Die häufigste Geste, wenn auf der Messe das Gespräch auf die Rückzahlungen an die VG Wort kommt: Schulterzucken. Es ist eine Mischung aus Resignation, sich ins Unvermeidliche zu fügen, aus Enttäuschung, dass draußen keiner die kreative Leistung der Verlage wahrnimmt, aus Vertrauensverlust, dass eine jahrzehntelange Praxis juristisch gekippt worden ist – und Angst, dass die EU-Seite immer unberechenbarer wird. "Das Ausschüttungsmodell war ja nicht nur gelebte Praxis von Verlagen und Autoren, sondern auch ein gemeinsamer Wille", erinnert Verleger Christoph Links, und A1-Verlegerin Inge Holzheimer weist darauf hin, dass "die Ereignisse zur Entsolidarisierung zwischen Autoren und Verlagen beitragen". In dieser Woche werden die Verlage von der VG Wort die auf die einzelnen Jahre aufgeschlüsselten Beträge erfahren, die sie bis 30. November zurückzahlen müssen. "Dem Schreiben liegt eine Verjährungsverzichterklärung für 2013 und 2014 bei, wenn der Verlag sich von seinen Autoren die Ansprüche abtreten lassen will", informiert Rainer Just vom VG Wort-Vorstand.
Den Weg wollen die wenigsten Verleger gehen, es kommt ihnen wie ein Hausieren für das vor, das ihnen bislang zustand. Zudem rechnen viele damit, dass die außerordentliche Mitgliederversammlung der VG Wort am 26. November sich nicht auf ein kollektives Verrechnungsverfahren einigt – und dann muss so oder so in 30 Kalendertagen gezahlt werden. Die Summen bewegen sich nach Verlagsgröße zwischen 15.000 und knapp unter einer Million Euro, je nachdem, mit wem man spricht. Zitiert werden möchte niemand, nur Verleger Christoph Links spricht in einer Podiumsrunde offen von 50.000 Euro, "die wir in vier Wochen zurückzahlen müssen und die auf keinem Konto liegen". Ein Nicken geht durch die Zuhörerreihen – vielen geht es so. Die Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften seien immer als ein willkommener finanzieller Beitrag in neue Buchprojekte reinvestiert worden, konstatiert die Sprecherin der IG unabhängige Verlage, Britta Blottner. Duncker & Humblot-Verleger Florian Simon hat "als vorausschauender Kaufmann" zwar Rückstellungen gebildet, "aber das Geld kommt von der hohen Kante. Es ist der Topf, aus dem man Investitionen nimmt, mit dem man reagieren kann." Die Vielfalt sei in Gefahr, wenn nur noch Muss-Bücher und keine Kann-Bücher mehr gemacht würden: "Das Prinzip der Mischkalkulation funktioniert so nicht mehr."
Ruf nach Zwischenfinanzierung
Dass ein innerhalb von drei Jahren erhaltener Betrag mit einer Frist von vier Wochen zu begleichen sei – "das ist für viele kleinere Verlage ein herber Schlag". Nach der Rückzahlung, "die die Liquidität stark beeinflusst, werden manche kaum noch wirtschaftlich arbeiten und existieren können", urteilt Verlegerin Britta Blottner. "Und sie müssen künftig auf Projekte verzichten." So sieht es auch Verleger Dietrich zu Klampen: "Die Entscheidung ist gefallen, wir werden zurückzahlen. Aber wir werden auch im Frühjahr ein kleineres Programm machen. Denn verlegen kommt von vorlegen." Heißt: Die Liquiditätsdecke darf nicht zu dünn werden.
Die Rückzahlung bringt nicht wenige Verlage in Bedrängnis. "Wir können uns vorstellen, in Raten zu zahlen, aber alles auf einen Schlag, das geht schlicht an der Realität vorbei", beschreibt Christoph Links treffend die Situation vieler kleinerer Verlage. "Wir brauchen ein Modell der Zwischenfinanzierung." Die VG Wort werde eine Stundung nur gewähren, "wenn der Verlag glaubhaft macht, dass er zur kurzfristigen vollständigen Rückzahlung außerstande ist oder dadurch in die Gefahr der Insolvenz gerät", machte Rainer Just deutlich (siehe unten "Zahlungsaufschub"). Konkretere Hilfe bei der Zwischenfinanzierung bietet da die Prolit-Verlagsauslieferung. Sie hat schon im Vorfeld der Messe den bei ihr ausliefernden Verlagen "Erste Hilfe" angeboten: "Prolit wird, wenn es in Zusammenhang mit den Rückzahlungsforderungen zu Liquiditätsengpässen bei den Verlagen kommt, unbürokratisch mit Vorfinanzierungsmöglichkeiten, zum Beispiel getätigter Umsätze, bereitstehen", verspricht Geschäftsführer Jochen Mende.
Forderung nach einem Verlegerrecht
Mit Blick auf die Zukunft möchten die Verleger eine tragfähige Lösung. "Die Buchbranche sollte langsam mal nach anderen Mitteln greifen, als immer nur freundlich abzuwarten und hinzunehmen", meint Britta Blottner. "Wir müssen deutlich machen, dass Verlage auch Urheber sind!" Hier ist die Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen (avj) gerade aktiv geworden: Am Messemittwochabend trafen sich mehr als 50 Verleger kurzfristig zu einer außerordentlichen Hauptversammlung, um über die Schaffung eines gesetzlich etablierten Verlegerrechts zu sprechen. Dass sich trotz unzähliger Messetermine so viele Verlage mit teils hochrangigen Juristen Zeit freigeschaufelt hatten, zeigt die Dringlichkeit des Themas. Ausgangspunkt der mehr als einstündigen Debatte war, dass der Bundesgerichtshof sowie der Europäische Gerichtshof in ihren Entscheidungen in Sachen Vogel / VG Wort "das Fehlen einer eigenen, nicht abgeleiteten Rechtsposition an den verlegten künstlerischen Werken seitens der Buchverlage nochmals nachdrücklich augenscheinlich hat werden lassen", wie der avj-Vorstand festhält.
"Andere Förderer und Verwerter von künstlerischen Werken bekommen ein Leistungsschutzrecht durch das Urheberrechtsgesetz zugesprochen, das ihrem wertschöpfenden Anteil am wirtschaftlich erfolgreichen Werk Rechnung trägt", konstatiert Magellan-Verleger Ralf Rebscher, "die Buchverleger haben es nicht." In der Tat: Film- und Musikproduzenten, Datenbankhersteller, Computerspielproduzenten, Sendeunternehmen und Presseverleger haben ein Leistungsschutzrecht. Was in der öffentlichen Debatte gerne "vergessen" werde, sei, dass Urheber und Verlage ja gemeinsam Anteil an der Entstehung und am Erfolg von Büchern hätten, äußerten die Verleger wiederholt. "Die Lektoren bringen Autoren und Illustratoren kreativ zusammen, bringen Texte und Bilder erst durch ihren Schliff zur Veröffentlichungsreife", sagt avj-Vorsitzende Renate Reichstein. Gerade im Kinder- und Jugendbuchbereich gebe es ausgesprochen viele Titel, die von Verlagen entwickelt worden seien: "Bei Erstlese- und Sachbuchreihen, Special-Interest- und Aktivitätsbüchern sind die Verlage die geistigen Urheber eines Konzepts, für das sie Autoren und Illustratoren suchen, sie beauftragen und mit ihnen am Buch arbeiten." Zudem investierten Verlage viel in die Vermittlungsleistung eines Werks: "Ohne die Arbeit der Marketing-, Presse-, Lizenz- und Vertriebskollegen wäre kein Umsatz zu generieren – kein Buch verkauft sich, nur weil es gedruckt ist", so Reichstein.
Die Jugendbuchverleger formulierten und verabschiedeten schließlich einstimmig einen offenen Brief an den Börsenvereinsvorstand: Im Namen der Verlage solle sich der Börsenverein zeitnah für die Schaffung eines Verlegerrechts einsetzen. Für dieses gesetzlich etablierte Leistungsschutzrecht für Buchverlage solle eine entsprechende Formulierung erarbeitet und das Anliegen in der Branche und in der Politik mit Nachdruck vertreten werden. Zur Frage, ob und in welcher Form ein Leistungsschutzrecht für Buchverlage sinnvoll sein kann, soll es noch in diesem Jahr "eine Strategiesitzung geben, zu der wir auch die avj einladen", reagierte Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller. Der Vorstand habe hinsichtlich einer Verlegerbeteiligung "der Durchsetzung einer Klarstellungsregelung Priorität eingeräumt, da diese gerade auf europäischer Ebene realistischer durchzusetzen ist", so Riethmüller. "Die EU-Kommission hat in ihrem Reformentwurf nun eine entsprechende Regelung vorgesehen, die nationale Regelungen für eine Verlegerbeteiligung möglich macht." Aus Verlegersicht ein Silberstreif am Horizont.
Zahlungsaufschub
Der Verwaltungsrat der VG Wort hat am 10. Oktober entschieden, eine Stundung oder Ratenzahlung zu gewähren, wenn der Verlag zur kurzfristigen vollständigen Rückzahlung außerstande ist oder dadurch in die Gefahr der Insolvenz gerät. Dazu muss er eine Verjährungsverzichterklärung für die Rückzahlungsansprüche der VG Wort für 2013 und 2014 abgeben.
- Bei einem Rückforderungsbetrag bis 50.000 Euro (netto) wird auf der Grundlage des schriftlichen Vortrags des Verlags entschieden, der hinreichend glaubhaft gemacht werden muss.
- Bei einem Rückforderungsbetrag über 50.000 Euro (netto) wird auf der Grundlage der Empfehlung eines von der VG Wort beauftragten Wirtschaftsprüfers entschieden, der den Vortrag des Schuldners überprüft.
WIE oft wurde gesagt und in jedem Brief geschrieben, dass die Auszahlung nur vorläufig sei und dass man mit Rückzahlungen rechnen solle? Wer das einfach jahrelang ignoriert, soll jetzt bitte nicht jammern.
schon okay, wenn Sie etwas nicht mehr hören wollen; dann können Sie weghören und/oder darüber hinweglesen. Sie sollten aber den Verlegern - insbesondere den Winzlingen unter denen - das Recht einräumen, über ihre wirtschaftlichen Sorgen untereinander zu sprechen.
Ihrem Einwand, es würden 'entscheidende Tatsachen verschwiegen', kann ich nun mal ganz und gar nicht folgen. Jeder unter uns ist über die Hintergründe der Rückzahlungsforderungen informiert. Da muss man nicht in jedem Beitrag wieder bei Adam und Eva anfangen.
Für mich und die Kolleg(inn)en unseres Autoren-Kollektivs gilt jedenfalls als sehr sicher, dass wir uns alsbald mit dem 'Heulen und Zähneklappern' innerhalb unserer eigenen Zunft werden auseinandersetzen müssen. Denn das Urteil gegen die VG WORT wird uns noch auf die Füße fallen. Auch jenen, die sich heute als Hüter und Rächer der geknechteten Autorenschaft verstanden wissen wollen.
Sie glauben doch nicht ernstlich, dass die zahlungspflichtigen Verwerter aus der Industrie nicht die Chance nutzen, einer um die Verleger gekürzten Autoren-VG wenigstens exakt den Betrag abknöpfen werden, die bislang an die Verleger ausgeschüttet wurden. Gerade die VG WORT hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten durch die Schlagkraft ausgezeichnet, die allein aus der gemeinsamen Rechteverwertung von Verlagen und Autoren rührte. Dann stehen die verzettelten Autoren einer Multi-Milliarden-Industrie gegenüber. Sie dürfen raten, wer dabei den Kürzeren zieht.
Die Annahme ist nicht verwegen, dass bei dieser Konstellation eher die Rechte von Autoren unter die Räder kommen.
Ich bin einer dieser ganz kleinen Verlage mit 9 Redakteuren im IT-Bereich und ja, ich bin extrem enttäuscht vom Ausgang des Urteils. Denn was immer vergessen wird ist, dass auch die Verlage jede Menge Arbeit und Geld in die technische Umsetzung investiert haben, damit vg-wort überhaupt an die Autoren ausschütten. Ich empfinde es daher immer auch als persönliche Beleidigung von ahnungslosen Leuten wie dem Arabrab, da sie offensichtlich denken alle Verlage machen Umsätze in Millionenhöhe. Dass man aber schon allein als Verlag gilt, wenn man die Zählmarkenverwaltung und Implementierung samt späterer Meldung für die Autoren übernimmt, will keiner begreifen. Für mich bedeutet dieses Urteil, dass meine Redakteure dieses System bei mir nicht mehr nutzen können und selbst "zusehen" müssen wie sie ihre Tantjemen bei der vg-wort geltend machen. Warum soll ich Geld und Arbeit aufbringen, wenn ich an dem Werk und allem drumherum nichts mehr verdiene. Mir tut das für meine Redakteure leid, aber niemand arbeitet umsonst. Letztendlich wird dies genau den Autoren auf die Füße fallen, denen es eigentlich damit ja "besser" gehen soll. Nur weil sich ein dämlicher Herr anscheinend mit seinem Verlag nicht verstanden hat. Unglaublich, einfach nur unglaublich.