Da ich ein paar Jahre Borgholzhausen schlecht verlassen konnte, zumal nicht für weite Wege, war meine Wahrnehmung des Buchhandels weitgehend virtuell. Ich sah, las und bedachte, was die Kollegen redeten. Vornehmlich, was sie in der Facebook-Gruppe "Buchhandelstreff" posteten, aber auch da und dort ihre Interviews. Der Einzelhandel insgesamt, die Digitalisierung, das anders werdende Einkaufsverhalten. Postkarten scheinen eine Gegenbewegung zu WhatsApp zu sein, das fiel mir auch bei anderen immer auf. Ich habe mich von anfänglich einem auf nun vier Drehsäulen verändert. Ich verkaufe auch Einzelbriefumschläge mit Seidenfutter. Womöglich ist es bei Kollegen auch so, aber keiner postet das. Es ist natürlich nicht sehr wichtig, wenngleich bezeichnend.
Ein Tagesablauf ohne jeden Umsatz wäre problemlos möglich
Nach meiner (jetzt nicht mehr) heimlichen Theorie gibt es Gegenstände des Buchhandels, die sich eigentlich selbst genügen. So ein Einzelseidenbriefumschlag ist ein herrlicher Vorwand, das Gespräch zu suchen. Kostet 80 Cent, ist auch noch ästhetisch und sogar irgendwie weltanschaulich. Hier schreibt jemand Briefe. In Personalunion gern Unterstützer des Einzelhandels, auch mit Meinungen, wie diesem allgemein zu helfen sei. Autorenlesungen, Signierstunden, Bücherkisten, Kunstausstellungen. Schreibwettbewerbe, Poetry Slams, Anthologien derselben. Ein Tagesablauf ohne jeden Umsatz wäre problemlos möglich. Ich denke dann oft - wozu habt Ihr eine Bücherei vor Ort? Ein Kulturbüro, die vielen schönen Veranstaltungsreihen der Vereine und anderen Institutionen? Aber das ist meine Phantasie allein, denn die ganzen anderen meinen, das sei exakt mein Gewerbe. Herstellung kulturell relevanter Zusammenhänge. Ich ernähre mich von Luft und Liebe; unnötig zu sagen.
Positiv gewendet: Sie denken an uns. Ich wüsste von hier nicht, dass Kunden sich Elektro- oder Haushaltswarenläden mit vergleichbarer Liebe zuwenden. Ähnlich vorbehaltlos widmen sich die Menschen auf dem Land höchstens dem Raiffeisenmarkt. Dort gibt es alles für die Kaninchen, Hühner und Pferde. Außerdem Karoflanellhemden und Gummistiefel. Möglicherweise sogar Kaninchen selbst; das müsste ich überprüfen. Aber ich reiste ja, wie gesagt, herum, weil ich einen Roman zu verkaufen hatte und kann nur glauben, was die Kunden und mein Vater reden. Zum Beispiel: Steht ganz nah beim Pilz-Imbiss, wo es prima Bratwurst gibt. Und die Frau ist nett, der das gehört. So sind die Argumente hier.
Vitaler Einzelhandel ist Kommunikation
Unterwegs und im Gespräch lernte ich: Die Bezeichnungen mögen sich unterscheiden, aber die Strukturen sind vergleichbar. Ich traf einen Kollegen in belebter Kölner Lage. Wir aßen in einem Straßencafé Kuchen, tranken Kaffee. Mehrmals hielten Fahrräder, um ihm Bestellungen zuzurufen. Wie hier! Bei einer Lesung nahe München erzählten Teilnehmer, was sie erlebt hatten, als sie in meiner Gegend unterwegs gewesen waren. Wie hier! Ein Berliner Autor liest, und zuverlässig fragt jemand, ob er das Hotel kennt, wo sie mit den Schützen untergekommen waren. Mein schönstes Erlebnis: Ich las in Leipzig und schaute in vertraute Gesichter. Erste Reihe, wo sonst. Ich fand, sie hätten den Samstagabend auch anders verbringen können. Aber sie meinten, nein. Hier Kunde, da Kunde. Wie sich das gehört.
Strukturen, schreibe ich. Aber das ist schon fast zu viel. Ich glaube inzwischen, vitaler Einzelhandel hat ein hauptsächliches Kennzeichen. Es ist Kommunikation. Menschen möchten gern reden und sich durch Gespräch verbinden. Das ist keine ganz schlechte Grundlage, und ich beiße mir inzwischen öfter auf die Zunge, wenn ich zu Lesekreisen und Fotoausstellungen geladen werde. Ich hänge Plakate auf und unterhalte mich gern. Auch über Einzelbriefumschläge mit Seidenfutter. Die sind ja wirklich schön.
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