Zeit und verpassen Finanzierungsrunden.
Eichhorn: Allerdings gibt es für Start-ups in anderen Ländern auch ein ganz anderes Funding-Potenzial. Der Investorenmarkt in Deutschland ist überschaubar, auch wenn er nach wie vor wächst. Daher ist es schwierig, die Innovationskraft Berlins mit der, sagen wir, Shanghais zu vergleichen. Dort werden gerade 15 Milliarden Dollar in Projekte rund um künstliche Intelligenz investiert. Solche Summen sind bei uns unvorstellbar.

Welche Branchen bringen aktuell die stärksten Start-ups hervor?
Vogel: Health, FinTech, Industrie 4.0, CleanTech, Mobility und Software-as-a-Service. KI muss auch genannt werden, als branchenübergreifendes Thema.

Medien-Start-ups sind nur spärlich vertreten. Warum?
Eichhorn: Das ist schwer zu sagen. Viele Verlage leisten sich zwar Inkubatoren, doch darin tummeln sich immer öfter ausländische Gründer. Deren Geschäftsmodelle lassen sich nicht immer übertragen – genau so wie es umgekehrt oft nicht funktioniert, dass ein deutsches Medien-Start-up international expandiert.
Vogel: Wir beobachten aber auch verstärkt Lösungen, die zwar nicht direkt in der Branche angesiedelt sind, für die sich geschäftstüchtige Verlage aber trotzdem interessieren sollten. Weil sie in alle Richtungen skalierbar sind. LexaTexer aus den aktuellen "The Hundert" zum Beispiel hat ein Data-Analytics-Verfahren entwickelt, das viele Unternehmen anspricht. Daimler versucht damit, Produktionsfehler zu minimieren. Die Wasserkraftwerke in Salzburg verbessern ihre Betriebsabläufe. Beide sparen erheblich an Kosten ein. Deshalb spinne ich ein Szenario: Ein Verlag könnte mit genau dieser Technologie seinen gesamten Content nach Evergreens durch­forsten, die sich neu monetarisieren lassen. Am Ende geht es darum, mit der eigenen Brille daraufzuschauen und auch mal um die Ecke zu denken.