"Sie sind schlau. Sie sind ehrgeizig. Und sie haben versagt": Mit diesem knackigen Dreiklang wirbt Diogenes für den neuen Krimi "Slow Horses" von Mick Herron. Sind die Sätze am Ende auch eine Zustandsbeschreibung für all die klugen Köpfe, die in den Verlagen Klappentexte formulieren? So manche Glosse zum Thema könnte das nahelegen.
Rainer Moritz etwa, Leiter des Hamburger Literaturhauses, hat schon 2013 für die "Zeit" eine "Top Ten des Misslingens" zusammengestellt – mit sichtlichem Vergnügen am Verriss. "Geheimnis" kürte er damals zum Schauderwort der Klappentextsaison 2013. Fünf Jahre dürfte sich daran wenig geändert haben. Aus vielen Jahren Verlags- und Kritikerarbeit weiß Rainer Moritz jedoch auch: "Es ist leicht, sich über Klappentexte lustig zu machen. Und ein schwerer Job, sie zu schreiben."
Rezensenten nehmen Klappentexte gern mal aufs Korn – diese Erfahrung macht Bianca Dombrowa, bei dtv Programmleiterin für Allgemeine Belletristik: "Da fühlt man sich dann schon etwas bei seiner Ehre gepackt." Begeisterung transportieren, ohne allzu viel von der Handlung zu verraten: Das ist für sie der größte Balanceakt der Klappentexterei. "Wir lassen uns gern von der Tonalität des Romans inspirieren – wenn es passt, fangen wir etwa mal mit einem Zitat an, das für Stimmung und Lebenswelt des Buchs steht."
Inhalt und Atmosphäre zu spiegeln – das ist die eine Herausforderung beim Klappentext. Die andere bringt Rainer Moritz so auf den Punkt: "etwas charmant Rühmendes zu sagen, ohne in plumpe Lobpreisungen zu verfallen". Denn wer Begriffe wie "meisterhaft" und "virtuos" überstrapaziert, der wirkt schnell unglaubwürdig.
Doch wie lobt man Bücher, ohne ständig von '"Jahrhundertromanen" zu schwärmen? Michael Schickerling, der als Seminartrainer in der Branche gutes Texten lehrt (schickerling.cc), empfiehlt unter anderem: "ein lautes Signalwort, das überrascht und irritiert". Beispiele finden sich auf Plakatwänden am Bahnhof: "Nehmen Sie das Wort 'unkaputtbar', mit dem Coca-Cola für die Plastikflasche geworben hat. Es spielt mit Sprache, prägt sich ein." Die Belletristik, so Schickerling, erzähle doch per se so tolle Geschichten – "leider ist das in Klappentexten sträflich oft nicht der Fall".
Werben – das heißt für den Berater nicht, zu übertreiben, "sondern den richtigen Ton zu treffen, die Zielgruppe ernst zu nehmen". Viele Verlage arbeiten bei ihren Zielgruppenprofilen mit Sinus-Milieus, der Trainer empfiehlt eine einfachere Variante – die tierische Kundentypologie, entwickelt von Marketingspezialist Claudius Schmitz:
- Der Hai will Fakten, Fakten, Fakten.
- Die Eule hat ein hohes Sicherheitsbedürfnis, ist traditionsbewusst.
- Die Giraffe schätzt das Besondere, will Geheimtipps, keine Bestseller.
- Das Pferd sucht die Nähe zu anderen, ist familienorientiert, will auf der Gefühlsebene angesprochen werden – und steht für die größte Gruppe der Leser. Für diese Klappentexte gilt: keine Angst vor Emotionen!
Eine Gefahrenquelle auf dem Weg zum guten Klappentext ist für Schickerling ein allzu intensives Recycling: "In Verlagen entsteht oft sehr früh ein Text, auf den später immer wieder zurückgegriffen wird. Da gerät die Zielgruppe schnell aus dem Blick." Beispiel: "Einzigartiger Weltbestseller mit zwölf Millionen verkauften Exemplaren" – das ist für Buchhändler eine interessante Information, für Leser auf der Suche nach Emotionalität jedoch irrelevant.
Sind Klappentexte emotional genug? Diese Frage stellt sich auch Bianca Dombrowa immer wieder: Natürlich vertrage nicht jeder Roman einen rein gefühlsbetonten Zugriff, aber selbst bei Geschichten, die sehr emotional erzählt seien, werde der Klappentext zur Gratwanderung zwischen der reflexiv-inhaltlichen Ebene und der gefühlsorientierten, die den Käufer anspreche. "Das ist nicht immer ganz leicht, denn naturgemäß arbeiten in Verlagen häufig eher 'Kopfmenschen'", so Dombrowa: "Vielleicht haben wir manchmal einfach Angst davor, ins Gefühlige abzugleiten." Besonders in Rezensionen werde das schließlich gern mit der Höchststrafe geahndet …
Das Team bei dtv hat die vorher definierte Zielgruppe beim Texten immer fest im Blick –"»sie lenkt uns durch die gesamte Vermarktung", so Dombrowa. Rückmeldungen aus dem Buchhandel und Leserstimmen im Netz wertet der Verlag im Nachgang aus. Kritik gibt es in beide Richtungen: Mal hat das Buch nicht gehalten, was der Klappentext verspricht. Mal gefiel der Roman dem Leser viel besser, als er nach der Umschlaglektüre erwartet hatte. "Nicht jeder Text gelingt", weiß Dombrowa: "Aber ein Jahr später haben wir beim Taschenbuch dann eine neue Chance." Bleiben Reaktionen aus, dann wird wohl alles gepasst haben.
Mit einem einzigen Entwurf kommen Verlage ohnehin nicht weit – Vertreter, Buchhändler, Leser: Sie alle wollen mit Informationen versorgt werden. Bei dtv liefert das Lektorat in der Regel ein "Fact Sheet", mit Inhalt, Hintergrund, Zitaten, Verkaufsargumenten – aus dem dann alle weiteren Textformate für den Vermarktungsweg entwickelt werden. Klappentexte einfach fürs Netz nutzen? Das ist im Suchmaschinen-Zeitalter nicht mehr 1:1 möglich: "Die Online-Kollegen erarbeiten SEO-optimierte Kurz- und Langversionen des 'Muttertextes'", so Dombrowa.
Und wer hat das bessere Händchen beim Umschlagschreiben: Lektor oder Verkaufsfachmann? Da gehen die Meinungen in der Verlagswelt auseinander. Bei dtv entstehen Klappentexte im Lektorat, in Absprache mit Vertrieb und Marketing: "Wir lassen uns dabei mit verkäuferischem Blick über die Schulter schauen", erläutert Dombrowa. Dass der Lektor den Roman gut kennt, ist für sie Fluch und Segen zugleich: "Wir können uns in den Autor und sein Werk hineinfühlen, haben die Zielgruppe von Anfang an vor Augen – gleichzeitig fehlt uns manchmal der notwendige Abstand."
Texttrainer Schickerling empfiehlt Verlagen: "Legen Sie Klappentexte in die Hände derjenigen, die ein Gespür dafür haben und denen es Spaß macht." Wichtig sei genug Zeit und ein "Peer Review"-Prozess, bei dem der Text von Kollegen geprüft wird ("Damit nicht jeder seine Marotten auslebt"). Von Mehrheitsentscheidungen am Konferenztisch rät er ab: "Es geht nicht um Geschmacksfragen. Der Text muss allein den Lesern gefallen." Kleinere Verlage hätten oft das Gefühl, die großen machen das besser, so seine Beobachtung: "Dabei stimmt das nur bedingt. Ein Stück weiter als die anderen sind vor allem Verlage mit hohem Zielgruppen-Know-how." Rainer Moritz zieht seine eigenen Schlüsse: "Bei Klappentexten haben alle Verlage Leichen im Keller."
Licht und Schatten zeigt ein Beispiel von Texttrainer Michael Schickerling.
Der Umschlagtext für den Bestseller "Es ist nur eine Phase, Hase" (Ullstein) beginnt mit dem Satz:
"Neues aus dem Alltagswahnsinn der Alterspubertiere von dem preisgekrönten Bestsellerduo Maxim Leo & Jochen Gutsch".
Dass das Buch Neues enthält, sollte selbstverständlich sein. Die Namen der Autoren stehen schon auf dem Cover. Und das "preisgekrönte Bestsellerduo" ist ein Verkaufsargument aus der Vorschau, das beim Leser vermutlich kein Sinnesfeuerwerk entfachen dürfte.
Dass man das viel besser machen kann, zeigt der Teaser zum selben Buch auf der Website des Verlags:
"Pubertät ist schlimm. Klar. Aber nicht so schlimm wie: Alterspubertät!"
Schickerlings Fazit: "Das ist sinnlich, das weckt Neugier, das zieht den Leser direkt ins Buch!"
- Schnell auf den Punkt kommen. Wenn der Leser das Buch zur Hand nimmt, hat man ihn an der Angel. Jetzt darf er nicht abspringen.
- Superlative sparsam dosieren. Begriffe wie "meisterhaft" wirken unglaubwürdig und sagen wenig über das Buch aus.
- Keinen Platz verschwenden. Titel und Autor stehen auf dem Cover. Das reicht.
- Ein Signalwort erfinden. Beispiel für einen kreativen "Wow-Effekt" ist der Coca-Cola-Slogan "Unkaputtbar" für Plastikflaschen.
- Autorenvita originell formulieren. Ein echtes Stiefkind, denn hier geht es oft nur um Geburtsort, Werdegang, frühere Bücher und Preise – obwohl viele Autoren ungewöhnliche Lebenswege haben.
- Die Magie der Zahlen nutzen. 99 Tipps, 101 Orte – das funktioniert immer noch.
- Auch mal Fragen stellen. Denn dann fühlt sich der Leser direkt angesprochen. btb macht es in den Werbetexten für Maja Lundes "Geschichte der Bienen" vor: "Welche Zukunft hinterlassen wir unseren Kindern?"
(Quelle: Michael Schickerling)