Gleich zu Beginn seiner Präsentation mit dem Titel „Die Independents ganz weit vorn“ machte Wolfgang Gruschwitz deutlich, dass künftig nicht mehr das Produkt als solches, sondern die Zugänglichkeit zu demselben im Fokus stehen sollte. „Das Buch ist für den Kunden so selbstverständlich geworden wie das Wasser aus der Leitung“, sagte er am Samstagvormittag auf der Bühne in Halle 4.0. Als Beispiel führte er den Onlinehandel an. Marktführer Amazon etwa sei keineswegs spezialisiert auf Bücher, sei auch kaum abhängig vom Verkauf dieser, habe dem stationären Handel aber eines voraus: „Das technische Knowhow, mit dem der Zugang zum Produkt für den Kunden stetig bequemer wird.“ Mit wenigen Klicks könne dieser seine Einkäufe nach Hause bestellen – und wieder zurückschicken.
Den Handel neu beleben
„Der Buchladen stirbt deshalb nicht aus, er muss sich dem nur anpassen“, erklärte der Experte am Samstag auf der Messe. Nach einer Reihe Schließungen würden aktuell wieder viele Läden neu eröffnen. Seit 2012 habe es gar eine Frequenzsteigerung von zwölf Prozent gegeben. Wichtig sei nun, zukunftsorientiert zu denken. Der stationäre Handel habe wiederum den Onlineanbietern voraus, dass er eine Kundenbeziehung aufbauen könne. „Die Buchhändler müssen die Chance wahrnehmen, das Digitale mit dem Analogen zu verknüpfen und aus dem vollen Potenzial beider Bereiche zu schöpfen“, betonte Gruschwitz.
Ein erster Schritt sei, die Buchhandlung als Ort der Kommunikation in den Fokus zu rücken. „Ein direkter Austausch über Bücher – von Kunde zu Kunde oder von Fachmann zu Kunde – den kann Amazon nicht bieten“, so Gruschwitz. Auch regelmäßige Events oder eine saisonale Dekoration können Anreize für den Leser sein, den Weg in die Stadt zu machen. „Ein Trend ist zum Beisiel das Konzept der Nachbarschaftsläden“, erklärte Gruschwitz.
Ein Geschäft, viele Möglichkeiten
So könne der Händler alltägliche Rituale der Kunden aufgreifen; etwa Snacks und Getränke zu der Lektüre anbieten. „Frühstücksangebote stoßen erfahrungsgemäß auf positive Resonanz“, sagte Gruschwitz. Auch Hobbys der Leser können einbezogen werden. Der Münchner Designer verwies damit einhergehend auf eine Buchhandlung, die in ihre Räumlichkeiten ein Gewächshaus integriert hat.
Neben der direkten, emotionalen Bindung zwischen Ort und Kunde dürfe der Aspekt der Digitalisierung nicht außer Acht gelassen werden. Eine Onlinepräsenz sei unumgänglich. „Informationen sollten auf der Homepage verfügbar sein. Auch die Vernetzung mit der Community, den Bloggern und Influencern, ist wichtig“, so der Experte. Im Laden selbst solle nicht länger die Information im Zentrum stehen. „Wissen liefern Wikipedia und Co. Das Geschäft sollte neben der Vermittlung von Inhalten vor allem inspirieren, zur Denkwerkstatt werden“, meinte Gruschwitz weiter.
Unter den Diskutanten, darunter Swantje Meininghaus (Sprecherin Nordbuch-Gruppe), David Mesche (Buchhändler) und Klaus Kluge (Vorstand Bastei Lübbe), herrschte bezüglich Gruschwitz‘ Vortrag Konsens. Einzig hinsichtlich der Frequenzsteigerung gab es Einwände. Meininghaus kritisierte: „Ich betreue derzeit 50 Buchhandlungen und ich muss sagen: das trifft vielleicht auf den Handel im Allgemeinen zu, aber keinesfalls auf unsere Branche.“ Den Ansatz „denke digital, handle analog“ finde sie zutreffend. Auch Mesche schloss sich dem an. Er sieht den Buchhändler der Zukunft primär als Eventmanager. Kluge ergänzte: „Die Kraft der Autoren darf dabei nicht unterschätzt werden. Ein Sebastian Fitzek etwa hat eine enorme Fangemeinde, von der ein Händler profitieren kann.“