Die EU-Richtlinie für das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt ist noch nicht am Ziel. Weil sich Deutschland und Frankreich bisher nicht über ein Detail bei der Plattformregulierung (Artikel 13 der Richtlinie) einigen konnten, tritt das Trilogverfahren auf der Stelle. Der EU-Rat hat bisher noch keine gemeinsame Linie gefunden, mit der er im Trilog mit dem Parlament eine Kompromisslösung erarbeiten kann. Wie aus Verhandlungskreisen verlautet, soll eine Einigung zwischen Deutschland und Frankreich unmittelbar bevorstehen.
Deutschland und Frankreich streiten sich über ein Detail der Urheberrechts-Richtlinie – ob Startups einer bestimmten Größe von der Plattformregulierung ausgenommen werden oder nicht. Glauben Sie an eine rasche Einigung in diesem Punkt?
Das hoffe ich. Man muss sich dabei auch immer das große Ganze vor Augen halten: Wenn jetzt keine Einigung zum Urheberrecht zustande kommt, dann freuen sich die Netzaktivisten, aber vor allem Plattformen wie Youtube und andere, dass ihre Einmischung in die europäische Gesetzgebung erfolgreich war. Es wäre ein ganz schlechtes Zeichen für die europäische Politik, wenn diese Urheberrechtsrefom scheiterte. Denn sie ist nur ein kleiner Mosaikstein in der Frage, wie wir auf richtige Weise digitale Monopole regulieren – dazu gehören Wettbewerbsrecht, Steuerfragen, Datenschutz, gezielte Propaganda vulgo Fake News und eben das Urheberrecht. Gerade jetzt, nach dem erneuerten Élysée-Vertrag, sollte die Sache nicht an Deutschland und Frankreich scheitern.
Was würde den Kreativen drohen, wenn diese Richtlinie scheitert?
Dann bliebe eine Wertschöpfungslücke, und die Künstler, die ihre Inhalte ins Netz stellen, würden nicht angemessen honoriert. Sollte die Richtlinie aber kommen, würden Google & Co. auch nicht alle geschützten Inhalte blockieren, wie sie jetzt androhen. Denn ihr Geschäftsmodell basiert ja darauf, dass Inhalte massenhaft zur Verfügung gestellt werden. Und selbst wenn Youtube-Kanäle abgeschaltet würden: Es würden neue legale Angebote entstehen – wie Spotify nach dem Ende der Tauschbörsen. Warum sollten Internetplattformen nicht in der Lage sein, Inhalte zu lizenzieren, wie dies Fernseh- und Rundfunkanstalten schon lange tun?
Welche Folgen hätte es speziell für die Buchverlage, wenn die Richtlinie nicht kommt?
Wenn sie nicht käme, was ich nicht glaube, wäre das vor allem für kleinere Verlage problematisch, die sich nach allen Debatten um die VG Wort und nach dem „Vogel“-Urteil auf eine Aufteilung der Ausschüttungen zwischen Autoren und Verlagen geeinigt haben. Dieses faire Modell wird von Piraten, Netzaktivisten und anderen Organisationen unter Berufung auf das „Vogel“-Urteil mit dem Argument in Frage gestellt, dass dieses Verhältnis zwischen Autoren und Verlagen per se ungerecht sei. Verlage, so die Lesart, seien so stark, dass sie Autoren nur ausbeuten.
Wenn auf europäischer Ebene nichts passieren sollte – könnte der deutsche Gesetzgeber dann hilfsweise tätig werden?
Der nationale Gesetzgeber könnte noch einmal tätig werden, aber es wäre sehr viel besser, wenn man auf europäischer Ebene, und das heißt für den Binnenmarkt, eine Regelung findet. Die Umsetzung in nationales Recht erfolgt dann ohnehin, mit einer Verzögerung von etwa zwei Jahren.
Was könnten Politik, Verlage und Kreativverbände tun, um die Schutzwürdigkeit und faire Honorierung kreativer Leistungen im öffentlichen Bewusstsein zu stärken?
Im Grunde müsste man so argumentieren wie bei jeder anderen Arbeitsleistung auch. Hier geht es um Inhalte von Dritten, die genutzt, aber nicht angemessen bezahlt werden. In einem Krankenhaus oder bei einem Fahrzeugbauer würde es niemand in Frage stellen, dass die Mitarbeiter angemessen bezahlt werden. Warum soll das für die kulturelle Arbeit nicht gelten? Das ist ein völliger Systembruch.
Wenn es für Verlage und andere Inhalteanbieter nicht möglich wäre, fair honoriert zu werden, hätte dies nicht nachteilige Folgen für die Meinungsfreiheit?
Mittelfristig gäbe es dann weniger Qualitätsinhalte und Meinungsvielfalt. Die Plattformen könnten dann erst recht mit ihren Algorithmen bestimmen, was gerankt wird und was nicht.
Sie haben in der "Welt" von einem massiven Kulturkampf gesprochen, in dem wir uns befinden. Wie ist es dazu gekommen?
Das hat mit der digitalen Revolution in den 90er Jahren begonnen, mit Protagonisten wie dem US-Juristen Lawrence Lessig, der behauptet hat: "Code is Law" – dass also die Programmierer alles, die liberale Demokratie und die Parlamente hingegen gar nichts mehr zu sagen haben. Das war natürlich eine Kampfansage an die liberale Demokratie und die öffentliche Gesetzgebung. Am Anfang des Internets stand die paradiesische Verheißung, dass jeder Zugang zu Wissen und Kultur hätte, und alle alles miteinander teilen können. An diesem Punkt hat der digitale Kapitalismus angesetzt und Konzerne hervorgebracht, die heute nicht nur in China den Weg in einen Überwachungsstaat ebnen, auch wenn viele Nutzer das überhaupt nicht so sehen, sondern meinen, ihre Freiheit im Netz verteidigen zu müssen.
Ist das der Grund dafür, dass Netzaktivisten und Tech-Konzerne eine merkwürdige Allianz eingehen?
Udo di Fabio hat in seinem Buch über Urheberrecht und Kunstfreiheit dargelegt, dass die Netzaktivisten de facto die Hilfstruppen der digitalen Monopole sind. Sie genießen die Freiheiten, die ihnen Google gewährt, und sehen hinter allen kulturellen Angeboten, die Geld kosten, Ausbeutungsstrukturen. Dass sie aber mit ihren Daten zahlen, taucht in diesem Diskurs nicht auf. Internetaktivisten und Piratenpolitiker argumentieren zwar damit, dass sie auch gegen Monopole sind und nur die Nutzerfreiheit verteidigen, aber letztlich arbeiten Sie den Internet-Konzernen in die Hände. Sie wollen nicht erkennen, dass die Kostenloskultur nicht die Abschaffung des Kapitalismus bedeutet, sondern in seiner digitalen Ausprägung dessen avancierteste Form ist.
Lassen sich die Befürworter der Netzfreiheit von einem überzogenen Freiheitsbegriff leiten?
Sie vertreten einen extrem einseitigen, neoliberalen Freiheitsbegriff. Wenn eine freiheitliche Gesellschaft keine Grenzen setzt, dann gewinnt immer der Stärkere. Das galt auch schon in der analogen Marktwirtschaft. Diese Entwicklung halte ich für sehr gefährlich, und deshalb bin ich keine Anhängerin des unbegrenzten Freiheitsbegriffs. Es muss gesellschaftliche Regulierungen für Freiheitspotenziale geben.
Weshalb sind die Netzaktivisten und Piraten dann so erfolgreich?
Es ist ihnen gelungen, mit Kampfbegriffen wie „censorship machine“ oder „Upload-Filter“ ein Freiheitsnarrativ für sich zu kapern, das viele Anhänger hat.
In Ihren Beiträgen sprechen Sie von der Notwendigkeit, das Freiheitsnarrativ von Google zu dekonstruieren ...
Man muss klarmachen, was an dieser Freiheitserzählung falsch ist, wem sie dient und wem sie schadet. Google und Facebook machen kein Hehl daraus, genau dies zu verhindern. Ich habe von deren Urheberrechts-Anwälten im Silicon Valley offen gesagt bekommen: "Wir werden uns in die EU-Gesetzgebung einmischen."
Also sind die Machtverhältnisse nach Googles Verständnis sozusagen geklärt ...
Eben weil sich darin eine solche Machtanmaßung bekundet, bin ich der Meinung, dass wir in der EU das Selbstbewusstsein haben müssen, eine angemessene Regulierung durchzusetzen.
Wenigstens in der Kunst und Kultur wäre zu erhoffen, dass die Vernunft obsiegt.