Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat sich im November 2018 gegen die Tolerierung des Gendersternchens ausgesprochen. Warum?
Es gab keine Mehrheit dafür. Zum Rat gehören ja neben Deutschland auch Österreich, die Schweiz, Südtirol, Liechtenstein und die deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens. Auch in der deutschen Gruppe gibt es starke Vorbehalte, u.a. wegen fehlender Belege: Die digitalen Korpora, die wir analysieren können, um die Durchsetzung in der Gesellschaft zu prüfen, bestehen im Wesentlichen aus Presseartikeln und in diesen kommt das Sternchen kaum vor.
Journalisten und Autoren scheinen besonders vehement an einmal festgelegen Schreibregeln festzuhalten.
Den Eindruck teile ich. Ein Argument der Journalistinnen und Journalisten ist, das Gendern würde vom Hauptinformationsinteresse ablenken. Außerdem kommt bei ihnen die Platzbegrenzung ins Spiel. Dass Schriftsteller oftmals Vorbehalte haben, sieht man an der Liste der Erstunterzeichner des Aufrufs des Vereins Deutsche Sprache aus Dortmund.
Wer sind die Treiber? Welche Institutionen und Gruppen fordern geschlechtergerechte Sprache?
Jüngere Menschen sind bei dem Thema sicher sensibler. Weit vorn sind die Universitäten: Im geisteswissenschaftlichen Bereich wird mittlerweile gefordert, dass Bachelor-Arbeiten durchgegendert werden. Für Kinder ist übrigens völlig klar, dass es sich um eine Torhüterin handelt, wenn eine Frau im Tor steht.
Sternchen, Unterstrich, Binnen-I: Welche Schreibweise verwenden Sie?
Ich schreibe tatsächlich sehr verschieden, verwende Sternchen und Binnen-I, am liebsten aber Doppelformen. In jedem Fall achte ich sehr darauf, wen ich wie adressiere.
Warum tun Sie das?
Mir geht es um Präzision. Der Verein Deutsche Sprache wirft dem Duden unter anderem vor, Luftpiratin als eigenes Stichwort im Duden verzeichnet zu haben. Wenn Sie lesen: Luftpiraten entführten das Flugzeug "Landshut" – welches Bild haben Sie dann vor Augen? Es waren aber zwei Männer und zwei Frauen!
Und was ist mit dem Sternchen?
Das Sternchen steht für alle, es ist ein Symbol für die Integration aller Menschen. Die Ansprache diverser Menschen ist in den aktuellen Diskussionen aber nicht das Hauptthema. Bis sich das Sternchen oder etwas Ähnliches durchsetzt, wird es noch eine Weile dauern, auch wenn in Stellenanzeigen schon überwiegend von männlich / weiblich / divers die Rede ist.
Seit wann ist gendergerechte Sprache wieder Thema?
Die öffentliche Diskussion verläuft in Wellen. In den 80er-Jahren wurde sie schon einmal vehement geführt. Vor etwa drei Jahren hat das Thema dann wieder Fahrt aufgenommen. Einen Höhepunkt markierte die Protestaktion des Vereins Deutsche Sprache gegen den Duden-Ratgeber "Richtig gendern" auf der Leipziger Buchmesse 2018 und die teils rechtslastigen Kundenrezensionen bei Amazon.
"Vergewaltigung der Sprache", "Ende des Abendlandes" - warum diese Aufgeregtheit?
Ich bin seit 22 Jahren in der Duden-Reaktion, eine dermaßen große Empörung erlebe ich nun – nach der Reform der Rechtschreibung – zum zweiten Mal. Natürlich freuen mich als Linguistin die vielen Diskussionen über Sprache, aber die Aggression, mit der diskutiert wird, finde ich verstörend. Es gibt viele extrem unangemessene Reaktionen. Was wir in unserem E-Mail-Postfach vorfinden, möchten Sie gar nicht wissen.
Aber es hat sich auch einiges getan…
Sehr viel! Auf den jüngsten Dortmunder Aufruf haben jedenfalls fast alle Medien glossierend reagiert mit dem Tenor: Rigoros alles beim Alten lassen, geht nicht mehr. Was also tun? Welche Möglichkeiten gibt es? Wir haben täglich Anfragen bekommen, von Krankenhäusern, Firmen, Behörden, und haben darauf jetzt mit einem weiteren Ratgeber reagiert.
Wie geht es weiter mit dem Gendern? Was ist Ihre Prognose?
Schwer zu sagen, das wird sich entwickeln. Ich finde es überhaupt nicht schlimm, wenn es eine lange Phase des Probierens und Experimentierens gibt. Es muss auch nicht die eine Lösung geben, die für alle gut ist. Sprache ist ein dynamisches Werk, das sehen Sie zum Beispiel auch an der Verwendung von Emojis. Wer hätte gedacht, dass wir zu einer Art Bildsprache zurückkehren würden?
In Schulen muss das Sternchen als Fehler angestrichen werden, an den Universitäten ist es Pflicht – sollte der Rat für deutsche Rechtschreibung sich im Mai nicht doch zur Tolerierung durchringen?
Ich glaube, das braucht noch Zeit.
Alles eine Frage der Ästhetik? Linus Giese über Binnen-I und Gendersternchen
Welche Möglichkeiten gibt es? Was empfiehlt der Duden? Wie gehen Verlage und der Buchhandel damit um? Was wünschen sich die Autoren? Gendern ist das Thema der Woche im Börsenblatt Heft 12, das am 21. März erscheint!
Ich möchte als Sprachwissenschaftler einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion leisten. Ich positioniere mich dabei als Kritiker des Genderns, aber nicht mit einer bloßen Meinung, sondern mit sprachwissenschaftlichen Argumenten.
Paul Pfeffer
Taugt „Gendergerechte Sprache“ als Mittel zu mehr Geschlechtergerechtigkeit?
Akteure:
- Feministische Sprachwissenschaftlerinnen der 70er Jahre (Pusch, Trömel-Plötz) (Bitte googeln) und ihre Nachfolgerinnen
- „Gender mainstreaming“ seit den 80er Jahren (Butler) (Bitte googeln),
- fest angestellte Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte in Universitäten, Parteien, Schulen, Behörden, Gewerkschaften, Medien, Institutionen seit den 90er Jahren; fast 200 Gender-Professuren im deutschsprachigen Raum (Bitte googeln)
Befund:
Deutsch ist eine „Männersprache“ (L. Pusch) und soll zu einer „Frauensprache“ (S. Trömel-Plötz) umgeformt werden.
Ziel:
Geschlechtergerechtigkeit, Förderung der Frauen, Zurückdrängen der „Männerlastigkeit“ der Sprache, „Sichtbarmachen“ der Frauen in der Sprache
Mittel:
Anleitungen zum „richtigen Gendern“, Sprech- und Schreibvorschriften vor allem in Parteien (z. B. die Grünen), Universitäten, Behörden, Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Institutionen, Medien
Das Gendern der Sprache ist aus folgenden Gründen problematisch:
- Gendern verkennt den Unterschied zwischen grammatischem „Geschlecht“ (Genus) und biologischem Geschlecht (Sexus)
Genus Sexus
maskulinum femininum neutrum männlich weiblich (div.)
der Baum die Blüte das Blatt der Mann die Frau ?
der Tisch die Vase das Hemd die Männer der Frau ?
der Storch die Amsel das Pferd der Herr die Herrin ?
der Mensch die Person das Leben das Männchen das Weibchen ?
der Mond die Sonne das Weltall das Jüngelchen das Mädchen ?
der Tod die Geburt das Ende das Männlein das Weiblein ?
der Sex die Sexualität das Bett der Star der Star ?
der Zaster die Münze das Geld der Stier die Kuh ?
der BH die Polizei das Alibi der Mensch (m/w)
Was wird hier sichtbar? Die grammatischen „Geschlechter“ (Genus, pl. Genera) sind nicht „logisch“, sondern historisch gewachsen, sie sind sprachliche Übereinkünfte.
Genus und Sexus haben nur in wenigen Fällen direkt miteinander zu tun, zum Beispiel dann, wenn Lebewesen allgemein oder Menschen und ihre Funktionen/Tätigkeiten/Berufe bezeichnet werden. Die meisten Nomen stehen im Deutschen übrigens im generischen Femininum, weil alle Abstrakta auf die Endungen -ung, -heit, -keit, -schaft, -tum, -tion, -lichkeit, -ligkeit „weiblich“ sind (z. B. die Mannschaft). Nomen mit der Endung -ismus sind dagegen alle „männlich“ (z. B. der Feminismus). Verkleinerungsformen (Diminutive) sind alle „sächlich“ (z. B. das Männchen).
Hauptthese: Die aktuell geltenden Formen der Sprache reichen aus, um hinreichend zu differenzieren und auch die Frauen „sichtbar zu machen“:
einzelne Personen: mehrere Personen unbestimmte Menge, anonym, beiderlei Geschlechts unbestimmtes Geschlecht
gezielte Ansprache: gezielte Ansprache:
der Wähler (m) die Wähler (m) und /oder
die Wählerinnen (f) die Wähler, (der) Wähler (neutral)
die Wählerin (f) in der Anrede: Sexus spielt keine Rolle (!),
Liebe Wählerinnen und
Wähler
Wo ist hier das Problem? Der Zankapfel ist das generische Maskulinum. Die feministischen Sprachwissenschaftlerinnen und die Gender-Ideologinnen behaupten, im generischen Maskulinum die Wähler, (der) Wähler würden die Frauen unsichtbar gemacht. Bei einem Ausdruck wie Wähler würden (ausschließlich) Männer assoziiert. Die Sprachfeministen wirken deshalb darauf hin, dass zukünftig von Wählenden gesprochen wird. In der substantivierten Partizipform seien alle Geschlechter angesprochen. Diese Sichtweise ist aber nur nachvollziehbar, wenn man die Gender-Brille auf der Nase hat. Sprachwissenschaftlich gesehen sind die generischen Pluralformen im Hinblick auf den Sexus neutral. Sie bezeichnen einfach nur Menschen, die wählen. In der geschriebenen, gegenderten Sprache sind mehrere Varianten im Umlauf:
Wähler(innen), Wähler/innen, WählerInnen, Wähler_innen, Wähler*innen, Wählx, Wählas.
Diese Schreibweisen sind streng genommen Verstöße gegen die deutsche Rechtschreibung. Ein Problem ist auch die Aussprache. Wie sollen z. B. der Gender-Stern, der Gender-Gap oder das x gesprochen werden?
Es unterliegt jedoch keinem Zweifel, dass die deutsche Sprache an einigen Stellen männerlastig ist. Dass bei Ausdrücken wie Ingenieur, Arzt, Experte fast immer Männer assoziiert werden, liegt jedoch nicht an Boshaftigkeit der Männer, sondern an den historisch entstandenen (aktuellen) Realitäten. Das wird sich erst dann ändern, wenn Frauen in nennenswerter Anzahl den Ingenieursberuf ergreifen. Bei Erzieher werden fast immer Frauen assoziiert. Auch das wird sich nur ändern, wenn mehr Männer sich für den Erzieherberuf entscheiden. Die Sprache wird sich dann über den Gebrauch ebenfalls ändern, falls die Sprecherinnen und Sprecher eine Änderung für nötig halten.
- Gendern sieht den Zusammenhang zwischen Sprechen und Denken zu einfach
Die Gender-Ideologie unterstellt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Sprechen und Denken. Deshalb kann überhaupt erst die Idee aufkommen, dass über feministische Sprachpolitik (Gendern) ein neues Denken (Geschlechtergerechtigkeit) gefördert werden könnte. Das stellt die tatsächlichen Verhältnisse auf den Kopf.
Der Zusammenhang zwischen Sprechen und Denken ist in Wahrheit wesentlich komplexer. Festzuhalten ist, dass neue Begriffe und Formen nicht durch Verordnung von oben entstehen, sondern auf Grund von Veränderungen in der gesellschaftilchen Realität. Das Internet als neue Technologie hat zum Beispiel in kurzer Zeit eine Menge neuer Begriffe hervorgebracht: googeln, downloaden, scannen, bloggen usw. Diese Begriffe werden wahrscheinlich in kurzer Zeit zu ganz selbstverständlichen Bestandteilen der deutschen Sprache.
Man darf erwarten, dass sich mit zunehmender Gleichberechtigung von Männern und Frauen auch das Sprachverhalten verändert. Das ist bereits geschehen durch selbstverständliche Verwendung weiblicher und männlicher Formen (Wählerinnen und Wähler). Wie sich das in Zukunft entwickelt, ist schwer vorherzusehen. Problematisch sind auf jeden Fall ideologisch motivierte Eingriffe ins Sprachsystem.
- Gendern macht die deutsche Sprache hässlicher, komplizierter, für Deutsche schwerer lesbar und für Ausländer schwerer lernbar.
Ein Beispiel aus einem Protokoll des Basler Gesundheitsdepartements:
"Bereits die mildeste und häufigste Form der Trennung einer ‘Rolle des Verantwortungstragens’ (Arzt/Ärztin) von einer ‘Rolle des sich-Anvertrauens und sich-Unterordnens’ (Patient/in) reduziert die Eigenverantwortlichkeit, mit der der/die Patient/in Entscheidungen in Bezug auf seine/ihre Gesundheit trifft. Damit wird der/die ‘beratende Arzt/Ärztin’ zum/zur ‘entscheidenden Arzt/Ärztin’. In bestimmten Situationen haben Patient/in und Arzt/Ärztin natürlich keine andere Wahl (zum Beispiel bei einer Notfallbehandlung eines/einer Bewusstlosen). Doch bereits die Entscheidung, ob ein vom Arzt/Ärztin empfohlener Wahleingriff durchgeführt werden soll, will der/die mündige Patient/in in Eigenverantwortlichkeit selbst treffen. Demgegenüber nimmt der/die unmündige Patient/in seine/ihre Eigenverantwortlichkeit nicht wahr, ohne dass er/sie durch zwingende Gründe daran gehindert würde."
Das ist zwar ein Extrembeispiel, zeigt aber sehr gut die Problematik. Ist dieser Text noch lesbar? Ist er für Menschen, die mit der deutschen Sprache Schwierigkeiten haben, noch verständlich? Worin besteht hier der Fortschritt für mehr Geschlechtergerechtigkeit?
- Gendern ist grammatisch zum Teil widersinnig
Am Studentenhaus der Frankurter Universität ist die alte Inschrift durch eine neue ersetzt worden. Das Studentenhaus heißt jetzt offiziell „Studierendenhaus“, weil sich im Begriff „Studenten“ angeblich nicht alle Geschlechter wiederfinden können. Das „Studentenwerk“ heißt neuerdings „Studierendenwerk“.
Die Umbenennung wirft jedoch nicht nur politische, sondern auch grammatische Fragen auf. Ist die Partizip-Form „Studierende“ bedeutungsgleich mit dem Nomen „Studenten“?
Was ist mit
Studentenkneipe Studierendenkneipe?
Studentenfutter Studierendenfutter?
Studentenwohnheim Studierendenwohnheim?
Wie sieht es mit der Verallgemeinerbarkeit dieser Neuregelung aus? (Endung -enten)
Dissidenten Dissidierende? Dezernenten Dezernierende?
Abonnenten Abonnierende?
Absolventen Absolvierende? Abschluss innehabende Person?
(Vorschlag aus einem Gender-Ratgeber)
Auch an den Tätigkeitsbezeichnungen haben sich die Sprachfeministen zu schaffen gemacht:
Das alte Wort „Lehrling“ ist schon lange durch „Auszubildender“ oder „Azubi“ ersetzt worden, weil alle Nomen mit der Endung -ling im generischen Maskulinum stehen und weil diese Endung nach Ansicht der Sprachveränderer eine Abwertung ausdrückt. Was ist aber mit
Säugling zu Säugender, Saugender?
Liebling zu Liebender?
Feigling ?
Auch alle Tätigkeits- und Berufsbezeichnungen mit der Endung -er stehen im generischen Maskulinum, Gendern führt zu seltsamen Gebilden:
Metzger Metzgende?
Fleischer Fleischende? Fleischverarbeitende?
Bäcker Backender
Fahrradfahrer Fahrradfahrende „Der Fahrradfahrende kam zur Tür herein.“
Steuerberater Steuerberatender
Raucher Rauchende? Raucherbein Rauchendenbein?
Christen Christ*innen? Christentum Christ*innentum?
Redner Redende? Redner*innen?
Bürger Bürgende? Bürger*innen
Meister Meisternde? Meister*innen
Werden dann aus den Bürgermeistern Bürger*innenmeister*innen? Oder aus dem Einwohnermeldeamt ein Einwohner*innenmeldeamt?
Redewendungen werden zum Problem:
Jeder ist seines Glückes Schmied Jede/jeder ist ihres/seines Glückes Schmied*in?
Übung macht den Meister Übung macht den/die Meister*in?
Frauen sind die besseren Autofahrer Frauen sind die besseren Autofahrer*innen?
Die Polizei – dein Freund und Helfer Die Polizei – deine Freund*in und Helfer*in)
Die Neuregelungen sind in der Regel nicht verallgemeinerbar. Sie schaffen viele neue grammatische Zweifelsfälle und sprachliche Unklarheiten.
- Gendern geht in einigen Fällen gar nicht
der Mensch die Menschin? Menschen Mensch*innen?
die Deutschen, die Deutsch*innen? Deutsche Deutsch*innen?
der Feiglinge die Feigling*in? Feiglinge Feigling*innen
Sollen literarische Texte (Gedichte, Romane) gegendert werden? Sollen bereits geschriebene Texte nachträglich gegendert werden? Fast alle Dichter und Schriftsteller lehnen das ab und halten das Gendern ihrer Texte für eine Zumutung.
Dennoch gibt es auch sinnvolle Vorschläge. Nichts spricht dagegen, das „Rednerpult“ statt in „Redner*innenpult“ in „Redepult“ umzubenennen, wie es einige Gender-Anleitungen vorschlagen.
- Gendern kostet viel Geld, weil Formulare, Aufschriften, Schriftstücke aller Art (z. B. in Behörden) neu hergestellt werden müssen
Das ist zwar kein sprachwissenschaftliches Argument, aber trotzdem wichtig, weil die Kosten für Gender-Anleitungen sowie neue Formulare in Behörden und Institutionen von den Steuerzahlern aufgebracht werden müssen. Es sind bereits große Summen dafür ausgegeben worden (jüngstes Beispiel: Stadtverwaltung Hannover).
Kurze Bewertung aus sprachwissenschaftlicher Sicht:
1. Das Gendern der Sprache ist bereits im theoretischen Ansatz falsch, weil der Impuls von der Gender-Ideologie ausgeht, nicht vom tatsächlichen Sprachgebrauch. Sprache verändert sich aber durch den Sprachgebrauch und nicht am sprachfeministischen Reißbrett. Sie verändert sich von unten nach oben, nicht umgekehrt, es sei denn, man betreibt bewusst Sprachpolitik in manipulativer Absicht.
2. In der praktischen Wirkung ist das Gendern der Sprache kontraproduktiv. Mehr Geschlechtergerechtigkeit wird nicht durch Sprachvorschriften erreicht, sondern durch politische und gesellschaftliche Veränderungen, wie sie in den letzten vierzig Jahren verstärkt stattgefunden haben. Dieser Prozess wird weitergehen, und die Sprache wird ihn angemessen abbilden. Das kann vielleicht etwas länger dauern, als bestimmte Aktivisten es sich wünschen. Eine feministische Sprachpolitik braucht es dazu nicht. Es ist – nebenbei bemerkt – schon irritierend, wenn ausgerechnet Menschen, die sich selbst für sensibel und achtsam halten, keine Skrupel haben, die Sprache zu misshandeln.
Letztlich geht es um Deutungshoheit und um Macht. Obwohl die Verfechter des Genderns eine kleine Minderheit sind, haben sie großen Einfluss. Ihr Hebel ist eine bestimmte Moral. Wer sich der neuen Sprachpolitik verweigert, gilt als rechts, frauenfeindlich, reaktionär, gestrig. Sachargumente aus der Sprachwissenschaft haben keine Chance, denn nicht die Sache – die Sprache – ist wichtig, sondern die „richtige“ Gesinnung. Der Mehrheit soll eine Sprachregelung verordnet werden, um das Bewusstsein in Richtung der Gender-Ideologie zu verändern. Man kann das auch Manipulation und Bevormundung nennen. Geschlechtergerechtigkeit wird dadurch nicht befördert, eher im Gegenteil. Das Gendern der Sprache durch eine Minderheit erweist der Sache der Frauenemanziation einen Bärendienst, weil die Veränderungen im Kern sprachfremd sind und weil die große Mehrheit der Sprecherinnen und Sprecher Eingriffe „von oben“ in das Sprachsystem ablehnt.
Die Ablehnung ist oft intuitiv, weil die meisten Menschen wenig Einblick in das Sprachsystem haben, aber merken, dass da etwas in die falsche Richtung läuft. Die Zustimmung auf der anderen Seite ist oft blind, weil sie aus einer Mischung aus Unkenntnis über die Funktionsweise der Sprache, schlechtem Gewissen und falscher Solidarität mit feministischen Aktivistinnen erfolgt.
Fazit: Unbedachte und ideologisch motiverte Eingriffe in das gewachsene Sprachsystem verursachen Unsicherheiten und grammatisches Durcheinander.