Reaktionen auf den Käuferschwund

Agieren statt Abwarten (2)

13. Juni 2018
Redaktion Börsenblatt
Dass Käuferzahlen und Kundenfrequenz sinken, lässt sich wieder ändern, denken Unternehmen aus der Branche – hier begründen sie ihren Optimismus, berichten von Erfahrungen und verraten, was sie strategisch vorhaben. Teil 2: Verlage. 
Bücher neu inszenieren, Mut zum Weglassen: Bastei Lübbe

Wie können Buch und Internet eine bessere Verbindung eingehen? Braucht das Buch ein neues, positives Narrativ? Machen wir zu viel vom immer Gleichen? Für viele Branchenprofis beginnt mit den Käuferrückgängen eine Zeit kritischer Selbstbefragung – auch für Klaus Kluge, Programm- und Marketingvorstand bei Bastei Lübbe. Dass es ihm nicht um Schwarz-Weiß-Antworten geht, zeigt sein Kommentar zu den zahllosen Doubles im Regal der Branche: Die Flut von Büchern, die sich in Cover, Ansprache und Inhaltsversprechen stark ähneln, hält er für ambivalent. "Der Vorteil des Gleichen ist: Der Handel kauft ein, wenn er etwas wiedererkennt. Der Nachteil ist: Der Kunde wird verwirrt und fühlt sich desorientiert." 

Daher lautet das Plädoyer des Kölner Marketingstrategen: "Lasst uns von Globetrotter lernen. Die zeigen, wie Produkte inszeniert werden können. Globetrotter lehrt uns aber auch, dass wir mehr Mut zum Weglassen brauchen." Nötig sei die Bereitschaft, etwas Singuläres anzubieten – und Bücher zielgruppengerechter auszustatten. Vonseiten des Sortiments wünscht Kluge sich ebenfalls Investitionen, vor allem in höhere Attraktivität, Emotionalität und Orientierungshilfe auf den Handelsflächen. 

"Die Kunden suchen ja den Touchpoint zum Buch", betont er. Um sie dort aber richtig ansprechen zu können, bedürfe es einer engen Begleitung durch Marktforschung – das ins Bewusstsein gerückt zu haben, sei das größte Verdienst der Käuferstudie des Börsenvereins. Das Interview mit Klaus Kluge im Wortlaut: "Wir brauchen einen Schulterschluss zwischen Lesern und Handel"

www.luebbe.de

Mitten rein in die Zielgruppe: GeraNova Bruckmann 

Von der Käuferstudie hat das Verlagshaus Anfang des Jahres von mehreren Seiten gehört, auch mit der GfK darüber gesprochen, berichtet Vertriebsleiter Udo Zimmermann. Den Käuferschwund – verursacht etwa durch die Zunahme von Netflix-Abos und Amazon Prime-Kunden – wertet er als "bedrohliche Situation", zeichne sich darin doch ein umfassender Wandel ab. Die potenziellen Leser hätten "einfach zu wenig Lebenszeit" übrig, meint er, und vergleicht: Auf die Autoindustrie bezogen, würde das nicht etwa die Entwicklung von Hybrid-Modellen bedeuten, sondern die komplette Abkehr weg vom Auto hin zum Flugzeug.

"Alle Rezepte, die wir in der Vergangenheit verfolgt haben, greifen nicht mehr", so Zimmermann: "Und doch müssen wir in irgendeiner Form reagieren."

Für sein Verlagshaus heiße das vor allem, "wir müssen mit dem, was wir machen, besser werden". Dabei seien nicht so sehr neue Vertriebswege gefragt, sondern man fange bereits beim Produkt an – im Fokus haben die Münchner dabei immer die Zielgruppen. Eine eigene Marktforschungsabteilung berät, lädt Fokusgruppen ins Haus ein.

Von Vorteil sei es, dass man auch 26 Zeitschriften im Programm hat – so können dort Anzeigen geschaltet werden. Ein weiteres Plus, das der Vertriebsleiter anführt: Viele der Buchautoren sind Teil der jeweiligen Zielgruppe. "Insofern wissen wir recht gut Bescheid, was draußen bei den Kunden passiert", sagt Zimmermann. Die Präsenz auf Messen (etwa Wohnmobil, Fotografie) und Kooperationen soll dies noch verstärken. Zimmermann: "Wir wollen mittenrein in die Zielgruppe" – Kunden treffen, neue Autoren finden. Ziel sei es, Bücher zu machen, die die Kunden erreichen.

Das Thema "Emotion" sei dabei ein wichtiger Baustein, und man versuche einen Wow-Effekt zu erzielen. Die Leser wollen überrascht werden, erwarten immer neue Produkte, weiß Zimmermann. Zudem hätten sich die Sehgewohnheiten geändert, das berücksichtigt der Verlag bei der Covergestaltung.

Vor zwei Jahren habe GeraNova Bruckmann begonnen, Bildbände zu höheren Preisen zu produzieren, das sei ein "unglaublicher Erfolg" gewesen. "Form und Inhalt müssen eine Symbiose eingehen, dann entsteht Begeisterung", ist sich Zimmermann sicher.

Die Münchner holen auch Influencer als Autoren ins Boot, die ihre Zielgruppen gleich mitbringen. Man müsse dem Buchhandel mehr Kunden in den Laden schicken ("Pull-Marketing") statt einfach Bücher in die Läden zu stellen und auf die Kunden zu warten ("Push-Marketing"), ordnet Zimmermann ein. Man schaut auch auf Fach- und Nebenmärkte, aber "auch hier wachsen die Bäume nicht in den Himmel", räumt Zimmermann ein.

Bei der Umsetzung greift man auf die bewährten Strukturen des Verlagshauses zurück. Insgesamt sei der Diskussionsbedarf aber größer geworden, es gebe mehr Teams, auch auf Führungsebene, die sich regelmäßig treffen. Auch unter dem Motto: "Lasst uns mal außerhalb der Schablonen denken." Denn, so Zimmermann: "Es gibt keinen großen Schalter, den man nach links oder rechts umlegen könnte, sondern viele kleine Schrauben müssen gedreht werden."

Zimmermann ist überzeugt, dass es auch in zehn Jahren noch Kunden im stationären Buchhandel gibt. "Aber es ist eine Herausforderung, wenn ich an die Entwicklung der Auflagenzahlen denke", ergänzt er. Die Branche sollte sich zusammentun, um Netflix & Co. die Stirn zu bieten, eine Alternative entgegenzustellen.

www.verlagshaus.de

Literatur als Medizin: Piper Verlag (Bonnier-Gruppe)

Verlegerin Felicitas von Lovenberg mahnt zu Gelassenheit und besteht darauf, einen größeren zeitlichen Zusammenhang zu betrachten: "Wir haben einen riesigen Boom erlebt nach der Wiedervereinigung." Jetzt gingen die Zahlen eben wieder runter. "Man kann auch schlicht feststellen, dass es solche Aufs und Abs in jeder Branche gibt – wir dürfen darüber nicht in Panik verfallen. Und wir müssen glauben an das, was wir tun."

Aktiv werden will auch sie: von Lovenberg wirbt für Literatur als Medizin. "Wir sollten den Menschen sagen, dass sie einfach geistig länger gesund bleiben und besser gerüstet durchs Leben gehen, wenn sie lesen. Viele Menschen treiben Sport, nicht weil sie es so toll finden, sondern weil sie wissen, dass es ihnen guttut. Wenn das jemandem hilft, wieder in die Buchhandlung zu gehen und ein Buch zu kaufen, dann muss man ihm das sagen."

hh

www.piper.de

Wie Buchhändler auf den Käuferschwund reagieren?

Darüber haben wir im ersten Teil des Beitrags berichtet - über die Buchhandlungen Gollenstein (Blieskastel) und Peterknecht (Erfurt), über Heymanns und die Mayersche.