Das kollektive Verrechnungsmodell der VG Wort und seine Umsetzung

Eine kleine Atempause

1. Dezember 2016
Redaktion Börsenblatt
Die Verlage können Luft holen: Das von den VG-Wort-Mitgliedern beschlossene Modell zur Verrechnung von Autorenansprüchen sorgt für Aufschub. Doch eine gesetzliche Lösung steht nach wie vor aus.

Als die VG Wort Ende Oktober damit begann, Rückforderungsschreiben an die Verlage zu verschicken, schien eine Lösung der akuten Finanznot vieler Verlage in weite Ferne gerückt zu sein. Die Zahlungsfrist lief am 30. November ab – der Termin kam unerbittlich näher. Das einzige schuldrechtliche Hintertürchen, auf das man zu diesem Zeitpunkt noch hoffen konnte, war die Stundung – ein Instrument, das nur ­unter strengen Auflagen gewährt werden kann und ohnehin einem Offenbarungseid nahekommt. Vor diesem Hintergrund hoffte und bangte die Branche, dass die zweite außerordentliche Mitgliederversammlung der VG Wort am 26. November in München doch noch in letzer Minute einen (befristeten) Ausweg aus der Notlage eröffnen möge. Dass nun ein kollektives Verrechnungsverfahren beschlossen wurde, das den Verlagen Aufschub gewährt, wertet Börsenvereinsjustiziar ­Christian Sprang als »wichtiges politisches Signal«.

Nach der ersten außerordentlichen Mitgliederversammlung am 10. September sah es nicht danach aus, als ob es innerhalb der VG Wort zu einer mehrheitlichen Lösung für ein Verrechnungsmodell kommen könnte. Damals hatte sich vor allem in der Berufsgruppe der Journalisten Widerstand formiert, der schließlich in eine Abstimmungsniederlage für die Beschlussvorlage des VG-Wort-Vorstands mündete. Am Ende fehlten drei Stimmen zur notwendigen Zweidrittelmehrheit.
Seitdem waren die Hilfsappelle der Verlage nicht verstummt – und die publizistische Debatte um das Zusammenspiel von Autoren und Verlagen wurde erneut entfacht. Stellvertretend sei hier das Gespräch zwischen Wagenbach-Verlegerin Susanne Schüssler und Autorin Nina George in der »TAZ« vom 23. November genannt: Während Schüssler es für einen »Denkfehler« hält, Verlage nicht an den Ausschüttungen der VG Wort zu beteiligen, spricht George von einem »Kollateralschaden«, äußert aber zugleich Verständnis für den Ärger vieler Autoren gegenüber Verlagen. Und auch bei der Versammlung der VG Wort am Samstag waren der Abstimmung hitzige Diskussionen zwischen Autoren und organisierten Journalisten vorausgegangen, sodass mit dem deutlichen Ergebnis der Entscheidung nicht unbedingt zu rechnen war.

Beschluss vom 26. November: kollektives Verrechnungsmodell 
Der Beschluss der zweiten außerordentlichen Mitglieder­versammlung vom 26. November, den Verlagen ein kollektives Verrechnungsmodell anzubieten, verschafft den Verlagen nun eine Atempause von rund vier Monaten. Die VG Wort bietet – so das in allen sechs Berufsgruppen mit deutlicher Mehrheit abgegebene Votum – ein geordnetes, anonymisiertes Verfahren zur Verrechnung abgetretener Ansprüche von Autoren an Verlage an (in der Regel handelt es sich dabei um Nachforderungsansprüche, die aus dem korrigierten Verteilungsplan für die Jahre 2012 bis 2015 resultieren). Den Verlagshäusern, die sich für diese Möglichkeit entschlossen haben, stellt die Verwertungsgesellschaft ein entsprechendes Formular zur Verfügung.

Zur Erinnerung: Das jetzt beschlossene Verrechnungs­modell knüpft an das sogenannte Vogel-Urteil des Bundes­gerichtshofs vom 21. April 2016 an, in dem die Karlsruher Richter die (seit 1958 praktizierte) pauschale Beteiligung der Verlage an gesetzlichen Vergütungsansprüchen (zum Beispiel Bibliothekstantiemen) für rechtswidrig erklärt und somit verworfen hatten. Da die für die Entscheidung relevanten Verteilungspläne der Jahre 2012 bis 2015 somit für ungültig erklärt wurden, entstanden daraus weitreichende Nachforderungsansprüche von Autoren, die eine entsprechende Rückzahlungspflicht der Verlage zur Folge hatten.

»Mit dem Verrechnungsmodell kann die VG Wort nun ein Verfahren nutzen, das auch der Bundesgerichtshof im Vogel-­Urteil für zulässig erklärt hat«, erläutert Christian Sprang. Demnach dürfe ein Urheber einen ihm zustehenden gesetzlichen Vergütungsanspruch nach dessen Entstehung (also nach Ver­öffentlichung seines Werks) ganz oder teilweise an den Verlag abtreten. Dieser Anspruch kann dann mit dem Rückzahlungsanspruch der VG Wort gegenüber dem Verlag verrechnet werden.

Anonymes Verfahren der Abtretungserklärungen 
Bis zum 28. Februar können Autoren nun die von den Verlagen ausgehändigten Abtretungserklärungen ausfüllen und der VG Wort übersenden – ohne dass der Verlag erfährt, ob seiner Bitte entsprochen wurde. Nach Eingang der Abtretungserklärungen stellt die VG Wort die dann um die Abtretungssumme reduzierte Rückforderung erneut in Rechnung. Diese ist innerhalb von 30 Tagen zu zahlen. Verlage können also anhand der Differenz ermessen, ob und in welchem Umfang Autoren Ansprüche an sie abgetreten haben.

Hätte die Mitgliederversammlung am 26. November negativ entschieden, wäre den Verlagen nichts anderes übrig geblieben, als sich individuell bei den Autoren um die Abtretung von Nachforderungsansprüchen zu bemühen. Dies hätte einen vergleichsweise höheren Aufwand erfordert und wäre nicht im Schutz der Anonymität abgelaufen.

Damit das kollektive Verrechnungsmodell greifen könne, so Sprang, müssten die Verlage in einem ersten Schritt unverzüglich Verjährungsverzichtserklärungen gegenüber der VG Wort abgeben. Täten sie dies nicht, würde wegen der bis ins nächste Jahr hinein verlängerten Zahlungsfrist ein Teil der berechtigten Rückforderungen der VG Wort in die Verjährung fallen. Dies darf die Verwertungsgesellschaft als Treuhänderin aller Vergütungen aber nicht zulassen. Entsprechende Verzichtsformulare will die VG Wort in Kürze bereitstellen, sobald die notwendige Abstimmung mit den obersten Finanz­behörden von Bund und Ländern abgeschlossen ist.

Sprang rechnet damit, dass die große Mehrheit der Verlage von dem Angebot der VG Wort Gebrauch machen wird. Von den rund 93 Millionen Euro, die die Verwertungsgesellschaft als Forderung geltend gemacht habe, seien bislang nur rund 5,8 Millionen Euro eingegangen.

Geteiltes Echo
Die Reaktion der Verleger ist gemischt. Für ­einige, darunter Dietrich zu Klampen (zu Klampen Verlag), kommt das Verrechnungsmodell zu spät, weil die Rückforderung der VG Wort bereits beglichen wurde; für andere wie Britta ­Blottner (Blottner Verlag) ist das Verrechnungsmodell »Glück im ­Unglück«. Wieder andere, wie Christoph Links (Ch. Links Verlag), empfinden das kollektive Verrechnungsmodell als »Betteln bei den Autoren« und damit als »sehr kleine Lösung für ein großes Problem«.

Wie groß das Problem ist, hatte zehn Tage vor der VG-Wort-Versammlung Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, skizziert: 20 bis 25 Prozent der Verlage seien durch die Rückforderungen der Verwertungsgesellschaften »akut exis­tenzgefährdet«. Im Hinblick auf die am 30. November endende Rückzahlungsfrist habe der Verband seine Hilfsanstrengungen für die betroffenen Verlage intensiviert. Mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die sich erst kürzlich noch einmal für eine Verlegerbeteiligung starkgemacht hatte, sei über einen Hilfsfonds für in Not geratene Verlage gesprochen worden; diese Gespräche seien auf »sehr konstruktivem Wege«. Ein internes Maßnahmenpaket, so Skipis, stehe »kurz vor der ­Fertigstellung«.

Aus Sicht der Verlage ist die Entscheidung der VG-Wort-Mitglieder auch ein Zeichen an die Politik. »Angesichts der Diskussion, die seit Verkündung des BGH-Urteils geführt wird, des breiten politischen Konsenses und der gesetzgeberischen Initiativen auf nationaler und europäischer Ebene bin ich zuversichtlich, dass im Laufe des kommenden Jahres eine Verlegerbeteiligung beschlossen wird, die dann auf einem rechtlich festen Fundament steht«, sagt Michael Hechinger, Geschäftsführer des Buske Verlags in Hamburg.

Wie schnell eine gesetzgeberische Lösung gefunden werden kann, ist aber noch unklar, zumal eine nationale Lösung im Einklang mit den europäischen Vorschlägen stehen muss, wie sie EU-Kommissar Günther Oettinger unlängst bei der Vorstellung seines Urheberrecht-Reformpakets vorgelegt hat. Hoffnungen ruhen auf dem Regierungsentwurf zum Urhebervertragsrecht, der an diesem Donnerstag (1. Dezember) im Bundestag beraten wird. Er soll einen Abschnitt enthalten, in dem die Verlegerbeteiligung ausdrücklich erwähnt wird.

Weitere Beschlüsse
Die außerordentliche Mitgliederversammlung hat noch weitere Beschlüsse gefasst, die zum Teil auch das Vogel-Urteil betreffen: So wurde ein »Korrektur-Verteilungsplan« verabschiedet, der die Neuverteilung an die Urheber für den Zeitraum 2012 bis 2015 regeln soll. Dieser Plan, dessen Einzelheiten noch nicht bekannt sind, soll zu einem späteren Zeitpunkt auf der Website der VG Wort zum Download bereitgestellt werden. Klar ist bisher nur, dass die Ausschüttungen im Rahmen der Neuverteilung bis spätestens zum 31. Dezember 2017 erfolgt sein müssen.

Weitere Tagesordnungspunkte waren Änderungen in Satzung und Verteilungsplan, die die VG Wort aufgrund des neuen Gesetzes über die Verwertungsgesellschaften (VGG) umsetzen muss. Ein gesetzliches Erfordernis war unter anderem ein vorübergehender Verteilungsplan für die Zukunft. Die Abstimmung darüber brachte allerdings kein Ergebnis, da bereits zahlreiche Mitglieder den Heimweg angetreten hatten. Chris­tian Sprang weist darauf hin, dass dieser Plan ohnehin nicht ausschüttungsrelevant gewesen wäre: Über den verbindlichen Verteilungsplan für 2017 will die VG Wort auf der nächsten Mitgliederversammlung am 18. März beraten, zu der bereits eingeladen wurde. Die Ausschüttung selbst soll dann voraussichtlich im Juni oder Juli 2017 erfolgen.

Notlösung: Stundung
Mit dem jetzt beschlossenen kollektiven Verrechnungsmodell kann die Not der Verlage gelindert werden. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass einige Verlage auch durch die revidierten Rechnungen, die die VG Wort im Frühjahr verschicken wird, vor Probleme gestellt werden und nicht fristgerecht zahlen können. In diesen Fällen bietet die VG Wort den betroffenen Unternehmen eine Stundung an – allerdings nur unter strengen Voraussetzungen. Der Stundungsantrag muss von der VG Wort »sehr genau geprüft werden«, wie Geschäftsführer Rainer Just sagt. »Eine Stundung kann nur dann gewährt werden, wenn dies im Hinblick auf die Durchsetzung des Anspruchs von Vorteil ist.Es geht also darum, drohende Ausfälle – wie insbesondere bei einer Insolvenz – mit den Risiken einer Stundung abzuwägen«, so Just. Der Gedanke ist einleuchtend: Würde ein Unternehmen wegen der Rückforderung der VG Wort zahlungsunfähig und müsste Insolvenz anmelden, wäre weder der VG Wort noch dem Verlag damit gedient. Erholt sich das Unternehmen aber binnen eines Jahres, könnte die VG Wort die Forderung erneut anmelden und ihrem Treuhandvermögen zuführen.

Auch wenn die jetzt erreichte Abtretungs- und Verrechnungslösung ein Hoffnungsschimmer ist – für einen Lichtblick ist es zu früh: Davon könnte man erst wieder sprechen, wenn der Gesetzgeber eine neue, tragfähige Grundlage für eine Beteiligung der Verlage an gemeinsamen Vergütungs­ansprüchen schafft. An Bekenntnissen dazu fehlt es nicht, das politische Signal von Autoren und Verlagen ist da – nun muss der Gesetzgeber seinen Willen zur Umsetzung aktiv bekunden. Er darf das Problem nicht bis zum Ende der Legis­laturperiode im Herbst 2017 aussitzen.

Verrechnungsmodell: was jetzt zu tun ist
Die außerordentliche Mitgliederversammlung der VG Wort hat am 26. November ein kollektives Verrechnungsverfahren für die Rück­zahlungen der Verlage beschlossen. Verlage, die Autoren um die Abtretung von Vergütungsansprüchen bitten wollen, können bei der VG Wort ein entsprechendes Formular anfordern.

Entschließt sich der Autor, Ansprüche teilweise oder ganz an den Verlag abzutreten, muss er das unterschriebene Formular bis zum 28. Februar 2017 an die VG Wort schicken bzw. über ein Onlineformular melden.

Nach Verrechnung der abgetretenen Beträge mit der Rückforderungs­summe erstellt und versendet die VG Wort eine revidierte Rechnung, die innerhalb von 30 Tagen beglichen werden muss.

Der Börsenverein bereitet eine Handreichung für seine Mitglieder vor, die über die einzelnen Schritte aufklärt: www.boersenverein.de/1256970/.