Kommentar zu Sandra Kegels Leitartikel in der "FAZ" über das Ende des Buchs

Die Gutenberg-Apokalypse

21. September 2017
Redaktion Börsenblatt
Zu den Untergangsszenarien, mit denen die Presse die verbreitete Lust am Niedergang bedient, gehört auch regelmäßig der Abgesang auf das Buch. Sandra Kegel sieht in ihrem heutigen Leitartikel in der "FAZ" offenbar das Ende des Gutenberg-Mediums kommen. Die Fakten, mit denen sie ihre Mutmaßungen untermauert, sind allerdings sehr porös.

So behauptet Sandra Kegel in ihrem Leitartikel ("Ist das Buch am Ende?") unter anderem, der Umsatz mit gedruckten Büchern sei in Deutschland von 2012 bis 2016 "um dreizehn Prozent auf prognostizierte etwa acht Milliarden Euro 2016" zurückgegangen. Eine Quelle nennt sie nicht, ihre Zahlen decken sich aber mit älteren Umsatz- und Prognosewerten, die das Beratungsunternehmen Pricewaterhouse Coopers veröffentlicht hat (abrufbar über Statista).

Die Zahlen des Börsenvereins, die auf Endkundenumsätzen beruhen, sprechen eine andere Sprache: Demnach ist der Anteil gedruckter Bücher im Fünfjahreszeitraum 2012 bis 2016 um etwa fünf Prozent gesunken - ganz klar eine andere Größenordnung (Quelle: Branchen-Monitor Buch).

Angeblich, so Kegel weiter, würde nur noch jeder fünfte Deutsche lesen ("Nur jeder Fünfte liest überhaupt noch.") Das verrät eine sehr eigenwillige Lesart der zugrundeliegenden Statistik. Denn laut der Studie "best for planning 2016" (siehe "Buch und Buchhandel in Zahlen 2017") ist der Anteil der Leser erheblich höher: Mehr als 46 Prozent der Befragten lesen häufig (18,8 Prozent) oder gelegentlich (27,5 Prozent) Bücher. 28,5 Prozent lesen selten – und nur 25,2 Prozent lesen nie. Sandra Kegel hat hier also aus "Häufig-Lesern" "Überhaupt"-Leser gemacht.

Fazit: Fast 75 Prozent der Befragten gaben an zu lesen. Der einzige Trend, der sich in den vergangenen Jahren beobachten lässt, ist, dass die Frequenz des Lesens leicht abnimmt, und die Zahl der Leser sinkt (2012 ermittelte die "VerbraucherAnalyse" einen Leseranteil von 80,8 Prozent).

Irreführend ist zudem Kegels Behauptung, Bücher lägen im Ranking der Freizeitbeschäftigung weit abgeschlagen hinter "Kuchen essen" und "Ausschlafen" (auf Platz 14). Das Problem: Die beiden letztgenannten "Tätigkeiten" kommen in der Statistik gar nicht vor. Im Übrigen liegen Bücher in der Statistik seit drei Jahren auf Platz 14, ob man das nun gut findet oder nicht. Und was liegt vor der Beschäftigung mit Büchern? Fernsehen, mit Freunden Zeit verbringen, mit Kindern Zeit verbringen, Musik hören, gut essen gehen, Tageszeitung lesen, Internet nutzen, PC nutzen, Auto fahren und Zeitschriften lesen – Dinge, die seit Jahren oder schon seit Menschengedenken mehr Freizeit beanspruchen als das Lesen eines Buchs.

Die apokalyptische Stoßrichtung des Artikels verliert angesichts der verzerrten Faktenbewertung an Wirkung. Sicher muss man sich Gedanken über die Zukunft des Buchs machen – am Ende aber überlebt das Medium alle Kommentare, die seinen Untergang an die Wand malen. Immerhin, das wird man Kegel konzedieren, geht jetzt rechtzeitig vor der Buchmesse die Debatte um das Buch in eine Neuauflage. Das war wohl auch das Ziel dieser publizistischen Intervention.

roe