"Wir bezahlen nicht"
Der "Spiegel" will ab Januar 2018 Geld für die Nutzung seiner Bestseller-Logos haben. Aber wie es aussieht, hat er die Rechnung ohne die Buchverlage gemacht.
Der "Spiegel" will ab Januar 2018 Geld für die Nutzung seiner Bestseller-Logos haben. Aber wie es aussieht, hat er die Rechnung ohne die Buchverlage gemacht.
Für die Publikumsverlage war dieses Jahr bereits am Tag nach Nikolaus Bescherung, aber keine schöne. Am 7. Dezember machte der "Spiegel" einen bereits länger gehegten Plan öffentlich. Auf der Suche nach neuen Erlösquellen sind die Verlagsleute von der Hamburger Ericusspitze bei ihren Bestsellerlisten fündig geworden: Ab Anfang 2018 macht der "Spiegel" die Nutzung seiner Logos kostenpflichtig.
Dann wird er mit einer Praxis brechen, die über viele Jahre als Kooperation zum gegenseitigen Vorteil von Buchbranche und Nachrichtenmagazin gut funktioniert hat. Mit der Umsetzung des Vorhabens ist die Tochter-Gesellschaft Harenberg Kommunikation in Dortmund beauftragt, in deren Regie die Lizenzierung und Bereitstellung der Logos liegt.
Folgende Preise werden für Verlage fällig, die ihre Bestseller weiterhin in Verbindung mit der Medienmarke "Spiegel" vermarkten wollen: 250 Euro pro Titel für die Verwendung der Logos in Vorschauen, Werbemitteln und Anzeigen, noch einmal 250 Euro für die Aufbringung auf Buchcovern. Für ein zusätzliches Premiumpaket "Spiegel-Bestseller Platz 1" erfahren Kunden den Preis nur "auf Anfrage".
Auf der Internetseite des von Harenberg verlegten Branchenmagazins "buchreport" finden sich Details zu den Bedingungen. Demnach müssen die Wort-Bild-Marken der Bestseller-Siegel und die Corporate Identity (CI) des "Spiegel" in Zukunft genau eingehalten werden. Ein Sprecher des Verlags berichtet auf Anfrage, dass bei eigenen Recherchen "mehrere Dutzend unterschiedliche Varianten unserer Bestseller-Logos gefunden" worden seien. Solchem Artenreichtum will der "Spiegel" entgegenwirken. Man habe feststellen müssen, dass in der Vergangenheit zunehmend Logos selbst entworfen worden und ohne Prüfung und Freigabe durch den "Spiegel"-Verlag zum Einsatz gekommen seien. Mit der Qualitätsoffensive werde "eine korrekte Verwendung der Logos" angestrebt, um so "auch die von der Branche gewünschten Marketing- und Verkaufseffekte zu stärken".
Wie es aussieht, haben die Hamburger die Rechnung jedoch ohne ihre Partner gemacht. Die Reaktionen der Buchbranche fallen selten so deutlich und noch seltener so einhellig aus wie in diesem Fall. Zum Beispiel bei Diogenes, der größten Bestsellerschmiede der Schweiz: "Diogenes wird nicht für die Nutzung der Logos bezahlen und wird die Logos auch nicht nutzen", teilen die Zürcher kurz und bündig mit.
Auf Unverständnis und Ablehnung trifft der Vorstoß auch in den deutschen konzerngebundenen Verlagen, die das Gros des Bestsellergeschäfts unter sich ausmachen. Annette Beetz, Geschäftsführerin Marketing und Vertrieb der Verlagsgruppe Random House, nennt die Vorstellungen aus Hamburg "nicht akzeptabel". Für die Münchner würden sich nach einer ersten überschlägigen Berechnung jährliche Mehrkosten in der Größenordnung von einer Million Euro ergeben, falls Random House den Forderungen des "Spiegel" nachkäme. Im Übrigen sei das Anliegen "unangemessen kurzfristig" kommuniziert worden. "Wir sind mit unseren Planungen für 2018 weitgehend durch, auch was die Budgets angeht«, erläutert Annette Beetz im Gespräch mit dem Börsenblatt. Eine so weitreichende Maßnahme "fliegt man nicht mal eben so ein". Die Vertriebsexpertin lässt an ihrer Erwartung keinen Zweifel: "Wir wünschen uns eine Fortsetzung des Dialogs" anstelle einseitiger Vorgaben.
Mehr als seltsam
Ähnlich kritisch sehen die Verantwortlichen bei Bonnier Media das Thema. "Bisher haben die Buchverlage und der 'Spiegel' sinnvoll und partnerschaftlich kooperiert", resümiert Christian Schumacher-Gebler, CEO der deutschen Bonnier-Verlage. Diese Beziehung auf Gegenseitigkeit jetzt einseitig zu kündigen, sei "mehr als seltsam, und es zum 1. Januar 2018 zu tun, geht schon juristisch überhaupt nicht". Schumacher-Gebler, den das Ansinnen erst in der vergangenen Woche erreicht hat, will nun kurzfristig das Gespräch mit "Spiegel" und Harenberg suchen. Seiner Verlagsgruppe stehen nach ersten Schätzungen Mehrkosten in Höhe einer Viertelmillion Euro ins Haus. "Das ist sicher keine finanzierbare Basis für die Zukunft", macht der Verlagsmanager klar. Entweder finde sich mit dem "Spiegel" ein Modus Vivendi für eine weitere Zusammenarbeit, oder es werde sich eine neue Partnerschaft finden.
Uwe Rosenfeld, der frühere Marketing-Geschäftsführer von S. Fischer, der sich heute für die Buchverlage der Holtzbrinck-Gruppe übergreifend um strategische Entwicklungen kümmert, wundert sich ebenfalls über die plötzliche Hektik in einem Thema, das seitens des "Spiegel" mit mehreren Verlagen mindestens seit Oktober besprochen wird. Aufgrund der Kurzfristigkeit der Ansage sei eine Umsetzung – selbst bei (kontrafaktisch) unterstellter Zahlungsbereitschaft – vorläufig gar nicht möglich, kritisiert Rosenfeld.
Innerhalb der Holtzbrinck-Gruppe fällt die Reaktion auf die "Spiegel"-Offensive deshalb ähnlich zurückhaltend aus wie bei der Konkurrenz. Der Konzern rechnet laut Rosenfeld mit Mehrbelastungen "im hohen sechsstelligen Bereich", sollten die "Spiegel"-Pläne Wirklichkeit werden. Eine Geschäftsführerrunde aller Holtzbrinck-Buchverlage, die im Januar 2018 zusammenkommt, werde sich abstimmen – und dann das Gespräch mit dem "Spiegel" aufnehmen.
Auf Nachfrage stellte ein Sprecher des "Spiegel"-Verlags unterdessen klar, dass die Kostenpflicht für die Logo-Nutzung nicht sofort greifen soll: "Alle bereits produzierten oder aktuell in Produktion befindlichen Materialien sind von dem Modell ausgenommen", heißt es im Nachgang zur ursprünglichen Pressemeldung. Den Verlagen, die ihre Budgetplanung für 2018 gleichwohl komplett revidieren müssten, wird das partielle Zurückrudern in Hamburg kein Trost sein.
Der Schock nach Nikolaus hat über kaufmännische Folgen und Umsetzungsfragen hinaus in der Buchbranche eine grundsätzliche Debatte ausgelöst. Deren Kern nennt Christian Schumacher-Gebler "die Frage nach Henne und Ei". Mit anderen Worten: Wer war denn zuerst da – die Bestsellerlisten oder die Bestseller? Noch anders: Wer steigert eigentlich wessen Wert – der "Spiegel" mit seiner journalistischen Marke den Wert der Bücher oder das Buch die Marke eines Nachrichtenmagazins, das mit hohen Rückgängen seiner Auflage und damit einhergehendem Relevanzverlust zu kämpfen hat?
Aus der Perspektive der Buchverlage liegt die Antwort auf der Hand. Annette Beetz formuliert sie so: "Es ist die Leistung von Urheber und Verlag, dass ein Titel sich zum Bestseller entwickelt. Die Marke 'Spiegel' wiederum wird durch die Inhalte der Verlage aufgeladen." Das helfe dem Magazin, seinem "Bedeutungsverlust" im Contentbereich entgegenzuwirken. Zugleich strahle die Medienmarke "für den Leser Kompetenz und Autorität aus". Beetz sieht nicht ein, warum diese "Win-win-Situation" nicht so, wie sie lange gehandhabt wurde, fortbestehen kann. "Dass daraus nun ein einseitiges Geschäftsmodell werden soll, ist schwer verständlich."
Schubumkehr in der Wertschöpfungsfrage
Drastischer bringt René Kohl, der Inhaber des Berliner Buch- und Medienversands Kohlibri, die Sache auf den Punkt. Er kehrt den Spieß gedanklich um und stellt, wie er selbst einräumt, "etwas giftige" Fragen: "Die Buchhändler stellen die Abverkaufsdaten und den Showroom zur Markenbildung des 'Spiegel'-Bestseller-Labels zur Verfügung, die Verlage zahlen an den 'Spiegel' dafür, dass auf ihren Covern das 'Spiegel'-Logo prangt? Und der 'Spiegel' verdient wofür gleich noch mal? Weil nur der 'Spiegel' die Bestsellerdaten aggregieren kann? Oder weil Bestseller nur dann Bestseller sind, wenn der 'Spiegel' noch mal draufgeguckt hat, dass auch keine rechtsextreme Literatur dabei ist? (Qualitätsoffensive?)"
Kohl schlägt der Branche den argumentativen Konter vor, und der geht so: "Kann es sein, dass die 'Spiegel'-Bestsellerliste eigentlich eine Buchhändler-Bestsellerliste ist? Kann es sein, dass es ein exklusives Privileg für den 'Spiegel' ist, die Bestsellerinformationen vom Buchhandel zu bekommen?" Nach dieser Schubumkehr in der Wertschöpfungsfrage liegt die Schlussfolgerung nahe: Vielleicht finde sich ja "ein anderes großes Medienunternehmen in Deutschland, das ein für die Buchbranche vorteilhafteres Geschäftsmodell zur Generierung einer Bestsellerliste vorschlägt – und gern den Buchhandel und die Verlage zur Verbreitung seines Logos und seiner Marke miteinbeziehen möchte".
Damit liegt der Buchhändler Kohl ganz beim Verlagsmann Schumacher-Gebler, der anmerkt: "Es gibt andere schicke Medienpartner für Bestsellerlisten, die 'Zeit' zum Beispiel, die auch wöchentlich erscheint." Schon vor Jahren hatte ein damaliger Chefeinkäufer einer großen Buchhandelskette im Zusammenhang mit der Listen-Verbreitung im stationären Buchhandel die Frage aufgeworfen: Sollte nicht vielmehr dem "Spiegel" die Markenpräsenz in einer Vielzahl stationärer Buchhandlungen einiges Geld wert sein?
Ein weiterer Geschäftsführer eines Publikumsverlags, der zunächst die Gespräche mit dem "Spiegel" und Harenberg abwarten und deshalb noch nicht namentlich zitiert werden will, gibt ähnliches zu bedenken: "Es ist ja immerhin so, dass wir uns mit unseren Titeln zunächst ohne die Marke 'Spiegel' für eine Bestsellerliste qualifizieren, und zwar kraft unseres eigenen Contents." Erst dann veredele der "Spiegel" diese Titel durch seine Marke. "Wir werden jetzt zu prüfen haben, ob die Marke 'Spiegel' wirklich so bedeutsam ist für eine Bestseller-Information, die wir unseren Büchern mitgeben wollen." Vielleicht gebe es auch andere, von Drittmarken unabhängige Möglichkeiten.
Ins gleiche Horn stößt Uwe Rosenfeld. Bei allem Verständnis für "das Bemühen, Umsatzrückgängen und Bedeutungsverlust entgegenzuwirken und die eigene Marke zu schützen", sei doch zu fragen, "wer hier von wem eigentlich mehr profitiert". Die Bücher der Verlage und die Buchhändler mit ihren Präsentationen auf allen Kanälen in Richtung Kunde tragen aus der Sicht des Holtzbrinck-Managers zur Bekanntheit und Sichtbarkeit der Marke "Spiegel" wesentlich bei. "Auf jeden Fall hat es dem 'Spiegel' nicht geschadet, wie es bisher gelaufen ist." Nach Rosenfelds Dafürhalten hat der Prozess einer Abkehr von einem "Spiegel"-Listenmonopol bereits eingesetzt. Der Idee einer neutraleren Bestsellerpräsentation im stationären Buchhandel wie auch in den Onlinemedien könne er zunehmend etwas abgewinnen.
Ruth Segoviano von Schmitt & Hahn sieht das auch so: "Ob auf dem Buch das 'Spiegel'-Logo oder ein anderes Bestseller-Logo klebt, ist unserer Erfahrung nach nicht maßgeblich." Wichtig sei, überhaupt eine Orientierungshilfe zu geben und Bestsellertitel hervorgehoben zu präsentieren.
Heinrich Riethmüller, der geschäftsführende Gesellschafter der Osianderschen Buchhandlung, führt in seinen Filialen dazu längst den Beweis: "Der Wert der 'Spiegel'-Aufkleber wird maßlos überschätzt", glaubt der Tübinger Unternehmer. Bei Osiander-Filialen hat man daraus die Konsequenz gezogen. "In unseren Buchhandlungen zeigen wir nicht 'Spiegel'-Bestseller, sondern Bestseller allgemein, und geben damit unseren Kunden eine Orientierung über die Bücher, die im Gespräch sind." Dabei wird das Bestsellergeschäft geschickt mit dem Faktor Nähe kombiniert: "Wichtiger für uns und unsere Kunden sind die Osiander-Bestseller, also die Bücher, die bei uns nachgefragt werden."
Streng genommen ist das Werben mit dem Spiegel-Bestseller-Logo ohnehin unethisch, weil es dem Leser suggeriert, eine wie auch immer geartete Auszeichnung durch die Redaktion des Spiegels zu sein – und nicht bloß das Ergebnis aggregierter Verkaufszahlen.
Wäre der aktuelle Zwist mit dem Spiegel-Verlag da nicht eine gute Gelegenheit für den Buchhandel, eine andere Art der Präsentation von Titeln zu finden, die mehr auf Empfehlungen als auf Massengeschmack basieren?
Für mich als Buchleser und Bücherliebhaber waren und sind die Aufkleber überflüssig wie ein Kropf. Warum? Ganz einfach: (1) Ich treffe meine Kaufentscheidung bestimmt nicht nach einer "Spiegel"-Bestsellerliste resp. den "Spiegel"-Aufklebern auf den Büchern und (2) geht mir das für mich notwendige Entfernen dieser Aufkleber ziemlich auf den Geist (welcher Bibliophile will seine Bücher denn schon mit einem Aufkleber verunstaltet haben).
Meine Empfehlung: Dem Diogenes-Verlag folgen und auf Aufkleber (welcher Art auch immer) auf den Büchern verzichten.
Ich rate den Verlagen dazu, auf bezahlte Spiegel-Bestseller-Aufkleber zu verzichten. Sie verschandeln die in letzter Zeit zumeist wieder attraktiven Buchcover auch nur.
ich bin ein notorischer Vielleser.
Aber noch nie in meinem Leben habe ich auch nur ein Buch gekauft, auf dem mich ein SPIEGEL-Bestseller-Logo anhechelte! Auf mich wirkt dieses Logo wie ein Fliegenpilz.
damit es ab Januar 2018 dann eine Lösung geben könnte.
Vorteilhafter ist es, wenn der Börsenverein in Verbindung mit den
Verlagen sich zu einem eigenen Logo der Bestseller durchringen kann.
Der SPIEGEL sollte kein sogenannter Steigbügelhalter für die Bestseller
sein.
Die Buchbranche kann da sehr wohl eine eigene Initiative dazu starten.
Und damit würden auch manche Abhängigkeiten langsam zu Ende sein.
Es ist ja nicht so dass der Spiegel mehr macht als einfach nur Verkaufszahlen zusammenzurechnen, das kriegen andere auch hin. Das ganze erinnert mich ein bisschen an den Versuch von Lidl Coca Cola auszulisten, die haben die Kräfteverhältnisse auch völlig falsch eingeschätzt, nur dass hier der Fall noch einen ganzen Zacken extremer liegt.