Litprom-Geschäftsführerin Anita Djafari zu 30 Jahren LiBeraturpreis

"Bei der Zeremonie für Madeleine Thien standen uns Tränen in den Augen"

24. Januar 2018
Redaktion Börsenblatt
Am 26. und 27. Januar finden im Literaturhaus Frankfurt die Litprom-Literaturtage 2018 statt, dabei werden 30 Jahre LiBeraturpreis gefeiert. Ein Preis, der nur an Autorinnen aus Asien, Afrika, Lateinamerika und der arabischen Welt verliehen wird. Warum das so ist, erläutert Litprom-Geschäftsführerin Anita Djafari im Interview.

Vor 30 Jahren wurde der LiBeraturpreis gestartet, der nur an Autorinnen aus Afrika, Lateinamerika, Asien und dem arabischen Raum vergeben wird. Warum diese Eingrenzung?
Gegründet wurde der LiBeraturpreis von einer kirchlich-entwicklungspolitisch engagierten Gruppe, der Initiative LiBeraturpreis e. V. im Jahr 1987 – erste Preisträgerin war dann ein Jahr später Maryse Condé aus Guadeloupe. Damals gab es sehr viel politische Gruppen, die sich Solidarität mit der so genannten Dritten Welt auf die Fahnen geschrieben hatten, es gab Dritte-Welt-Häuser und Dritte-Welt-Läden, in denen auch viele Bücher über diese Länder, aber auch von Autor*innen aus diesen Ländern verkauft wurden. Dabei fiel auf, dass der Frauenanteil hier besonders gering war und so entstand die sehr gute Idee, den Fokus der Aufmerksamkeit einmal darauf zu lenken.

Der Preis hat einen ungewöhnlichen Namen. Wofür steht dieser?
Der Name mit dem großen B als Stolperstein steht für liber, das lateinisch sowohl Buch als auch frei bedeutet. Und den Initiatorinnen ging es auch um Befreiung, aber um unsere Befreiung von festgefahrenen Wahrnehmungsmustern. Das gilt bis heute.

Was hat sich in den 30 Jahren für Autorinnen aus diesen Kontinenten und Regionen verändert? Ist es für sie leichter geworden, einen deutschsprachigen Verlag zu finden?
Es hat sich sehr viel geändert und durchaus zum Guten. Allein die Zahl der Frauen, die schreiben und auch in Übersetzung publiziert werden ist deutlich gestiegen. Und wenn vor 20,30 Jahren diese Literatur noch eher in einschlägigen Nischenverlagen erschienen ist, findet man Autorinnen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und der arabischen Welt inzwischen auch in allen großen Publikumsverlagen.

Das hört sich erfreulich an. Wo hakt es noch?
Die Auflagenhöhe dagegen ist kleiner geworden. Und wenn die Verkaufszahlen nicht stimmen, werden die Autorinnen (aber auch Autoren) nur von den kleinen unabhängigen Verlagen gepflegt. Ganz sicher ist auch die von Litprom organisierte Übersetzungsförderung eine wichtige Hilfe, um sich überhaupt für einen Titel aus diesem Bereich zu entscheiden, ganz besonders natürlich, wenn die Übersetzung aus sehr fremden Sprachen wie Hindi oder aus einer kurdischen Sprache angefertigt wird.

Gibt es mittlerweile einen neuen Typus von Autorinnen, angesichts der fortschreitenden Globalisierung?
Vielleicht kann man es so zusammenfassen. Heutzutage muss keine afrikanische Autorin mehr ihrem Buch ein Motto voranstellen wie 'Mein Herz ist jedes Mal in Feststimmung, wenn eine Frau schreibt', wie es Mariama Ba in ihrem immer noch aktuellen Buch 'Ein so langer Brief' getan hat oder Assia Djebar aus Algerien mit dem Satz: 'Man muss schreiben, wenn man eine Frau ist und aus dem Süden.' Gleichwohl hören sich diese Sätze doch so an, als könnten sie noch immer Gültigkeit haben. Ich habe gerade bei der Arbeit an einer Anthologie, die ich anlässlich des Jubiläums zusammenstelle und die im Frühjahr beim Unionsverlag erscheinen wird, viele 'alte' Texte gefunden, die rein gar nichts von ihrer Kraft, Gültigkeit und Qualität eingebüßt haben, weil darin durchaus universelle Themen verhandelt werden, aber eben aus konsequent weiblicher Perspektive.

Haben die Autorinnen heute andere Themen im Blick?
Ganz sicher hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr viel verändert, Frauen schreiben beileibe nicht nur über so genannte Frauenthemen, was auch immer das ist, sondern arbeiten auch historische Begebenheiten in ihren Herkunftsländern auf wie Madeleine Thien über Kambodscha oder China oder Laksmi Pamuntjak über die Diktatur in Indonesien. Patricia Melo aus Brasilien legt mit raffinierten Krimis den Finger in die Wunden ihrer Gesellschaft. Und in der jüngeren Generation wird vielleicht etwas freimütiger und frecher über Sexualität und Körperlichkeit geschrieben oder zum Feminismus aufgerufen wie jüngst von der Nigerianerin Chimamanda Ngozi Adichie.

Hat sich der LiBeraturpreis damit nicht überlebt? Warum ist er weiterhin wichtig?
Der Fokus der allgemeinen Wahrnehmung liegt immer noch auf den Männern. Überall, auf der ganzen Welt, natürlich mit unterschiedlichen regionalen Ausprägungen. Allein die Zahl der Veröffentlichungen – da gibt es fleißige Kolleginnen, die das akribisch nachgezählt haben und belegen können – von Frauen liegt anteilsmäßig im Schnitt nur bei circa 25 bis 30 Prozent. Auch wir kommen bei unserer Arbeit immer wieder auf diese Zahl, so auch bei der Litprom-Bestenliste Weltempfänger, die im Jahr 28 Titel empfiehlt. Darunter sind maximal zehn Titel von Frauen, wenn wir Glück haben. Und das ist nicht, weil sie schlechter schreiben, sondern weil es weniger sind, die publizieren können, wahrgenommen werden. Noch Fragen? Zudem ergibt der Preis bis heute sehr viel Sinn, da die meisten von uns doch nach wie vor westliche Literatur aus Nordamerika oder Europa lesen, sie ist uns einfach vertrauter.

Seit 2013 organisiert Litprom den Preis. Wie kam es dazu?
Litprom macht seit fast 40 Jahren Lobbyarbeit für außereuropäische Literaturen und hat die ausschließlich ehrenamtlich geleistete Arbeit der Initiative LiBeraturpreis von Anfang an begleitet – und als nach 25 Jahren dafür keine Kapazitäten mehr da waren, den Preis mit Unterstützung der Frankfurter Buchmesse auch gerne übernommen, um ihn weiterzuentwickeln.

Welchen Stellenwert wünschen Sie sich künftig für den LiBeraturpreis?
Der LiBeraturpreis erfreut sich durchaus schon großer Beliebtheit, aber klar ist, dass die öffentliche Aufmerksamkeit für diesen einzigartigen Preis noch sehr viel höher sein müsste. Um diese zu bekommen, müsste er vermutlich höher dotiert sein, daran arbeiten wir. Das Tolle ist ja auch, dass es ein Publikumspreis ist, die Weltempfänger-Jury nominiert die Autorinnen über die Weltempfänger-Bestenliste, aber das Publikum hat mit einem öffentlichen Voting das letzte Wort. Das finden wir sehr schön.

Wie ist die Resonanz in den Heimatländern der Preisträgerinnen?
Wir beobachten schon, dass die Auszeichnung im Heimatland der jeweiligen Autorin sehr stark wahrgenommen und in der Presse behandelt wird. Jüngstes Beispiel ist Fariba Vafi aus dem Iran, die den LiBeratrurpreis 2017 gewann. Ihre Bücher haben durch die Nachricht in ihrem Land insgesamt eine Neuauflage und größere Nachfrage erreicht. Einige Preisträgerinnen sind oder waren in ihrer Heimat bereits sehr bekannt, das ist sehr unterschiedlich.

Litprom wird bei der Ausrichtung des Preises durch Sponsoren unterstützt. Wie wichtig ist das?
Die finanzielle Unterstützung ist sehr wichtig, da danke ich der Frankfurter Buchmesse sehr, die sich 2013 sofort entschieden hat, hier einzuspringen. Im letzten Jahr ist als Sponsor noch YogiTea hinzugekommen und mit ihm eine neue Facette, die wir dem Preis hinzufügen konnten. Die Preisträgerin bekommt jetzt außer ihrem Preisgeld noch eine Summe, mit der sie in ihrem Heimatland entweder selbst einen Schreibworkshop für Mädchen oder Frauen durchführen kann oder ein solches Projekt unterstützen kann. So wirkt der Preis doppelt, hier bei uns und im Ausland. 

Wünschen Sie sich mehr Förderer für die Litprom-Arbeit?
Mehr Mittel kann man immer gebrauchen. Wir verleihen den Preis auf der Frankfurter Buchmesse im Weltempfang, das ist ein sehr schöner Ort dafür. Und wir präsentieren die Autorin noch einmal auf einer Lesung in der Stadt, in diesem Jahr zum ersten Mal in der Buchhandlung Hugendubel in Frankfurt. Das Interesse und damit die Zusammenarbeit mit diesen Partnern ist enorm wichtig und förderlich, wir verstärken damit die Öffentlichkeitswirksamkeit. Die gemeinsame kreative Arbeit an der Entwicklung weiterer Formate ist sehr wertvoll. Es wäre etwa toll, wenn weitere Buchhandlungen auch außerhalb von Frankfurt Lust hätten, sich daran zu beteiligen, die überregionale Medienaufmerksamkeit größer wäre. Um das zu erreichen, dafür braucht man Ressourcen, und die kosten Geld. Aber natürlich braucht man auch immer wieder Ideen und Menschen, mit denen man diese umsetzen kann.

Gibt es beim LiBeraturpreis 2018 Änderungen?
Wir werden wieder eine Kick-off-Veranstaltung in Frankfurt  machen, mit der wir das public voting eröffnen, das haben wir im letzten Jahr mal ausprobiert und das ist sehr gut gelaufen. Vielleicht hat ja das eine oder andere Literaturhaus Lust, parallel eine solche Veranstaltung zu machen, das wäre dann eine Neuerung, die mich begeistern könnte.

Ihr persönliches Highlight aus 30 Jahren LiBeraturpreis?
Ganz schwer zu sagen bei so vielen Jahren und Autorinnen. Die Verleihung des LiBeraturpreises an Madeleine Thien im Jahr 2015 war so schön, dass uns allen bei der Zeremonie Tränen in den Augen standen.

Und wenn Sie mich nach dem literarischen Werk fragen: Dann möchte ich Edwidge Danticat nennen, die aus Haiti stammt und inzwischen in den USA lebt, wo sie ein großer Star ist. Sie hat den Preis bekommen für 'Die süße Saat der Tränen', ein Roman über den Diktator Trujillo in der Dominikanischen Republik. Etwa zeitgleich oder etwas später hat Mario Vargas Llosa (den ich durchaus schätze) über die gleiche Zeit den Roman 'Das Fest des Ziegenbocks' geschrieben. Raten Sie mal, wer die größere Aufmerksamkeit bekommen hat? Ich finde Danticat um Längen besser, aber … Und da schließt sich der Kreis zu Ihrer Anfangsfrage. Warum ein Preis nur für Frauen. Darum! Diese große Autorin hat bei uns noch lange nicht den Stellenwert, den sie verdient (natürlich gibt es das auch bei männlichen Autoren), ich liebe alle, einfach alle Texte von ihr, Romane, Kurzgeschichten, Essays.

Am Freitag starten die Litprom-Literaturtage im Frankfurter Literaturhaus – auch hier stehen 30 Jahre LiBeraturpreis im Fokus. Auf was können wir uns freuen?
Das ganze Programm ist ein einziges Highlight, finde ich. Wir haben zwölf Autorinnen aus zwölf Ländern eingeladen, darunter auch zwei deutschsprachige: Zoë Beck und Anna Kim. Alle freuen sich darauf, voneinander zu hören und zu lesen, in Dialog zu treten, einander kennenzulernen. Wir wollen Aspekte weiblichen Schreibens vermitteln, auf eine weibliche Weltliteratur aufmerksam machen. Am Ende werden wir aber diesmal richtig feiern, wie es sich für ein solches Jubiläum gehört. Das Trio der Frauenband Kick la Luna wird uns mit ihrem Motto 'Tanze aus der Reihe' ordentlich einheizen.

Sind denn auch Männer willkommen?
Selbstverständlich!

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Für den LiBeraturpreis nominiert sind automatisch die Titel von Autorinnen, die im Vorjahr auf eine der vier Weltempfänger-Bestenlisten gewählt worden sind. Weitere Informationen zum Preis gibt es hier.

Die erwähnte Anthologie zu 30 Jahren LiBeraturpreis, die Djafari zusammen mit dem Direktor der Frankfurter Buchmesse herausgibt, erscheint im April im Unionsverlag:

Anita Djafari und Juergen Boos (Hrsg.): "Vollmond hinter fahlgelben Wolken. Autorinnen aus vier Kontinenten", 320 S., 12,95 Euro, ISBN 978-3-293-20800-1

Litprom-Literaturtage 2018

Diese finden am 26. und 27. Januar im Literaturhaus Frankfurt statt. Das Motto lautet: "Ausgezeichnet: Kartographien des Weiblichen − 30 Jahre LiBeraturpreis". Den Auftakt macht am Freitag, um 16.15 Uhr die Podiumsdiskussion "30 Jahre LiBeraturpreis: Ausgezeichnet! Ausgezeichnet?" mit Zoë Beck, Mayra Montero, Madeleine Thien und der Moderatorin Sandra Kegel.

Zu weiteren Informationen und dem kompletten Programm geht es hier.