88 Prozent der 12-13-Jährigen, 92 Prozent der 14-15-Jährigen und 94 Prozent aller 16-18-Jährigen in Deutschland besitzen heute ein Smartphone – aber nur geschätzt fünf Prozent des Unterrichts werden mit digitalen Medien gestaltet. Zwischen der Nutzung digitaler Geräte im Alltag und ihrem Einsatz in der Schule besteht immer noch ein krasses Missverhältnis.
An den Verlagen, Softwareanbietern und den in großer Zahl auf der Didacta vertretenen Start-ups kann es nicht liegen: Sie bieten längst eine Fülle an digitalen Lösungen für die Schule und eine breite Palette an elektronischen Medien, die sich im Unterricht einsetzen lassen und die in der Regel auch einen didaktischen Mehrwert bieten.
Die Aufbruchsstimmung bei den Anbietern digitaler Medien ist auf der Didacta in Hannover deutlich zu spüren: Sichtbar wird dies nicht nur im „Startup Valley“, das die Bildungsmesse auf 400 Quadratmetern in der Digitalzone von Halle 13 (Didacta digital) eingerichtet hat, sondern an vielen Punkten auf der Messe und auf zahlreichen Podien, die über digitale Medien und Technologien diskutierten. Viele Messeteilnehmer teilen den Eindruck, dass der diesjährige Bildungsgipfel gegenüber der Didacta 2017 einen „Sprung nach vorn“ gemacht hat.
Es gibt einen klaren Unterschied zum vergangenen Jahr: Die von Bundesbildungsministerin Johanna Wanka im Digitalpakt bereitgestellten fünf Milliarden Euro für die Digitalisierung der Schulen sind da. Offen ist allerdings immer noch, wie dieses Geld verteilt werden soll.
Unklar ist zudem, wie schnell die für den Einsatz digitaler Medien benötigte Infrastruktur geschaffen werden kann. Deutschland verfügt im Gegensatz zu europäischen Nachbarn immer noch nicht über eine flächendeckende Breitbandversorgung. In vielen Schulen gibt es kein IT-Management, mit dem sich etwa die mobilen Geräte, die in den Klassen zum Einsatz kommen, verwalten und warten lassen.
Ein Unternehmen, dass Schulen mit einer zentralen Kommunikationsplattform ausstattet, über die sich alle Aktivitäten organisieren lassen, ist das Braunschweiger Unternehmen IServ, dessen Claim „Der Schulserver“ lautet. Das Entwicklungsteam besteht aus ehemaligen Schülern, die im Jahr 2000 an einem Braunschweiger Gymnasium damit begonnen hatten, Lehrer, Schüler, Eltern und Ehemalige über das Internet miteinander zu verbinden. Heute biete IServ eine einheitliche Oberfläche, in die sich alle digitalen Komponenten, die an einer Schule gebraucht werden, integrieren lassen – auch Online-Plattformen und digitale Medien, die im Unterricht eingesetzt werden. Inzwischen sei „Der Schulserver“ an rund 1.800 Schulen mit 90.000 Lehrern und 1,2 Milionen Nutzern eingeführt, so Nils Glanz, der für den technischen Vertrieb verantwortlich ist.
Bisher ist das einstige Start-up gut in Niedersachsen und den übrigen norddeutschen Ländern vertreten, die Expansion in die mittleren und südlichen Bundesländer läuft. Insgesamt gibt es in Deutschland mehr als 33.000 allgemeinbildende und über 8.800 berufsbildende Schulen mit insgesamt rund elf Millionen Schülern (laut Destatis).
Wie viele Hürden bei der Anbindung von Schulen ans Netz zu überwinden sind, macht Glanz mit einer Zahl deutlich: „50 Prozent der Schulen in Deutschland haben noch einen 16.000-DSL-Internetanschluss. Das entspricht einer Übertragungsrate von ca. 1,2 mbit pro Sekunde.“ Doch nicht nur an einer schnellen Internetverbindung mangelt es: Bisher verfügen Schulen nicht entfernt über ein angemessenes IT-Budget. Eine Schule mit 1.000 Schülern, so Glanz, habe einen Personaletat von etwa vier Millionen Euro im Jahr – für IT-Aktivitäten stünden oft aber nur zwischen 5.000 und 10.000 Euro zur Verfügung.
In die IT-Lösung von IServ sind inzwischen auch Inhalte integriert. So steht allen Anwendern der aktuelle Wissenspool der Brockhaus Enzyklopädie zur Verfügung. Das Produkt wird von Brockhaus NE an Bibliotheken, Institute und Schulen vertrieben.
Ein Spezialist für die digitale Organisation von Schulabläufen, Unterrichtseinheiten, Bibliotheken und anderen Prozessen an Schulen ist Stüber Systems aus Berlin. Eine Lösung für die Planung und Realisierung ist das cloudbasierte digitale Klassenbuch Enbrea, mit dem man zum Beispiel persönliche Stundenpläne anlegen oder Unterrichtsinhalte erfassen und individuell an die Schüler verteilen kann. Für Geschäftsführer Bernhard Stüber gilt das Gleiche wie für die meisten seiner Kollegen aus der Bildungsdienstleister-Sparte: Sie wissen nicht, wie der Digitalpakt der Politik mit den Schulen umgesetzt werden soll, und haben das Gefühl, in die Entscheidungsprozesse nicht eingebunden zu sein. Bernhard Stüber mahnt daher an, dass sich „Bund und Länder endlich mit den Herstellern von IT-Systemen für Schulen zusammensetzen“ müssten.
In der Digitalzone der Didacta sind 138 Aussteller vertreten, darunter auch große Player wie Microsoft (mit der Microsoft Lehrer-Community) und Google (mit der Zukunftswerkstatt berufliche Bildung). Im Startup-Valley (Halle 13 Stand C 83) präsentieren sich 50 junge Unternehmen, beispielsweise das Berliner Start-up EduHeroes, das Kreativitäts- und Arbeitstechniken für das 21. Jahrhundert auf Projektbasis entwickeln möchte. Oder Sdui aus Koblenz, das eine Schul-App entwickelt hat, mit der Schüler und Lehrer ihre Stundenpläne und Aufgaben im Blick behalten können.
Auch in den Schulbuchverlagen sind innovative Lösungen und Medienformate angekommen: Westermann stellt unter anderem in Kooperation mit Samsung und anderen Dienstleistern eine Lösung für mobilen Unterricht in Schulen vor ("Das digitale Klassenzimmer") sowie seine Lernplattform Kapiert.de und das Lehrerportal Bibox. Cornelsen präsentiert sein digitales Schulbuchkonzept mBook, dessen erster Titel „Geschichte“ soeben als bestes Schulbuch des Jahres 2018 in der Kategorie Gesellschaft ausgezeichnet wurde. Und Klett führte nicht nur sein interaktives Schulbuch eBook pro vor, sondern auch die neue Klett Lernen App, mit der sich Inhalte der E-Books auch offline nutzen lassen.
Der beherrschenden Frage, wie digitale Inhalte und Technologien im Unterricht genutzt werden können, und ob sie in jedem Fall didaktisch sinnvoll sind, widmete sich am Messedonnerstag ein Podium, an dem Beth Havinga vom Bündnis für Bildung, Tobias Unger von Klett, die Bremer Schulleiterin Monika Steinhauer und der Dortmunder Journalistik-Dozent und Chefredakteur des TV-Lernsenders NRWision, Stefan Malter, teilnahmen. Moderator Harald Melcher vom Didacta Verband sprach zu Beginn die Unübersichtlichtkeit der derzeitigen Lage an: Man könne „einen Wust an Einzelaktivitäten“ und Leuchturmprojekten beobachten, zugleich aber auch eine Reihe „ungelöster Bedingtheiten“. Dazu gehörten die fehlende Infrastruktur, aber auch die mangelnde Bereitschaft an Schulen, sich mit dem Thema digitale Lernmedien zu befassen.
Dass es funktionieren kann, zeigt das Beispiel Bremen: Der Stadtstaat ist flächendeckend mit schnellem WLAN versorgt, und die Schule am Park, die Monika Steinhauer leitet, arbeitet mit dem Lernmanagement-System itslearning, mit dessen Hilfe Lehrer Kurse anlegen und Schüler mit Inhalten arbeiten können.
Tobias Unger (Klett) sagte, die Bildungsverlage hätten viel Innovatives bei Unterrichtsinhalten zu bieten – beispielsweise Klett das 3-D-Lerntool Sensavis. Die Frage sei nur, ob die Produkte oder Prototypen, die man schaffe, auch im Unterricht ankommen. Ein Problem sei, dass man zu wenig über die Nutzung der digitalen Inhalte wisse. „Uns fehlen schulspezifische Erkenntnisse“, so Unger.
Es sei wichtig, den Schülern digitale Kompetenzen zu vermitteln, meinte Beth Havinga. Damit das geschehen kann, müssten sehr viele Leute – vor allem Lehrer – umgeschult werden. Stefan Malter empfahl, nicht in Hektik zu verfallen: „Die digitale Transformation ist ein wahnsinniger Prozess, der größte seit der industriellen Revolution.“ Da müsse man auch den Mut haben, Fehler zu machen.