Kommentar von Torsten Casimir
Die Kleinen werden unterschätztNähme man das herrschende Gerede für bare Münze, würden sich die Verhältnisse im Buchmarkt ungefähr so darstellen: Amazon ist ohnehin der Größte. Der Filialbuchhandel wächst wieder und verleibt sich Läden ein, wo immer welche zum Verkauf stehen. Die Kleinen leben zwar noch, aber sie werden weniger und ärmer. Die Hersteller betäuben ihren Schmerz auf der Streckbank des Werbekostenzuschusswesens, indem sie davon träumen, den Endkunden sehr genau kennenzulernen und bald höchstpersönlich bedienen zu können.
Die Wirklichkeit ist eine andere. Beim Feierabendbier am Buchmessestand von Media Control erschien die Realität unverhofft in Gestalt zweier verblüffender Zahlen. Was die Baden-Badener Mess-Diener da an ihre Standwand beamten, straft den Erzählungsmainstream von den Kraftverhältnissen Lügen: Während die Ketten in den ersten drei Quartalen des Jahres 4,9 Prozent an Umsatz einbüßten, legten die kleinen Händler im selben Zeitraum um 0,7 Prozent zu. Die Differenz stellt das aktuelle Gesamtminus von 1,3 Prozent in ein helleres Licht. Es ist also die alte, mit ihrer beispiellosen Vielfalt bis heute die Preisbindung begründende Struktur, welche die Buchwirtschaft vor schlimmerem Schaden bewahrt.
Diese Struktur wird von Marketing- und Vertriebsleuten der Verlage seit geraumer Zeit unterschätzt. Vielleicht wirkt eine Art Konsenszwang unter Profis: Was Kollegen anderer Unternehmen im selben Funktionssegment sagen, sage ich auch. So versichere ich mich gegen das Risiko, allein falsch zu liegen. Zugleich begebe ich mich der Chance, allein richtig zu liegen, aber dieser Verzicht tut ja akut nicht weh.
Die Zahlen von Media Control legen eine Abkehr vom allseits Geglaubten nahe. Sie regen dazu an, Werbeaufwände neu zu justieren unter dem Aspekt von Eigennutz. Es geht nicht um lebensverlängernde Maßnahmen für Siechende. Es geht nach wie vor um den wichtigsten Absatzkanal für Bücher.
Zitat: "Die Zahlen von Media Control legen eine Abkehr vom allseits Geglaubten nahe. Sie regen dazu an, Werbeaufwände neu zu justieren unter dem Aspekt von Eigennutz. Es geht nicht um lebensverlängernde Maßnahmen für Siechende. Es geht nach wie vor um den wichtigsten Absatzkanal für Bücher."
Klaus Kowalke
Lessing und Kompanie
Menschen werden in Zukunft Umsätze für bestimmte dingliche Produkte vermehrt und irgendwann ausschließlich an solche Orte tragen,
an denen sie Dialog und Austausch, Gespräch und Zuwendung erfahren.
Es gibt Buchhandlungen, die das immer geblieben sind:
Besondere Orte kultureller Begegnung, an denen wir
Menschen treffen, die lieben, was sie tun. Diese nennen wir zur
Zeit »unabhängig«.
Diese Buchhandlungen sind gut aufgestellt für eine Zukunft,
in der Kultur und Sinnsuche, Welterfahrung und
Herzensbildung eine gesellschaftliche Renaissance erleben,
eine Renaissance, die, wenn wir ins Land blicken, sichtlich begonnen hat.
Dies – die Persönlichkeit des Handels, seiner Orte, seiner Mitarbeiter – scheint mir der zentrale Vorteil des unabhängigen Sortiments gegenüber »Kette« und »Onlineritis«. Ein Vorteil, der sich nun in Zahlen dokumentiert, und manchen Verlag zumindest zu einem Moment des Innehaltens bewegen sollte.
Und hoffentlich kommen in die Stimmen der interviewten BuchhändlerInnen wieder Zuversicht und Hoffnung. Aber vor allem: Selbstbewusstsein! Und auch die Buchhandlungen sollen wieder mehr nach Buch, und weniger nach Nicht-Buch aussehen. Wenn schon die Buchhändler nicht mehr an ihr ureigenes Produkt glauben - wie sollen es denn ihre KundInnen.
ein bisschen haben wir es hier mit Äpfeln und Birnen zu tun.
Dennoch ist diese positive Botschaft, besonders wenn sie spannende Handlungsoptionen für Verlage und Buchhändler bietet, richtig und wichtig. Diese Zahlen in Kombination mit den nicht hoch genug zu bewertenden Ergebnissen der Börsenvereins Kundenbefragung und Analyse "Quo vadis" zeigen deutlich, was nun zu tun ist. Es gibt noch Hebel: für die Vertriebe, für die Marketingabteilungen, für die Buchhandlungen, für die Innenstädte. Aber eben keinen großen, einen Hebel, sondern viele, kleine Hebel. Das ist mühsamer als in den 80er Jahren, zugegeben. Aber es bringt die notwendigen Ergebnisse und macht Freude. Und dem Kunden und seinen Bedürfnissen und Interessen sind wir heute näher denn je. Viele Grüße Ihre Stephanie Lange
Vielleicht täte auch Herrn Busch von Thalia, oder in den Geschäftsleitungen der großen und regionalen Filialisten eine Wahrnehmung dieser Zahlen gut. Ich sehe da immer große Flächen mit geringer Frequenz und hohem Personalaufwand. Nur gut, dass jetzt einmal das Geschäftsmodell der Kleineren mit poisitiven Zahlen unterfüttert wird. Die Zukunft wird es zeigen... Für mich jedefalls ist klar, dass auf die Dauer nur der authentische persönliche Buchhandel - wenn er gut geführt ist - neben den wachsenden Online-Umsätzen erfolgreich sein kann.
Nicht erst seit den Zahlen von Media Control weiß ich: ich machte offenbar gar nichts falsch und das lange traurige Siechtum des Buchtempels in Krefeld war mir in den Folgejahren stets eine Warnung.
Viele inhabergeführte Buchhandlungen sind mittlerweile für die Innenstädte systemrelevante Inseln. Wenn man die schlimmsten kaufmännischen Fehler vermeidet, sich vernetzt, keinen zu hohen Investitionsstau aufkommen lässt und sich eine gesunde neutrale Außensicht auf das eigene Geschäft bewahrt, dann kann man nicht nur überleben, sondern auch gut leben. Uns gibt es jetzt jedenfalls schon seit etwas mehr als 20 Jahren und unser Steuerberater staunt mittlerweile nicht mehr darüber.