Preisbindungstreuhänder Christian Russ über Wettbewerb und Vielfalt

Kulturelle Oasen

24. Januar 2018
Redaktion Börsenblatt
Der feste Ladenpreis schützt in erster Linie den mittelständischen Buchhandel und damit eine vielfältige Buchkultur. Preisbindungstreuhänder Christian Russ über Sinn und Zweck der kürzlich ergänzten gesetzlichen Regelung.

"Books are different." Die Buchpreisbindung soll der Erhaltung des »Kulturgutes Buch« in Deutschland dienen (Paragraf 1 Buchpreisbindungs­gesetz – BuchPrG). Bücher sind das Weltarchiv des Geistes, die Wiedergabe all dessen, was Menschen in den vergangenen Jahrhunderten gedacht und geschrieben haben. Bücher und ihre Inhalte überdauern die Zeiten. Nicht umsonst gilt die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Gutenberg als die Geburtsstunde der modernen Welt und als eine der bedeutendsten Erfindungen überhaupt. Dem Buch kommt damit eine geis­tesgeschichtliche Ausnahmestellung zu, die nicht mit derjenigen von Musik-CDs oder Film-DVDs zu vergleichen ist. ­Bücher sind anders als andere Waren: dies aufgrund ihrer Doppelfunktion als Kulturgut einerseits und als Wirtschaftsgut andererseits. Der Streit über Nutzen und Berechtigung der Buchpreisbindung ist dabei so alt wie diese selbst.

"Buchhandelsketten wie Thalia, Internethändler wie Amazon und große Verbrauchermärkte wie Real würden ihre deutlich günstigeren Einkaufskonditionen für einen Preis- und Rabattwettbewerb ausnutzen." 

Die Buchpreisbindung verfolgt ihren Zweck in erster Linie durch den Schutz des mittelständischen Buchhandels. Es kann kaum zweifelhaft sein, dass ein Wegfall der Preisbindung die kleineren, mittleren und inhabergeführten Buchhandlungen in existenzielle Schwierigkeiten brächte: Buchhandelsketten wie Thalia, Internethändler wie Amazon und große Verbrauchermärkte wie Real würden ihre deutlich günstigeren Einkaufskonditionen für einen Preis- und Rabattwettbewerb ausnutzen, bei dem der einzelne Buchhändler nicht mithalten könnte. Ein Wegfall der Preisbindung würde ja auch den Wegfall von Paragraf 6 BuchPrG bedeuten – mit der Folge einer unbeschränkten Rabattspreizung zu­guns­ten großer Händler. Diese würden zudem versuchen, ihre aufgrund des Preiswettbewerbs geringeren Gewinne auszugleichen, indem sie den Druck auf die Verlage erhöhen, noch günstigere Verkaufskonditionen zu gewähren. Hierdurch kämen viele Verlage in eine schwierige Situation: Einerseits können sie auf den Umsatz mit großen Anbietern nicht verzichten, andererseits erzielen sie bei immer niedriger werdenden Abgabepreisen kaum noch Rendite.

"Ohne Preisbindung würden viele inhabergeführte Buchhandlungen binnen kurzer Zeit vom Markt verschwinden" 

Vor allem das umsatzträchtige Geschäft mit schnell verkäuflichen Bestsellern dürfte sich auf einige größere Anbieter verlagern, weil dort Preis- und "Lockvogel"-Angebote am effektivsten wirken. Die durch einen Preiswettbewerb zu erwartenden Umsatzeinbrüche würde der einzelne Buchhändler auch nicht durch gute Beratung und einen kostenlosen und schnellen Lieferservice abwenden können. Es wäre damit zu rechnen, dass viele inhabergeführte Buchhandlungen binnen kurzer Zeit vom Markt verschwinden würden.

"Die Zahl der Geschäftsaufgaben im stationären Buchhandel zeigt, dass die Preisbindung allein nicht in der Lage ist, Buchhandlungen das Überleben zu sichern."

Gegner der Buchpreisbindung merken hierzu an, das System schütze den Buchhandel vor Wettbewerb, verhindere so einen "Marktaustritt schlecht geführter (= ineffizienter) Buchhandlungen", was nicht ohne Weiteres im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher sei – so Thomas Weck, der leitende Analyst der Monopolkommission. Allerdings erschließt sich schon nicht, was es dem Verbraucher nutzen sollte, wenn eine weitere kleine Buchhandlung aus dem Stadtbild verschwände. Auch zeigt die Zahl der Geschäftsaufgaben im stationären Buchhandel, dass die Preisbindung allein nicht in der Lage ist, Buchhandlungen das Überleben zu sichern.

Falsch ist auch die Behauptung, die Preisbindung schütze Buchhandlungen "vor Wettbewerb". Tatsächlich steht jeder stationäre Buchhändler in einem harten Wettbewerb um jeden Kunden, in dem er sich gegen Mitbewerber wie Amazon, Buchhandelsketten und Verbrauchermärkte etc. behaupten muss. Ausgeschaltet ist nur der Preiswettbewerb als Überlebensschutz der noch immer überwiegend mittelständischen Buchhandelsstruktur in Deutschland. 

"Der Schutz des mittelständischen Buchhandels ist allerdings auch kein Selbstzweck."

Der Schutz des mittelständischen Buchhandels ist allerdings auch kein Selbstzweck, er muss vielmehr notwendig und geeignet sein, um das gesetzte Ziel – den Erhalt der durch ein breites Angebot geprägten Buchkultur – zu erreichen. Tatsächlich zeigt sich der Zusammenhang zwischen der Sicherung einer mittelständischen und weitverzweigten Buchhandelsstruktur und einem breiten Buch­angebot nicht auf den ersten Blick. Doch das bei Wegfall der Preisbindung befürchtete Mittelstandssterben im Sortimentsbuchhandel hätte wohl auch für die Verlage nachteilige Konsequenzen: Eine inhabergeführte Buchhandlung bietet ja breit gefächerte Publikationen aus vielen Bereichen und insbesondere auch solche von kleineren Verlagen an. Mit dem Verschwinden kleinerer und mittlerer Buchhandlungen entfielen für viele Verlage deren wichtigste Verkaufsstellen.

Für den Erfolg der Bücher gerade eines kleineren Verlags ist die Vermittlungs- und Förderungsfunktion des Buchhandels unerlässlich, durch die eine bewusste Herausstellung bestimmter Titel erfolgt. Dies ist die für den Verlag unverzichtbare Leistung des Einzelhändlers. Je mehr Einzelhändler es gibt, desto spezieller und vielseitiger ist ihre Auswahl, und für desto mehr Titel wird gleichzeitig geworben. Die Verleger können die Unterstützung durch ein breites Einzelhandelsnetz auch in die Publikation von risikoreicheren, besonderen Werken einkalkulieren. Die Vielfalt der Wirtschaftsteilnehmer im Einzelhandelsbereich garantiert somit auch die verlegerische Vielfalt. Der Zugang traditioneller Buchhandlungen zum Markt für elektronische Bücher ist ein weiteres Mittel, das gewährleistet, dass das gesamte verlegerische Angebot bereitgestellt wird.

"Einem Sortimentssterben im Mittelstand könnte als Reflex der Niedergang kleiner und mittlerer Verlage folgen"

Einem Sortimentssterben im Mittelstand könnte somit als Reflex der Niedergang kleiner und mittlerer Verlage folgen, die ihrerseits Talente entdecken und vielen Autoren erst die Verbreitung ihrer Werke ermöglichen. Am Ende dieser Entwicklung könnte eine Buchhandelslandschaft stehen, in der einige wenige Buchhandelsketten und Internethändler bestimmen, zu welchen Themen und zu welchen Preisen Bücher verkauft werden.

Selbstverständlich würden in Deutschland auch nach dem Wegfall der Preisbindung noch Bücher erscheinen, es fragt sich nur: welche? Vieles könnte nicht mehr verlegt werden: Denn dort, wo allein die Gesetze des Marktes vorherrschen, kann das Besondere, das Geistreiche, das Skurrile nur noch schwer gedeihen. Nicht umsonst können andere Bereiche der Kultur – man denke an große Opern- und Konzerthäuser, Theater und Museen, aber auch an niveauvollere Fernsehsender und Filmproduktionen – nur mithilfe staatlicher Gelder und Subventionen existieren.

"Buchhandlungen sind in vielen Städten zwischen Handyläden, Ein-Euro-Geschäften, Fast-Food-Häusern und Parfümerien die verbleibenden kulturellen Oasen"

In Paragraf 1 BuchPrG klingt auch die Haltung des Gesetzgebers an, Buchhandlungen bereits per se als schützenswerten Teil der Buchkultur zu betrachten. Von Jorge Luis Borges stammt der Satz: "Ich habe mir das Paradies immer als eine Art Bibliothek vorgestellt." Diese Vorstellung lässt sich auf Buchhandlungen übertragen: Eine Buchhandlung ist nicht nur ein Ort, an dem Waren verkauft werden. Buchhandlungen sind in vielen Städten zwischen Handyläden, Ein-Euro-Geschäften, Fast-Food-Häusern und Parfümerien die verbleibenden kulturellen Oasen, die niemand ernsthaft missen möchte.

Eine Buchhandlung ist ein Ort der Literatur, des Geistes, des Austauschs, der Lesungen, der Beratung, des Gesprächs, des Blätterns und Schauens. Buchhandlungen üben auf viele Menschen eine magische Anziehungskraft aus. Der Gang durch eine Buchhandlung ist auch ein kulturelles Erlebnis; gefördert wird durch die Preisbindung ein Netz solcher "geis­tiger Tankstellen". Die Preisbindung stützt auch einen breit gestreuten Buchhändlerstand mit bibliografischem Handwerkszeug, hoher Beratungsqualität und damit auch kulturellem Service. Wer ­Bücher liebt, dem muss man Buchhandlungen nicht erklären. Buchhandlungen sind ein unverzichtbarer Bestandteil der Buchkultur.

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Professor Christian Russ ist Preisbindungstreuhänder der Verlage. Der Text ist dem Kommentar zum Buchpreisbindungs­gesetz entnommen. Die bibliografischen Angaben: 
Dieter Wallenfels, Christian Russ: "Buchpreisbindungsgesetz: BuchPrG. Die Preisbindung des Buchhandels. Kommentar", C. H. Beck, 7., überarbeitete Auflage 2017, 235 S., 49 €