Christine Paxmann über die (Un-)Logik im Kochbuchmarkt

Trendseufzer

20. April 2017
Redaktion Börsenblatt
Auch wenn sich bevorzugt männliche Autoren mit immer neuen Themen überbieten: Hochkonjunktur haben solide Grundkochbücher aus weiblicher Hand. Christine Paxmann sucht die Logik auf dem Kochbuchmarkt.

Als Programm-Creator von Kochbüchern hat man's derzeit nicht leicht – es ist alles gesagt, zu jeder Tortenschaumverzierung gibt’s einen flink gemachten Trendband. Jede Länderküche findet zum Buch und sei es die südkaukasische, dank Buchmessen-Gastlandauftritt 2018. Ich ahne schon Publikationen wie "Tiflis" (Ottolenghi?) und ­"Supergeorgian" (Jamie Oliver?) oder "Meine georgischen ­Geheimnisse" (Alfons Schuhbeck). Bis dahin müssen Lunchbowls (alles in eine Schüssel, aber mit Muster), Sprossen­gerichte (Veggie-Minimalismus) und Kochbücher für Menschen, die nichts essen können (gluten-, zucker-, eiweiß-, fettfrei) die Lücke schließen. Als Programm-Creator und als Buch-Merkator kommt man ins Grübeln, wenn man den Liefer­service Pizza, Bun Bo und Chicken Tikka Masala ausradeln sieht. Vielleicht wäre es Zeit für eine "Lieferando & Foodora Cook Bible" im Pizzaschachtelformat mit fettabweisender Oberflächen­veredelung? Denn alles mit Branding scheint ja glänzend zu gehen, sieht man sich Analysezahlen (von ­me-metis, der neuen Glaskugel der Branche) an.

Wie immer, wenn Chaos in der Welt herrscht – also immer –, hat das Solide Konjunktur. Zum Beispiel Bücher, die einst von Hauswirtschaftslehrerinnen konzipiert wurden. 1911 schrieb genau so eine, Emilie Henneking, einen Bestseller, um den damals deutlich küchenaffineren Frauen das Handwerk des Kochens noch näher zu bringen. In der Historie des Verlags steht, dass man "auf die sich verändernden familiären Verhältnisse im 20. Jahrhundert" reagierte (ha, da gab's doch glatt Frauen, die sich vom Herd entfernten – sollte da ein Grundkochbuch Rücksogwirkung zeigen?). Der Gründer des Verlags war Apotheker und revolutionierte mit einem Pülverchen und einem Buch nicht nur die Küche, sondern das Essverhalten eines Landes – das "Dr. Oetker Schulkochbuch" müsste theoretisch in jedem Haushalt stehen.

Vielleicht reagierte man aber auch auf ein Phänomen aus ­Bayern? Schon 1910 erschien ein grünes Oktavbändchen mit den Ergebnissen der Wanderkochkurse der Miesbacher Hauswirtschaftsschule. Ab der 1933 erweiterten Ausgabe trug es den Namen "Das Bayerische Kochbuch" von Maria Hofmann und widerlegt bis heute sämtliche Postulate der Markenexperten. Auch die 56. Auflage donnert noch mehr als 20.000-mal im Jahr über die analogen und digitalen Ladentische – mit ­bayerischen Rezepten! Und einem Coverbild, das von sehr, sehr vergangenen Epochen des Foodstyling tönt. 900 Seiten mit Fraktur und in einer Diktion, die heutige Frauen sich von ihren Müttern verbitten würden! Wo ist da die Logik?

Dass im selben Bundesland, 50 Jahre später, noch ein Kochklassiker entstehen konnte, ist fast ein Wunder. Die Herzen zweier Menschen trafen sich im Krieg. Das weibliche Herz lernte gründlich kochen. Das männliche setzte das verlegerisch um: Seit 1955 erscheint Maria Stubers "Ich helf dir kochen", stetig aktualisiert, und ist so eine Chronik des Kochens nach 1945.

Der Programm-Creator sucht immer noch die Logik. Vielleicht überzeugt altes Wissen, weil es nicht mit der flinken Nadel gestrickt, sondern bedächtig zusammengetragen wurde? In Zeiten, in denen Topf und Nadel noch urweibliches Territorium war. Tempi passati und doch Trend? Heute sind Kochbuchautoren männlich. Und überlassen das Basiswissen einigen Damen, die ihre Urgroßmütter sein könnten. Buch-­Merkatoren sollten den Kochklassikerinnen ein Denkmal setzen – Großmütter gehen immer!