"Books are different." Die Buchpreisbindung soll der Erhaltung des »Kulturgutes Buch« in Deutschland dienen (Paragraf 1 Buchpreisbindungsgesetz – BuchPrG). Bücher sind das Weltarchiv des Geistes, die Wiedergabe all dessen, was Menschen in den vergangenen Jahrhunderten gedacht und geschrieben haben. Bücher und ihre Inhalte überdauern die Zeiten. Nicht umsonst gilt die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Gutenberg als die Geburtsstunde der modernen Welt und als eine der bedeutendsten Erfindungen überhaupt. Dem Buch kommt damit eine geistesgeschichtliche Ausnahmestellung zu, die nicht mit derjenigen von Musik-CDs oder Film-DVDs zu vergleichen ist. Bücher sind anders als andere Waren: dies aufgrund ihrer Doppelfunktion als Kulturgut einerseits und als Wirtschaftsgut andererseits. Der Streit über Nutzen und Berechtigung der Buchpreisbindung ist dabei so alt wie diese selbst.
"Buchhandelsketten wie Thalia, Internethändler wie Amazon und große Verbrauchermärkte wie Real würden ihre deutlich günstigeren Einkaufskonditionen für einen Preis- und Rabattwettbewerb ausnutzen."Die Buchpreisbindung verfolgt ihren Zweck in erster Linie durch den Schutz des mittelständischen Buchhandels. Es kann kaum zweifelhaft sein, dass ein Wegfall der Preisbindung die kleineren, mittleren und inhabergeführten Buchhandlungen in existenzielle Schwierigkeiten brächte: Buchhandelsketten wie Thalia, Internethändler wie Amazon und große Verbrauchermärkte wie Real würden ihre deutlich günstigeren Einkaufskonditionen für einen Preis- und Rabattwettbewerb ausnutzen, bei dem der einzelne Buchhändler nicht mithalten könnte. Ein Wegfall der Preisbindung würde ja auch den Wegfall von Paragraf 6 BuchPrG bedeuten – mit der Folge einer unbeschränkten Rabattspreizung zugunsten großer Händler. Diese würden zudem versuchen, ihre aufgrund des Preiswettbewerbs geringeren Gewinne auszugleichen, indem sie den Druck auf die Verlage erhöhen, noch günstigere Verkaufskonditionen zu gewähren. Hierdurch kämen viele Verlage in eine schwierige Situation: Einerseits können sie auf den Umsatz mit großen Anbietern nicht verzichten, andererseits erzielen sie bei immer niedriger werdenden Abgabepreisen kaum noch Rendite.
"Ohne Preisbindung würden viele inhabergeführte Buchhandlungen binnen kurzer Zeit vom Markt verschwinden"Vor allem das umsatzträchtige Geschäft mit schnell verkäuflichen Bestsellern dürfte sich auf einige größere Anbieter verlagern, weil dort Preis- und "Lockvogel"-Angebote am effektivsten wirken. Die durch einen Preiswettbewerb zu erwartenden Umsatzeinbrüche würde der einzelne Buchhändler auch nicht durch gute Beratung und einen kostenlosen und schnellen Lieferservice abwenden können. Es wäre damit zu rechnen, dass viele inhabergeführte Buchhandlungen binnen kurzer Zeit vom Markt verschwinden würden.
"Die Zahl der Geschäftsaufgaben im stationären Buchhandel zeigt, dass die Preisbindung allein nicht in der Lage ist, Buchhandlungen das Überleben zu sichern."Gegner der Buchpreisbindung merken hierzu an, das System schütze den Buchhandel vor Wettbewerb, verhindere so einen "Marktaustritt schlecht geführter (= ineffizienter) Buchhandlungen", was nicht ohne Weiteres im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher sei – so Thomas Weck, der leitende Analyst der Monopolkommission. Allerdings erschließt sich schon nicht, was es dem Verbraucher nutzen sollte, wenn eine weitere kleine Buchhandlung aus dem Stadtbild verschwände. Auch zeigt die Zahl der Geschäftsaufgaben im stationären Buchhandel, dass die Preisbindung allein nicht in der Lage ist, Buchhandlungen das Überleben zu sichern.
Falsch ist auch die Behauptung, die Preisbindung schütze Buchhandlungen "vor Wettbewerb". Tatsächlich steht jeder stationäre Buchhändler in einem harten Wettbewerb um jeden Kunden, in dem er sich gegen Mitbewerber wie Amazon, Buchhandelsketten und Verbrauchermärkte etc. behaupten muss. Ausgeschaltet ist nur der Preiswettbewerb als Überlebensschutz der noch immer überwiegend mittelständischen Buchhandelsstruktur in Deutschland.
"Der Schutz des mittelständischen Buchhandels ist allerdings auch kein Selbstzweck."Der Schutz des mittelständischen Buchhandels ist allerdings auch kein Selbstzweck, er muss vielmehr notwendig und geeignet sein, um das gesetzte Ziel – den Erhalt der durch ein breites Angebot geprägten Buchkultur – zu erreichen. Tatsächlich zeigt sich der Zusammenhang zwischen der Sicherung einer mittelständischen und weitverzweigten Buchhandelsstruktur und einem breiten Buchangebot nicht auf den ersten Blick. Doch das bei Wegfall der Preisbindung befürchtete Mittelstandssterben im Sortimentsbuchhandel hätte wohl auch für die Verlage nachteilige Konsequenzen: Eine inhabergeführte Buchhandlung bietet ja breit gefächerte Publikationen aus vielen Bereichen und insbesondere auch solche von kleineren Verlagen an. Mit dem Verschwinden kleinerer und mittlerer Buchhandlungen entfielen für viele Verlage deren wichtigste Verkaufsstellen.
Für den Erfolg der Bücher gerade eines kleineren Verlags ist die Vermittlungs- und Förderungsfunktion des Buchhandels unerlässlich, durch die eine bewusste Herausstellung bestimmter Titel erfolgt. Dies ist die für den Verlag unverzichtbare Leistung des Einzelhändlers. Je mehr Einzelhändler es gibt, desto spezieller und vielseitiger ist ihre Auswahl, und für desto mehr Titel wird gleichzeitig geworben. Die Verleger können die Unterstützung durch ein breites Einzelhandelsnetz auch in die Publikation von risikoreicheren, besonderen Werken einkalkulieren. Die Vielfalt der Wirtschaftsteilnehmer im Einzelhandelsbereich garantiert somit auch die verlegerische Vielfalt. Der Zugang traditioneller Buchhandlungen zum Markt für elektronische Bücher ist ein weiteres Mittel, das gewährleistet, dass das gesamte verlegerische Angebot bereitgestellt wird.
"Einem Sortimentssterben im Mittelstand könnte als Reflex der Niedergang kleiner und mittlerer Verlage folgen"Einem Sortimentssterben im Mittelstand könnte somit als Reflex der Niedergang kleiner und mittlerer Verlage folgen, die ihrerseits Talente entdecken und vielen Autoren erst die Verbreitung ihrer Werke ermöglichen. Am Ende dieser Entwicklung könnte eine Buchhandelslandschaft stehen, in der einige wenige Buchhandelsketten und Internethändler bestimmen, zu welchen Themen und zu welchen Preisen Bücher verkauft werden.
Selbstverständlich würden in Deutschland auch nach dem Wegfall der Preisbindung noch Bücher erscheinen, es fragt sich nur: welche? Vieles könnte nicht mehr verlegt werden: Denn dort, wo allein die Gesetze des Marktes vorherrschen, kann das Besondere, das Geistreiche, das Skurrile nur noch schwer gedeihen. Nicht umsonst können andere Bereiche der Kultur – man denke an große Opern- und Konzerthäuser, Theater und Museen, aber auch an niveauvollere Fernsehsender und Filmproduktionen – nur mithilfe staatlicher Gelder und Subventionen existieren.
"Buchhandlungen sind in vielen Städten zwischen Handyläden, Ein-Euro-Geschäften, Fast-Food-Häusern und Parfümerien die verbleibenden kulturellen Oasen"In Paragraf 1 BuchPrG klingt auch die Haltung des Gesetzgebers an, Buchhandlungen bereits per se als schützenswerten Teil der Buchkultur zu betrachten. Von Jorge Luis Borges stammt der Satz: "Ich habe mir das Paradies immer als eine Art Bibliothek vorgestellt." Diese Vorstellung lässt sich auf Buchhandlungen übertragen: Eine Buchhandlung ist nicht nur ein Ort, an dem Waren verkauft werden. Buchhandlungen sind in vielen Städten zwischen Handyläden, Ein-Euro-Geschäften, Fast-Food-Häusern und Parfümerien die verbleibenden kulturellen Oasen, die niemand ernsthaft missen möchte.
Eine Buchhandlung ist ein Ort der Literatur, des Geistes, des Austauschs, der Lesungen, der Beratung, des Gesprächs, des Blätterns und Schauens. Buchhandlungen üben auf viele Menschen eine magische Anziehungskraft aus. Der Gang durch eine Buchhandlung ist auch ein kulturelles Erlebnis; gefördert wird durch die Preisbindung ein Netz solcher "geistiger Tankstellen". Die Preisbindung stützt auch einen breit gestreuten Buchhändlerstand mit bibliografischem Handwerkszeug, hoher Beratungsqualität und damit auch kulturellem Service. Wer Bücher liebt, dem muss man Buchhandlungen nicht erklären. Buchhandlungen sind ein unverzichtbarer Bestandteil der Buchkultur.
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Professor Christian Russ ist Preisbindungstreuhänder der Verlage. Der Text ist dem Kommentar zum Buchpreisbindungsgesetz entnommen. Die bibliografischen Angaben:
Dieter Wallenfels, Christian Russ: "Buchpreisbindungsgesetz: BuchPrG. Die Preisbindung des Buchhandels. Kommentar", C. H. Beck, 7., überarbeitete Auflage 2017, 235 S., 49 €
Anlass für den Beitrag von Herrn Russ war das Erscheinen des Kommentars zu den Neuregelungen (bei C.H.Beck). Die Neuregelungen selbst sind seit September 2016 in Kraft, sie betreffen die Preisbindung von E-Books und den grenzüberschreitenden Handel.
Details dazu finden Sie bei uns im Archiv; unter dem Beitrag haben wir u.a. ein (sehr lesenswertes) Interview mit Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang verlinkt, "Neue Regeln für die Preisbindung" / https://www.boersenblatt.net/artikel-interview_mit_boersenvereinsjustiziar_christian_sprang.1128778.html).
Viele Grüße,
Ihr Börsenblatt
Ich mag es "sehr", wenn Leute, die von der Praxis keine Kenntnis haben und nie das Risiko einer Buchhandlung oder eines Verlages selbst trugen, so wohlfeile theoretische Äußerungen von sich geben.
Die Wahrheit ist irgendwo da draußen, aber sieht ganz anders aus. Man sollte auch die Anwälte unseres geliebten Verbandes mal zu einem Praktikum in einem kleine Verlag oder einer kleinen Buchhandlung motivieren, selbstverständlich zu der dort üblichen Bezahlung.
Online und schon im Börsenblatt 51.2017 schwärmt der Preisbindungstreuhänder Christian Russ für die „kulturelle Oase Buchhandel“ und erwärmt uns Buchhändlern das fröstelnde Herz. Dabei übersieht er leider mit dem Schwung eines verlags-lobbyistischen Theoretikers die entscheidenden Realitäten des Marktes, die hier möglicherweise noch nachzutragen sind:
1. Die Preisbindung für Bücher dient vor allem der Vielfalt auf Verlagsseite. Die (vermeintlich) gebändigte „Macht großer Buchhändler“ soll die verlegerische Aktivität auch auf kleinstem Niveau kalkulierbar machen und das Überleben möglichst vieler Teilnehmer auf der Verlagsseite erreichen. Frage: Wird dieses Ziel wohl noch verfolgt und erreicht, oder haben sich lediglich viele Imprints gehalten, die früher einmal Zielgruppe der Preisbindungsgesetzgeber waren?
2. Das Preisbindungsgesetz stattet (s.o. 1) einen Verlag im Buchmarkt mit überproportional viel Macht aus:
# Preisbindungshoheit und
# Urheberrecht schützen verlegerische Interessen rundum,
# der Verlag gibt oder nimmt.
Das Ziel des Preisbindungsgesetzes ist also bestenfalls indirekt der „Schutz mittelständischen Buchhandels“, wie Herr Russ behauptet: Der bestehende Buchhandel nützt nämlich nur in der Folge der verlegerischen Aktivität, dabei jedoch nur gleichwertig neben direktem Vertrieb (auch über eigene Läden), Webshops oder Mailings, direktem Lizenzverkauf mit vorzugsweise großen Abnehmern und Organisationen oder anderen klugen und verkaufsfördernden Maßnahmen erfolgreicher Häuser.
3. Der Buchhandel wird lediglich über Paragraf 6 und die Fiktion „auskömmlicher Marge“ (Verlage müssen erbrachten Beitrag zur Versorgung und buchhändlerischen Service angemessen berücksichtigen..) ganz
#schwammig und pauschal
dazu in die Lage versetzt, sein Schicksal abzuwenden, zum machtlosen Spielball seiner Handelspartner zu werden. In „die Lage versetzt“, wenn er dazu in der Lage ist, seine Rechtsposition aus § 6 durchzusetzen, schließlich geht es um große Massen kleiner Beträge in der Form
#zu geringer Rabattierung,
#unzulässigen Kostenüberwälzungen oder
#anderen Abzügen zur Minderung der Marge.
Damit befasst sich Herr Russ aber leider nicht, obwohl es hier tatsächlich brennt, denn Buchhandlungen sterben vor allem an sinkenden Margen bei stagnierender Produktivität von Flächen und Mitarbeitern, die beide bis an die Grenzen ausgereizt worden sind.
4. Dieser Paragraf 6 stattet den Buchhandel nicht angemessen aus und leider fehlt in den Ausführungen von Herrn Russ die Weiterentwicklung dieser Rechtsposition gegenüber den Partnern der Lieferkette. Aber
# Herr Russ wird ja auch nur
# im Auftrag und im Namen von Verlagen als Preisbindungstreuhänder aktiv und
# nicht im Interesse des Buchhandels,
den er lediglich in seinem Beitrag zum Ziel seiner artenschützenden Aktivitäten erklärt, ohne aber schlüssig darzulegen, dass seine interessengeleitenten Zeilen dieses Ziel tatsächlich auch verfolgen.