Vermutlich sind alle Buchhändler irgendwann schon einmal mit Kundennachfragen nach Amazon-Publishing-Titeln konfrontiert wurden, die bisher nicht oder nur mit finanziellen Einbußen erfüllt werden konnten. Ob man versucht, dem Kunden wirklich jedes Buch zu besorgen oder seinen Wunsch nach einem Amazon-Only-Titel dazu nutzt, ihm zu erklären, warum man ihnen genau dieses Buch nicht verkaufen kann (oder will), das muss jedes unserer Mitglieder nach unternehmerischen und geschäftspolitischen Kriterien für sich selbst entscheiden.
Für die Mehrheit der IGUS-Mitglieder hat es oberste Priorität, möglichst jede Kundennachfrage zu bedienen. Niemand schickt gern einen unzufriedenen Kunden weg, der dann womöglich nie wiederkommt, weil ihm nicht geholfen wurde.
Unter diesem Gesichtspunkt ist es gut, dass jetzt zumindest alle KNV-Kunden einen (kleinen) Teil der exklusiv von Amazon vertriebenen Titel einfach zu Barsortimentskonditionen beziehen können. Zur Erinnerung: Es geht hier (zunächst) nur um die Titel des Amazon-eigenen Verlages und seiner Imprints und nicht um alle bei Amazon verfügbaren Selfpublisher-Titel (CreateSpace etc).
Wir glauben aber ohnehin nicht, dass sich die Buchhändler nun stapelweise diese Bücher in den Laden legen werden oder darauf hoffen, unter diesen Titeln neue Bestseller zu entdecken. Hier geht es wirklich nur darum, ein paar mehr Kunden glücklich zu machen und sie nicht in die Arme eines Amazon-Kundenkontos zu treiben.
Davon abgesehen, betrachten wir diese Kooperation durchaus sehr kritisch und fürchten, dass KNV hier ausgerechnet demjenigen die Tür zum deutschen Buchmarkt noch weiter aufmacht, der nur ein Ziel kennt: Die Konkurrenz "zu jagen und zu erlegen", um 100% Marktmacht zu erreichen. Ein Teilziel, nämlich mehr Sichtbarkeit für eigene Titel in Deutschland, hat Jeff Bezos damit erreicht. Daraus zu ziehende Konsequenzen sollte sich jeder Marktteilnehmer selbst überlegen. Welche Bücher er verkaufen will und aus welcher Bezugsquelle er sie bezieht, muss jeder Buchhändler auch weiterhin für sich selbst entscheiden.
Mehr zum Thema:
- Oliver Voerster zur KNV-Amazon-Kooperation "Aufgabe eines Großhändlers ist es, ein möglichst breites Sortiment anzubieten"
- Interview mit Dominic Myers und Friederike Hiller (Amazon Publishing) "Wir arbeiten an der Präsenz im stationären Buchhandel"
- Kooperation mit Amazon KNV beliefert stationären Buchhandel mit Titeln von Amazon Publishing
Und in der Selfpublisherbibel (.de) heisst es dazu: "Wenn Sie ein, zwei erfolgreiche Titel über Amazon (insbesondere direkt über KDP) veröffentlicht haben, dauert es meist nicht lange, und Sie bekommen eine Anfrage per E-Mail, deren Absendeadresse auf „amazon.com“ endet. Sie haben Amazon Publishing am Draht, Amazons Verlags-Arm, der seit etwa 2014 auch in Deutschland recht aktiv ist."
Bestes Beispiel ist vielleicht der deutsche Krimi-Autor Hartung, der von Friederike Hiller, Head of Amazon Publishing DE, im BBL-Interview erwähnt wurde:
Bei amazon findet man die Taschenbuch-Ausgabe von "Bis alle Schuld beglichen" (1. Band der Jan-Tommen-Reihe), mit Erscheinungsdatum März 2017 bei Ullstein, die Kindle ebook-Ausgabe bei Edition M, einem amazon Imprint.
Tatsächlich ist der Titel aber schon 2013 mit amerikanischer ISBN bei "CreateSpace Independent Publishing Platform" erschienen. Dito gibt es die Bände 2 und 3 aus den Folgejahren ebenfalls als Ullstein-Print, dort wieder März 2017. Der neueste, fünfte Band der Jan-Tommen-Reihe hingegen vom 5. April 2017 (wie auch der 4. Band) erscheinen aber auch in der Printausgabe bei "Edition M".
Wie war das also: ein erfolgreicher Create Space Selfpublisher von 2013 wird zum Edition M Autor, dann funktioniert die Printausgabe über amazon aber nicht recht, daraufhin bekommt Ullstein eine Print-Lizenz für Band 1-3 und die Bücher sind ab März 2017 auch im normalen Buchhandel erhältlich. Die Ullstein-Titel müssen sich ordentlich verkauft haben, denn sie haben aktuell bei amazon ein Ranking von 416 (Bd. 1), 2.341 (Bd. 2) und 4.614 (Bd. 3) in der Sparte "Bücher gesamt". Für Band 4 und 5 probiert man es jetzt aber ohne einen klassischen Print-Verlag wie Ullstein, sondern stattdessen mit Edition M und damit auch ab sofort direkt über KNV. Bislang haben diese beiden Bände - obwohl ja neu - nach einem halben Jahr nur ein Ranking jenseits der 9.000 erreicht. Das sollte sich dank KNV verbessern, zumindest muss man bei amazon darauf hoffen. Klassische Verlage wie Ullstein sind damit als Lizenz-Printer aus dem Geschäft.
Wer also behauptet, die Sichtbarkeit im Buchhandel wäre kein Argument, der soll einfach mal die Rankings der drei Ullstein-Ausgaben (die überdies die älteren Titel, aber erst seit März 2017 bei Ullstein verfügbar sind) mit denen der zwei neueren Edition M Print-Ausgaben vergleichen - dazwischen liegen Welten!
die amazon Imprints sind also keineswegs "normale" Verlage, denn amazon lässt die Autoren selbst ausprobieren, ob sie Leser finden, und übernimmt erst dann. Aber das ist ja gar nicht das Schlimmste. Wirklich schlimm ist, daß selbst ein renommierter Bestsellerautor es sich jetzt leisten könnte zu amazon publishing zu wechseln, wenn doch die Titel über KNV für den ganzen Buchhandel beziehbar sind, nicht wahr? Und amazon hat sicher genug Geld in der Portokasse, um auch einem Autor der Bestseller-Schwergewichtsklasse wie Ken Follet oder Dan Brown ein wirklich attraktives Angebot unterbreiten zu können. Das würden die nicht probieren? Warten wir's ab. Der Preis mag hoch erscheinen, aber die Auswirkungen wären fatal für den deutschen Buchhandel, wenn er dann direkt am amazon Tropf hängt. Daß da vielleicht noch weit Schlimmeres droht, darin kann ich Frau Hünscheid nur beipflichten.
das ist mal wirklich ein fundierter Beitrag, der zum Nachdenken anregt. Über das Ergebnis bin ich mir übrigens in keiner Weise schlüssig. Diese Unsicherheit spricht ja auch aus vielen anderen Kommentaren. Also sollten wir uns intensiv mit der Fragestellung auseinandersetzen.
@ Thoams H: "Insofern ist das "Feindbild" für mich in keinster Weise nachvollziehbar." Wer spricht von Feindbild? Ich sicher nicht. Ein Felsüberhang, der droht, mein kleines Häusschen irgendwann mal zu begraben, ist doch kein "Feind" - aber durchaus eine Gefahr. Ist der Unterschied so schwer zu verstehen?