Finanzpaket des Börsenvereins: Matthias Heinrich und Michael Justus über die Hintergründe

"Wir dürfen den Kopf nicht in den Sand stecken"

26. April 2018
Redaktion Börsenblatt
Wenn die Zahl der Börsenvereinsmitglieder sinkt, müssen die Lasten neu verteilt werden: Im Interview erklären Schatzmeister Matthias Heinrich und Michael Justus vom Haushaltsausschuss, warum sie der Hauptversammlung ein Finanzpaket mit Beitragserhöhung empfehlen – obwohl viele Unternehmen derzeit selbst knapp bei Kasse sind.

Höhere Beiträge - oder ein deutlich gekapptes Serviceportfolio des Verbands: Schon im vergangenen Jahr haben Sie als Schatzmeister angedeutet, dass die Mitglieder 2018 vor dieser Entscheidung stehen könnten, Herr Heinrich. Hat sich die Lage also weiter verschlechtert, wenn Sie der Hauptversammlung am 13. Juni nun ein Finanzpaket inklusive Beitragserhöhung empfehlen?

Matthias Heinrich: Der Verband und die Wirtschaftsbetriebe sind gut aufgestellt, wir haben schon in der Vergangenheit wirksame Maßnahmen zur Sicherung der Finanzierung des Börsenvereins getroffen. Aber es wäre fahrlässig, den kontinuierlichen Rückgang der Erlöse nicht im Auge zu behalten. Wir haben weniger als 5.000 zahlende Mitglieder. Die Einnahmen aus den Mitgliedsbeiträgen sinken konstant - in diesem Jahr zum ersten Mal unter die Marke von fünf Millionen Euro. Auch die Lizenzeinnahmen aus dem Börsenblatt geben nach, weil das klassische Geschäft mit Printanzeigen durch konkurrierende Medien torpediert wird. Das ist eine leidige, aber auch eine sich fortsetzende Entwicklung. Da dürfen wir den Kopf nicht in den Sand stecken.

Rutschen die Vereinsjahre 2018 / 2019 dadurch in die roten Zahlen?

Matthias Heinrich: Nein. Der Forecast für 2018 lässt eine schwarze Null erwarten, allerdings nach einem außerordentlichen Ertrag aus der Darlehenstilgung vom Haus des Buches in Leipzig. Dies ist eine Einnahmequelle, die der Haushaltsausschuss stets als "eiserne Reserve" zur Konsolidierung des Börsenvereinsergebnisses betrachtet. Auch 2019 schaffen wir eine schwarze Null – allerdings nur, wenn wir weitere Anstrengungen bei Einsparungen und bei der Gewinnung von Drittmitteln erbringen und die Beiträge moderat anpassen.

Michael Justus: Noch ein Wort zur "eisernen Reserve": Der Haushaltsausschuss legt Wert darauf, dass bereits das operative Ergebnis aus dem laufenden Betrieb des Börsenvereins positiv ist. Sondereffekte kommen und gehen. Darauf dürfen wir uns nicht verlassen.

Wie wäre es mit einem noch deutlicheren Sparkurs statt mit einer Beitragserhöhung? Schließlich müssen sich die einzelnen Mitgliedsunternehmen ja in schwierigen Zeiten genauso zur Decke strecken …

Matthias Heinrich: Das ist mir, mit Verlaub, zu kurz gesprungen. Nicht nur das rückläufige Beitragsvolumen und die berechtigten Erwartungen der Mitglieder an den Verband lassen die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben auseinandergehen, sondern auch die Zinsentwicklung hat in der Bilanz für unerwartete Belastungen gesorgt  – so wie in anderen Unternehmen auch und ohne dass man dem Verband deshalb Fahrlässigkeit vorwerfen könnte.

In den vergangenen Jahren sind die Kosten deutlich gesenkt worden. Und zu unserem geplanten Finanzpaket gehört, dass der Verband durch Effizienzsteigerungen bis 2021 noch einmal 200.000 Euro einspart. Darüber hinaus sieht der Haushaltsauschuss (so wie ich als Schatzmeister), trotz nachhaltiger Beharrlichkeit im Sinne der Mitglieder kein nennenswertes Sparpotenzial mehr – zumal die Erwartungen an die Leistungsfähigkeit des Verbands parallel dazu weiter steigen.

Ist das Sparpotenzial wirklich ausgereizt, Herr Justus? Was sagt der Haushaltsausschuss dazu?

Michael Justus: Ganz ausgereizt ist es nie. Natürlich will der Haushaltsausschuss hier den Hebel ansetzen. Angesichts der Entwicklung der Mitgliederzahl wird das aber nicht ausreichen. Dazu ist das Sparpotenzial zu gering und der Mitgliederschwund zu groß. Größere Einsparungen wären nur dann möglich, wenn Leistungen gestrichen würden, die für viele Mitglieder ein wesentlicher Grund ihrer Mitgliedschaft sind. Wir stellen kostenträchtige Verbandsleistungen immer wieder auf den Prüfstand. Streichungen, die zahlreiche Austritte provozieren, brächten uns aber nicht weiter.

Matthias Heinrich: Beim Börsenverein wird partout nichts verprasst, jeder macht solide seinen Job im Sinne der Mitglieder. Nicht zu vergessen: Wir alle profitieren daneben von der Profitabilität unserer Wirtschaftsbetriebe, Frankfurter Buchmesse und MVB. Sie sorgen mit ihrer wirtschaftlichen Potenz dafür, dass der Haushalt des Börsenvereins trotz sinkender Beiträge ausgeglichen ist. Gleichwohl dürfen wir nicht verdrängen, dass sich die Wirtschaftsbetriebe im gleichen Konjunkturumfeld wie der Verband und die Mitgliedsunternehmen selbst bewegen. Auch hier ist niemand auf Rosen gebettet.

Auf welche Mehrbelastungen müssen sich die Mitgliedsunternehmen durch die Beitragserhöhung einstellen?

Michael Justus: Wir halten die vorgeschlagenen Beitragserhöhungen für moderat. Für eine kleine Buchhandlung geht es etwa im Jahr 2019 um eine Mehrbelastung von lediglich 4 Euro, bei einem mittelgroßen Verlag um 14 Euro.

Und welchen Effekt hat die Beitragserhöhung für die Verbandsfinanzen?

Matthias Heinrich: Sie sorgt zunächst einmal im Budget für 2019 dafür, dass wir bei einem weiterhin hervorragenden und mitgliederdienlichen Leistungsportfolio einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen können. Auch in den Folgejahren dient die Anpassung dazu, möglichst viele Leistungen effektiv und zukunftsorientiert zu erbringen und weiterzuentwickeln. Ohne eine Beitragsanpassung müssten schon kurzfristig bei sinnvollen Projekten die Ausgaben gekürzt werden, was nicht ohne Flurschäden vor sich ginge.    

Die Belastungen durch das VG-Wort-Urteil, sinkende Buchkäuferzahlen: Für viele Mitglieder dürfte die Erhöhung zur Unzeit kommen. Wie versuchen Sie, die Kritiker zu überzeugen?

Matthias Heinrich: Dazu gab es im Vorstand eine intensive und kontroverse Diskussion, denn es schlagen immer zwei Herzen in unserer Brust. Einerseits wissen wir um die angespannte wirtschaftliche Situation mancher Mitgliedsunternehmen. Wir alle bewegen uns als Unternehmer ja selbst in diesem Marktumfeld. Andererseits gibt es für uns alle keine Branchenkonjunktur, wenn der Verband diese nicht aktiv mit gestaltet und ein positives Marktumfeld (Stichwort Buchpreisbindung) zu erhalten versucht. Nur im Schulterschluss können wir die Zukunft gestalten.

Das klingt nach einem Solidaritätsappell …

Matthias Heinrich: Das ist es auch, denn der Verband ist immer nur so stark wie die Verbundenheit in der Mitgliedschaft. Ganz ehrlich: Nach all den Jahren in der Branche kann ich mich nicht erinnern, wann besser, effizienter und strukturierter Lobby- und Verbandsarbeit im Sinne unserer Mitgliedsunternehmen geleistet wurde als im Moment. Ehren- und Hauptamt spielen sich die Bälle zu. Natürlich begleiten und überwachen wir im Vorstand als Repräsentanten der Mitgliedsunternehmen die Aktivitäten des Hauptamts, aber letztlich bringen wir gemeinsam den Ball ins Tor. "Elf Freunde sein" klingt vielleicht etwas pathetisch, Solidarität für die Zukunft passt aber.

Michael Justus: Auch wenn Vorstand und Haushaltsausschuss jetzt gemeinsam für die auf mehreren Säulen ruhende Finanzierungssicherung werben: Auf dem Weg dorthin ist es in unseren Sitzungen einige Male  ordentlich zur Sache gegangen. Am liebsten hätten wir die Empfehlung einer Erhöhung ganz vermieden. Allerdings brauchen wir gerade jetzt auch die Schlagkraft eines Verbandes, der finanziell unabhängig im Sinne seiner Mitglieder agieren kann.

Sie haben vorhin schon die Finanzkraft der Wirtschaftsbetriebe angesprochen – Frankfurter Buchmesse und MVB. Könnte die Finanzlücke im Verband nicht auch durch höhere Ausschüttungen geschlossen werden? Oder durch den Ausbau projektbezogener Sponsorengelder?

Matthias Heinrich: Natürlich gibt es eine klare Erwartungshaltung an die Profitabilität der Wirtschaftstöchter. Und wir werden – als weiteren Teil des Finanzpakets – auch die Suche nach Sponsoren weiterführen, wie sie beim Deutschen Buchpreis oder dem Vorlesewettbewerb schon sehr gut funktioniert. Aber seien wir uns bewusst: Ein Verband muss letztlich durch die Mitglieder getragen werden, Ausschüttungen und Sponsorengelder sind Beiwerk, kein Selbstzweck. Und Wirtschaftsbetriebe zu melken, kann keine sinnvolle Option sein, wenn diese für die Zukunft erfolgreich aufgestellt werden sollen.

Michael Justus: Die Ausschüttungen der Wirtschaftsbetriebe dürften in Zukunft noch wichtiger werden. Deshalb geht es vor allem darum, deren Finanzkraft langfristig zu sichern. Dazu müssen die Betriebe jetzt in ihr Geschäft der Zukunft investieren können. Der Haushaltsausschuss hat die Investitionen im Rahmen seiner Kompetenzen unter die Lupe genommen. Hätte man sie für höhere Ausschüttungen geopfert, bestünde die Gefahr, den Ast abzusägen, auf dem man später sitzen möchte.

Wie sieht es mit dem Vereinsvermögen des Verbandes aus? Ist es unantastbar?

Matthias Heinrich: Der Verband ist finanziell gesund aufgestellt und hat keine langfristige Fremdverschuldung. Allerdings ist der größte Teil des Vermögens langfristig an Grundstücke und Gebäude sowie Finanzanlagen gebunden. Es wäre fahrlässig, dauerhaft Vermögen aus dem Verband zur Deckung eines Jahresdefizits zu entnehmen. Grundsätzlich soll der Verband mit einem ausgeglichenen Jahresergebnis wirtschaften. Nur bei einmaligen signifikanten Aufwendungen oder in Sonderfällen kann ein Defizit in der Gewinn- und Verlustrechnung akzeptiert werden.

Aus möglichen Jahresüberschüssen können zum Beispiel auch Rücklagen für das Verbandsjubiläum im Jahr 2025 gebildet werden. Hier widmen wir Teile der Jahresüberschüsse zweckgebunden um – zugunsten einer öffentlichkeitswirksamen Veranstaltung, die das Image der Branche stärkt und zeigt, was Buchhändler und Verleger leisten. Einige werden sich noch an den 175. Geburtstag des Börsenvereins in Leipzig im Jahr 2000 erinnern. Die Veranstaltung mit dem damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau hatte große Strahlkraft.

Wie kann der Verband auch in Zukunft leistungsfähig bleiben, wenn die Mitgliederzahlen weiter sinken? Müssen sich Vorstand und Mitglieder an regelmäßige Beitragsdiskussionen gewöhnen?

Michael Justus: Dauerhaft in Ruhe lassen wird uns das Thema nicht. Aber auch dann wird es nicht isoliert um Beitragserhöhungen gehen können. Sie allein lösen das Problem nicht. Wir werden dauerhaft das ganze Paket auf der Agenda haben: Welche Leistungen soll der Verband erbringen? In welchem Umfang können wir Sponsoren gewinnen und wie weit wollen wir uns von ihnen abhängig machen? Wo sehen wir die Wirtschaftsbetriebe?

Startup Club, Schnupper- und Partnermitgliedschaft: Der Verband versucht bereits, sein Mitgliederpotenzial auszuschöpfen. Ist der Abwärtstrend bei den Mitgliederzahlen überhaupt aufzuhalten? Gibt es hier noch Stellschrauben?

Matthias Heinrich: Eine Stellschraube könnte sein, den Verband für medienaffine Unternehmen zu öffnen, die bisher außen vor bleiben. Das Hauptamt wird aber auch eine grundsätzliche Aktion zur Mitgliederakquise starten. Das zu bohrende Brett ist erfahrungsgemäß sehr dick, aber wir sind zuversichtlich, mit den starken Leistungen des Verbandes neue Mitglieder gewinnen zu können.

Das Finanzpaket des Börsenvereins:

  1. Durch weitere Effizienzsteigerungen will der Verband bis 2021 noch einmal 200.000 Euro einsparen - etwa bei Reisekosten und Organisation.
  2. Durch einen geringeren Zinsaufwand bei Pensionen wird bis 2021 eine Entlastung in Höhe von ca. 150.000 Euro erwartet.
  3. Die projektbezogene Suche nach Sponsoren durch die Stiftung des Börsenvereins soll weiter ausgebaut werden. Ein erfolgreiches Beispiel ist die aktuelle Kooperation mit der Sparda-Bank beim Vorlesewettbewerb.
  4. Im nächsten Jahr startet der Börsenverein eine groß angelegte Aktion zur Mitgliederakquise.
  5. Eine konstante Beitragsanpassung über die Jahre 2019 bis 2021 soll 283.000 Euro zur Schließung der Finanzierungslücke beitragen. Mitgliedsunternehmen der unteren Beitragsgruppen werden dabei geringer belastet als die der oberen.

Details zur Beitragsanpassung

  • Unternehmen der Beitragsgruppen 1 - 3 zahlen von 2019 bis 2021 jährlich 1,25 Prozent mehr

  • Unternehmen der Beitragsgruppen 4 - 14 zahlen in den kommenden drei Jahren 1,75 Prozent mehr
  • bei Unternehmen ab Beitragsgruppe 15 sind es 2,25 Prozent mehr.

  • Beispielrechnung: Für ein Unternehmen der Beitragsgruppe 1 steigen die Beiträge damit 2019 um ca. 4 Euro, für ein Unternehmen der Beitragsgruppe 40 um ca. 300 Euro.

  • Eine detaillierte Tabelle der Beitragsrechnung für den Bundesverband und einen Beitragsrechner für Mitglieder gibt es hier: www.boersenverein.de/hauptversammlung.

Über den Vorschlag des Vorstands (dem sich der Haushaltsausschuss am heutigen Donnerstag mit seiner Empfehlung angeschlossen hat) entscheiden die Mitglieder auf der Hauptversammlung am 13. Juni in Berlin, im Rahmen der Budgetdebatte für 2019. Anmeldung: www.buchtage-berlin.de.