Zuletzt hatte sich der zu Random House gehörende Verlag Manhattan, Heimat so bekannter Autoren wie Wladimir Kaminer, Ian Rankin oder Terry Pratchett, mit seinem Profil nicht mehr recht wohlgefühlt. In der Verlagsnachbarschaft von btb und insbesondere von Goldmann (dem Manhattan vor 20 Jahren als Paperback- und später als Hardcover-Imprint hinzugefügt wurde und auf dessen Taschenbuchprogramm man seither einzahlte) war die Kenntlichkeit der eigenen Produktion über die Jahre verblasst. Im Herbst 2016 erschien noch ein letztes Manhattan-Programm, danach nahm sich das Team um Verlagsleiterin Andrea Best eine kreative Auszeit zur Neubestimmung. Ergebnis der sechsmonatigen Metamorphose sind ein neues Konzept nebst neuem Verlagsnamen: Wunderraum. Manhattan Transfer quasi.
Im Wunderraum wird das bisherige Manhattan-Team ab diesem Herbst wieder Bücher herausbringen. »Romane, in denen Leserinnen und Leser sich verlieren können und die nach der Lektüre ein gutes Gefühl hinterlassen«, so skizziert Andrea Best die Kernidee. Zehn bis zwölf Titel pro Jahr sollen es werden, nicht mehr. Auch in den Genres will sich Wunderraum klare Beschränkungen auferlegen: Thriller, Erotik, Fantasy, Science-Fiction und Sachbuch würden nicht angeboten, heißt es.
»Vergesst mal alles, was ihr wisst«
Die Manhattan-Crew hat es sich nicht leicht gemacht mit ihrer Neubestimmung. Intensiv wurden zunächst Zielgruppen studiert. Gemeinsam mit Strategieberatern, die sich auf Methoden des Design Thinking verstehen, wurde »frisch, neu und quer« gedacht. »Vergesst mal alles, was ihr wisst«, stand als Motto am Anfang der Bestandsaufnahme. »Denken wie ein Start-up«, so charakterisiert Best den Prozess.
Rasch kam das Team – sieben Frauen aus Presse, Marketing, Vertrieb und Lektorat sowie der Hersteller Stefan Hansen – zu der Überzeugung, in Richtung Qualität und Entschleunigung denken zu sollen. »Wir werden im Alltag ja alle überschwemmt mit digitalen Angeboten«, erläutert Pressesprecherin Susanne Grünbeck, die sich deshalb gar nicht gewundert hat, dass sich alle befragten Altersgruppen über die Funktion des Bücherlesens ähnlich äußern: »Sie wollen sich mit einem Buch herausnehmen aus dem schnellen digitalen Fluss der Zeit.« Wunderraum stehe für genau diese Möglichkeit – »mit handwerklich gut gemachten, schön gestalteten, keinen Trends verpflichteten Büchern«, wie Marketingchefin Katja Hein es beschreibt. Kurzum: Bücher für Quality Time. Offline, sagt Hein, sei »das neue Yoga«. Lesen als Digital Detox.
Wladimir Kaminer bleibt dem Verlagsteam treu
Wie man das halt so macht, nachdem die Zielgruppe definiert wurde, haben sich auch die sieben Wunderraum-Frauen und Herr Hansen dann eine Persona zurechtgelegt, eine beispielhafte Leserin. Sie heißt Kerstin, steht für digital affine Frauen ab 30, die einen stressigen Alltag bewältigen und wissen, dass das auf Dauer ohne gelegentliche Offlinezeiten mit einem guten Buch nicht gelingen würde. Für Kerstin soll Wunderraum künftig das bevorzugte Refugium sein. Und genau für diese Kerstin und ihresgleichen hängt handschriftlich unter dem neuen Verlagsnamen der schöne Claim »Lesen ist ankommen.«
Noch im Mai will der frischgeborene Verlag sein Herbstprogramm vorstellen. Was Andrea Best bereits verrät: Wladimir Kaminer bleibt dem Verlagsteam treu. Er steuert zu den geplanten sechs Titeln der Wunderraum-Premiere einen Band mit Erzählungen über seine Frau Olga und andere Frauen bei, deren Wesen ihm unergründlich erscheinen.
Auch in der Vertriebsarbeit möchte Wunderraum seinen eigenen Stil pflegen. »Wir werden garantiert nicht versuchen, uns mit einer finanzstarken Spitzentitelkampagne den Weg in den Handel sozusagen freizusprengen«, verspricht Verlagsleiterin Best. Stattdessen setzen sie und ihr Team auf nachhaltige Überzeugungsarbeit. Ab sofort wird deshalb dem stationären Buchhandel, auf dessen Sympathie es dem Verlag besonders ankommt, das Wunderraum-Konzept in Teilen sogar persönlich vorgestellt. »Wir wollen diesen Wunderraum gemeinsam mit unseren Leserinnen und Lesern und mit dem Buchhandel füllen«, kündigt Andrea Best an, »und wir sind gespannt, was passiert.«
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