Martina Bergmann über Altersvorsorge im Buchhandel

"Behagliches Trödeln verdient kein Geld"

3. November 2017
Redaktion Börsenblatt
Vor lauter Alltag komme man nicht zu strategischen Überlegungen, weder für das Sortiment noch für sein persönliches Leben, meint Martina Bergmann, Buchhändlerin und Verlegerin aus Borgholzhausen. Und empfiehlt Buchhändlern, sich eine Stunde pro Woche um sich selbst zu kümmern.

Oktober und November sind harte Monate. Es ist dunkel, es regnet, und viele Menschen sind einsam. Sie gehen dann zum Beispiel in eine Buchhandlung. Da ist es hell und warm, da steht ein Sofa, und leider habe ich immer noch keine Kaffeemaschine. Aber so kommt man ins Gespräch: Wenn ich Sie wäre, Frau Bergmann. Heißgetränke, ich sag Ihnen das. Ich würde auch Kurse anbieten. Autobiografisches Schreiben. Gedichte. Ich würde Laubsägearbeiten und Wollsocken in Kommission nehmen, und ich würde, an Ihrer Stelle - Das Telefon klingelt. Wasserspender mit Anzeigen der Kaufmannschaft. Kartenvorverkauf für Benefizkonzerte. Plakate aufhängen. Aber den Büchertisch? Also nee, Frau Bergmann. Den bekommt der Kollege. Sie machen Werbung genug, Sie brauchen unsere Unterstützung nicht.


Nachgefragt werden Präsenz, Empathie und Ehrenämter

Zusammengefasst: Es besteht ein Nachfrageüberhang. Die Basisfunktion Einzelhandel mit Büchern ist dabei fast nebensächlich. Nachgefragt werden: Präsenz, Empathie, Ehrenämter. Ein Luxusproblem? Ja und nein. Schön, dass ich wahrgenommen werde. Das zeigt, neben Amazon ist Platz für Buchhandel - wenn man sich sichtbar macht. Ich meine, Bucheinzelhandel wird in Zukunft entweder digital abgewickelt oder als intellektuelle Boutique inszeniert. Ich glaube nicht, dass zwischen diesen Extremen viel passieren wird. Aber man kann als handverlesener Lieblingssuperbuchladen nur bestehen, wenn man das Problem von Oktober, November, Mittwochnachmittag und all den Brückentagen löst: Man redet und redet, während die Arbeit liegen bleibt. Vor lauter Alltag kommt man oft nicht zu strategischen Überlegungen, weder für das Sortiment noch für sein persönliches Leben.

Würde ich sagen, was ich oft denke: Bitte, haben Sie keine beste Freundin, der Sie das erzählen können? Bitte, ich werde kein Fördermitglied in Ihrem Verein, und ich werde auch nicht am dritten Advent bei Kerzenschein etwas vorlesen. Eine ehrliche Antwort auf das Begehren um Aufmerksamkeit würde lauten: Es gibt Grenzen. Erstmal, das Geschäftsfeld heißt Buch. Das Geschäftsfeld Seele wird von Fachleuten bedient, die Ihnen die Krankenkasse empfiehlt. Zweitens, das Geschäftsfeld Buch ist von folgenden Institutionen nicht unabhängig: Finanzamt. Sozialversicherung. Industrie- und Handelskammer. Hausbank. Hauptlieferant. Sie alle erwarten Informationen und auch Zahlungen, durchaus fristgerecht. Ich kann bei der Umsatzsteuervoranmeldung nicht sagen - verspäte mich. Musste mit Frau Meier die Enkelkinder bereden. Musste Pulswärmer filzen und Grog für Tibet trinken.


Behagliches Trödeln verdient kein Geld

Es ist verführerisch, das Buchhändlerleben zu führen, von dem Kunden träumen - siehe oben. Man kann sich der Illusion hingeben, Buchhandel sei die Rückumwandlung von Instagram-Aufnahmen in echtes Leben. Ich mache manchmal Wellness in meiner Buchhandlung. Zeitunglesen in Randstunden. Herrlich! Nur: Das ist keine Arbeitszeit. Das ist Trödelei an einem Arbeitsplatz mit hoher Präsenzpflicht. Und behagliches Trödeln verdient kein Geld, weder für den Moment noch in die Zukunft. Alle Angestellten, ob sie gut arbeiten, häufig krank sind, ihren Chef nerven oder sich den Zimmerpflanzen zuwenden: Sie sammeln immer Rentenpunkte. Bei uns Selbständigen passiert, zumindest automatisch, gar nichts. Man muss sich kümmern. Und kümmere ich mich am Abend, nach Ladenschluss? Nein. Ich bin ja morgen wieder da, und dann geht es von vorne los. Tür auf, Leute rein, Dauerkommunikation.


Selbstsorge, eine Stunde pro Woche

Ich habe unter Buchhändlern mehrere Haltungen zur Selbstsorge beobachtet. Manche gefallen sich in Ergebenheit - mein Schicksal nennt sich Altersarmut, aber bis dahin habe ich es nett. Andere erwarten sechsstellige Ablösesummen für ihr sogenanntes Lebenswerk. Mit solchen Forderungen bedrängen sie junge Kollegen und Quereinsteiger. Sie verhindern dabei, in unheiliger Allianz mit Beratern, die Erhaltung an sich funktionierender Strukturen. Dritte sind fatalistisch und harren aus, bis sie schließen müssen - nach mir die Sintflut. Ich meine, das ist alles nicht zu Ende gedacht. Und wann auch? In den letzten fünfzehn Jahren musste soviel Innovation geleistet, einer so rigiden Verdrängung widerstanden werden, dass oft keine Muße blieb. Aber gerade in Phasen von Oktober, November und Mittwochnachmittag denke ich: Alle Welt gibt sich der Selbstsorge hin. Warum tu ich das nicht auch? Warum widme ich nicht eine Stunde pro Woche meinen eigenen Interessen? Ich könnte in dieser Stunde, wann auch immer sie ist, meine Arbeit planen. Ich könnte mich schulen lassen, wie ich Abwehr geschickt kommuniziere. Ich könnte mit dem Steuerberater ein Altersvorsorgemodell entwickeln. Eine Stunde pro Woche ist keine große Investition. Aber eine lohnende.