Kommentar von Dieter Wallenfels zur EuGH-Entscheidung zur Arzneimittelpreisbindung:
Der europäische Gerichtshof hat sich schon zweimal mit der Frage beschäftigt, ob nationale gesetzliche Regelungen zur Buchpreisbindung geeignet sind, Gemeinschaftsregelungen über den Wettbewerb im EU-Gebiet zu beeinträchtigen und ist jedesmal zum Ergebnis gekommen, dass europäisches Recht solchen Rechtsvorschriften nicht entgegen steht. In der Leclerc-Entscheidung von 1985 C-229/83 ging es um die französiche Preisbindung, im Jahr 2009 (Libro C-531/07) um das österreichische Preisbindungsgesetz, das damals eine Regelung enthielt, der zufolge zwar österreichische Verlage und Verlage mit Sitz außerhalb eines Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum EWR Letztverkaufspreise auf dem österreichischen Markt festsetzen durften, nicht jedoch andere Verlage, auch nicht die deutschen.
Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Buchmarkts
Der EuGH beanstandete, dass diese Gesetzesregelung ausländische Verlage daran hindere, Ladenpreise entsprechend der besonderen Bedingungen des österreichischen Importmarktes festzusetzen. Es müsse also dem ausländischen Verleger erlaubt sein, Ladenpreise für den österreichischen Markt, also grenzüberschreitend festzusetzen, die die Besonderheiten dieses Marktes berücksichtigen.
In diesem Verfahren vertraten sowohl die EU-Kommission als auch der EuGH die Auffasssung, dass der Schutz des Buches als Kulturgut Beschränkungen des freien Warenverkehrs rechtfertigen könne, sofern mit ihnen das Gesetzesziel erreicht werden kann und sie verhältnismäßig sind. Diese Voraussetzungen sah das Gericht gegeben und ausdrücklich auch für Regelungen, die grenzüberschreitende Wirkung entfalten.
Entscheidung ist nicht auf den Buchmarkt übertragbar
Die jetzt für den Markt der Arzneimittel getroffene Entscheidung ist also nicht auf den Buchmarkt übertragbar, insbesondere nicht das Argument des Gerichts, ausländische Versandhändler von Arzneimitteln hätten keine Chance auf dem deutschen Markt, wenn sie nicht Standortvorteile örtlicher Apotheken durch Preisvorteile wettmachen könnten. Buchhändler sind jedoch nicht mit Apotheken vergleichbar.
Die Beratungssituation bei Apotheken ist eine andere, intensivere, vor allem in akuten Krankheits- und Notfällen, als bei Buchhändlern, der Standortvorteil also größer. Online-Buchhändler haben offensichtlich keine Probleme, zu Lasten des stationären Sortiments Marktzuwächse zu erzielen, obwohl sie keine Preisvorteile gewähren dürfen.
Das Argument, die Standortvorteile von Offline-Händlern müssten durch die Möglichkeit der Gewährung von Preisvergünstigungen im Online-Handel ausgeglichen werden können, hatte schon vor der Verabschiedung des französischen Gesetzes zur grenzüberschreitenden Buchpreisbindung im Jahre 2011 eine Rolle gespielt. Entsprechende Einwände der EU-Kommission hat die französische Regierung mit dem Hinweis darauf widerlegen können, dass ja ganz offensichtlich z.B. Amazon trotz Preisbindung keine Probleme gehabt habe, erhebliche Anteile am Buchmarkt insgesamt zu erobern und sowohl in Frankreich als auch in Deutschland Marktführer beim Online-Verkauf zu werden. Im Gegenteil habe sogar die digitale Dominanz von Amazon auf dem französischen Markt den Zugang regionaler Buchhandlungen zu diesem Markt erheblich erschwert.
Somit kann jedenfalls für den Buchmarkt keine Rede davon sein, dass die auch für ausländische Anbieter geltende Verpflichtung des deutschen Preisbindungsrechts, die gebundenen Preise einzuhalten, den Marktzugang ausländischer Händler erschweren könnte. Die Festlegung von Preisen wirkt sich, wie die Marktrealität zeigt, auf Händler anderer Mitgliedsstaaten nicht anders aus als auf deutsche Buchhändler. Der Preiswettbewerb ist also für ausländische Versandhändler keineswegs ein wichtigeres, wenn nicht sogar das einzige Mittel, um einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Markt zu erhalten, wie dies nach Meinung des EuGH bei Apotheken der Fall ist. Im Gegenteil würde der Preiswettbewerb im Buchhandel die Martkmacht großer multinationaler Unternehmen mit Monopolbestrebungen zu Lasten des stationären Sortiments verstärken.
Da auch im übrigen für ausländische Händler ebenso wie für deutsche die gleichen Regeln gelten, ist die deutsche Bundesregierung zu Recht davon ausgegangen, dass die zum 01. September 2016 in Kraft getretene Änderung des Buchpreisbindungsgesetzes, die die Einhaltung der Preisbindung für alle Verkäufe in Deutschland, auch solche ausländischer Händler, vorschreibt, mit EU-Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.