"Wenn die Buchpreisbindung fällt, müssen kleine Buchläden schließen", beschied mich ein Kunde. Er hatte das irgendwo gehört und wollte sich dazu besprechen. Ich überlegte, was ich sagen sollte. Das Bild allein war irritierend genug. Denn wie fällt ein Gesetz? Wie ein Dominostein, dem andere folgen? Keine Ahnung. Ich meine auch, die Buchpreisbindung ist gerade kein akutes Problem. Sie wird aber gern vorgeschoben. Lobbyarbeit und liebevoller Heimatschutz am Sortimentsbuchhandel haben einen romantischen Nebel produziert, in dem man sich vor den Herausforderungen der Gegenwart ganz gut verstecken kann - als Kunde wie als Sortimentsbuchhändler. Deswegen etwas Licht:
1. Die Buchpreisbindung als Preisabsprache zwischen Buchhändlern, Verlegern und Großhändlern existiert in den Ländern deutscher Sprache seit 1888. Die Verfassungsform nannte sich konstitutionelle Monarchie, das Staatsoberhaupt war ein 1797 geborener Mann namens Kaiser Wilhelm. Wollte man ernsthaft diskutieren, der Sortimentsbuchhandel würde durch die Abschaffung der Preisbindung unmittelbar dahingerafft, müsste man eine historische Vergleichssituation von vor 1888 aufsuchen. Ich halte das für verwegen.
2. Dass sich die Männer im Börsenverein, allen voran der Vorsteher Adolf Kröner (1836-1911) aus Stuttgart, auf Preisabsprachen verständigten, lag an der miserablen Situation der Provinzbuchhändler. Seit 1875 galt die Reichspostordnung mit einheitlichen Bemessungen und Tarifen. Ländliche Kunden ließen sich Ware aus Leipzig und Berlin frei Haus kommen, und die großen Händler gewährten hohe Nachlässe. Das Klagewort der Stunde lautete Schleuderei. Die Krönersche Reform basierte auf Kollegialität. Dass man miteinander gut umging, scheint mir erwähnenswert. Man sollte das beibehalten. Und man sollte sich hin und wieder darüber freuen, dass die Diskussionen über den Buchhandel heute von Männer und Frauen einigermaßen gleichberechtigt geführt werden.
3. Das Preisbindungsgesetz ist kein Anti-Amazon-Gesetz. Es trat 2002 in Kraft und überführte die weitgehend privatrechtlich gehandhabte Buchpreisbindung in ein Gesetz auf Bundesebene. Hintergrund waren kartellrechtliche Bedenken der EU-Kommission. Das exponentielle Wachstum des Onlinehandels hat damit nichts zu tun. Wir können aber in dieser Situation über unser Biotop von preisgebundener Ware und funktionierender, eigener Logistik sehr froh sein. Ich finde den Verweis auf die sozialversicherungspflichtig beschäftigten Barsortimentsfahrer ein gutes Argument gegen Amazon. Kurierdienstfahrer aus Bulgarien tun mir immer Leid. Sie sind die neuen Dienstboten in Europa, und ich finde das unmöglich.
4. Ein vergleichbarer Konflikt zwischen Konsumentenverhalten und dem Anpassungsdruck auf stationäre Einzelhändler wäre die Abgrenzung zum Warenhausbuchhandel um 1900. Arrivierte Verleger verweigerten die Belieferung von Kaufhaus Wertheim in Berlin. Es fanden sich neue Verleger für Wertheim, und das sogenannte billige Buch, ein um die Jahrhundertwende zwischen Bestseller-Autoren und ihren Verlegern hitzig diskutiertes Thema, führte langfristig zu einer Preisanpassung, die allen Lesern zugutekam. So etwas nennt sich Innovation.
5. Innovation ist gut, auch im Kulturbereich. Ich habe in diesem Text das Thema der Kulturvermittlung bisher vermieden. Das ist philologisch unpräzise, denn jeder einzelne Aufsatz, jeder Brief und alle Kommentare zum Preisbindungsgesetz salzen mit der Vokabel "Kultur" herum wie ein verliebter Aushilfskoch. Aber keiner definiert den Begriff. Das wiederum halte ich für waghalsig. Vieles, was der inhabergeführte Sortimentsbuchhandel derzeit unter dem Label eines kulturellen Auftrags durchführt, ist nicht sehr geistreich. Ich will damit nicht sagen, dass es keine leichten Bücher geben soll. Nur: Die Preisbindung für Vampirromane ist längst nicht so glaubwürdig wie die für Goethes Faust.
6. Es sind schon gefährlichere Produkte als Ausmalbücher für Erwachsene und Serienromane aus dem fiktiven Hochadel erschienen. Sie sind nicht so wichtig, und sie dürfen gern auch einfach Geld verdienen. Entscheidend (und preisbindungswürdig) sind die Bücher mit den Texten: Große Romane, historische Überlieferung, profundes Wissen, das es eben nicht bei Google gibt. Diesen Inhalten müssen wir uns wieder stärker widmen. Der ökonomische Schutz des Buchhandels ist mit Verpflichtungen verbunden. Ich möchte sie behelfsweise unter dem Begriff "Kompetenz" zusammenfassen. Ein Anfang wäre, über die Preisbindung nebelfrei Bescheid zu wissen und den Kunden zu sagen: Der Buchhändler lebt grundsätzlich nicht vom Preisbindungsgesetz, sondern von Ihrem Umsatz.
Frau Bergman setzt sich für den Erhalt der Buchpreisbindung ein.
Und diese ist notwendig, um die Vielfalt der Bücher bei uns zu erhalten.
Zudem haben Bücher auch ja einen kulturellen Wert.
Im Ernst: Wer kommt denn auf dieses schmale Brett, Inhalte in mehr oder weniger schützenswert aufzuteilen?!? Und was soll die Haarspalterei, ob wir "von der Preisbindung" leben: Natürlich leben wir vom Umsatz des Kunden. Der allerdings dürfte ohne Preisbindung nur noch stark dezimiert bei uns ankommen. Und warum meint Frau Bergmann, der Buchhandel sei nicht innovativ genug, sondern verstecke sich in "liebevollem Heimatschutz und romantischem Preisbindungs-Nebel"? Ich versteh' das alles nicht . . .
Meine Frage nach dem Lesen dieses Beitrags lautet: Was will Frau Bergmann uns eigentlich sagen?
Eine historische Vergleichssituation von vor 1888.. wieso? Seither hat sich so einiges ein wenig verändert. Meines Wissens nach kam zum Beispiel das Internet und mit ihm die Onlinehändler ein wenig später. Müsste ich nochmal genau nachschlagen. Sollte aber eine Vergleichssituation doch vonnöten sein, so wird sie gleich in Punkt 2 selbst angeführt: Den Provinzhändlern ging es schlecht. Das wäre heute mit fallender Buchpreisbindung (ja, ich werfe sie absichtlich wie einen Dominostein) nicht anders. Wobei in diesem Fall die Provinz der vor allem inhabergeführte, stationäre Buchhandel wäre. Die Filialisten könnten ja vermutlich etwas länger ausharren.
Den Begriff der "Kultur" mit inhaltlichem Gefallen zu definieren, ist völliger Quatsch. "Das Gesetz dient dem Schutz des Kulturgutes Buch", heißt es im Buchpreisbindungsgesetz. Und natürlich ist jedes Buch ein Stück Kultur. Mag es inhaltlich noch so sehr missfallen oder gegen Goethe abstinken - es malt ein Bild unserer Gesellschafts- und Bildungsstruktur. Ich persönlich hätte Goethe im Vergleich zu seinen Schreiberkollegen auch den Rang des Kulturellen abgesprochen, wäre ich dazu gezwungen worden, eine Unterscheidung festzusetzen. Aber zum Glück zwingt uns ja niemand. Und egal, ob Goethe oder Vampirroman - die Hauptsache ist doch, dass die Menschen lesen. Was und wie ist mir herzlich egal. Mein Geschmack muss es ja nicht sein. Was mir - und uns allen - nicht herzlich egal ist, ist die Frage nach dem Wo. Und diese kann nur mit "In der örtlichen Buchhandlung" beantwortet werden, solange es diese auch noch gibt. Ohne Buchpreisbindung wird das nicht so sein. Und deshalb antworte ich gern jedem Kunden, der mich auf selbige anspricht gern, wie sehr ich sie begrüße und dass wir ohne sie ein ganzes Stück näher an unserer Arbeitslosigkeit wären.
Achso: Und ja, der Buchhändler lebt nicht grundsätlich vom Preisbindungsgesetz, das ist richtig. Aber weitergedacht: ohne Preisbindung keine Chance gegen den Onlinehandel, also keine Überlebenschance.
Während ich hier so schreibe frage ich mich übrigens, was genau der Beitrag eigentlich aussagen sollte. Er wirkt eher wie ein nebulöser Lückenfüller als ein Statement.
Hat sich sonst seither nix mehr geändert? Die Quervergleiche mit Großbritannien (oder eingeschränkt der Schweiz) erscheinen mir plausibler.
@Jenny: Im Übrigen ist aber auch das Argument, der Buchhandel würde ohne Preisbindung nicht überleben, ein fadenscheiniges. Wie leben denn andere Branchen, ohne Preisbindung, aber mit mindestens genauso starker Onlinekonkurrenz? Egal ob Edeka, mediamarkt oder Intersport: die Betriebe arbeiten alle auf Hochtouren, schreiben Gewinne und haben einen Haufen Kunden. Selbst die Drogeriemärkte, deren Preisbindungs-Abschaffung mir als erstes einfällt, leben sehr gut mit freier Preisgestaltung.
Der neueste Trend unter OnlineHändlern ist doch, stationäre GEschäfte aufzumachen - siehe Amazon, aber auch zB Shoepassion. Klar spielen die da alle ihre Trümpfe aus, aber sie würden das nciht tun, wenn es sich nicht auch rentieren würde.
Das stärkste Argument scheint mir doch die Unmöglichkeit der Unterscheidung zwischen "Faust" und "Vampirroman" zu sein. Wer wollte sich anmaßen, zu definieren, was schutzwürdig ist? Immerhin ist Das Goldene Blatt genauso preisgebunden wie die Lettre International.
Buchhändlerische Grüße,
Johannes