Zerschlagen ist die VG Wort nicht nach dem dramatischen Ausgang der außerordentlichen Mitgliederversammlung am vergangenen Samstag – aber unter erheblichen Zeitdruck geraten. Die Beschlussvorlage des Vorstands, die die Rückforderungen gegenüber den Verlagen und eine Neuverteilung der Tantiemen für die Jahre 2012 bis 2015 regeln sollte, fiel einer lautstarken Minderheit zum Opfer, die die erforderliche Mehrheit in der Berufsgruppe der Journalisten verhinderte. 70 Stimmen hätten zusammenkommen müssen, am Ende fehlten drei.
Da die Satzung der VG Wort verlangt, dass bei Abstimmungen über Verteilungspläne und Satzungsänderungen in allen Berufsgruppen eine Zweidrittelmehrheit zustande kommen muss, konnte das Papier die Hürde nicht nehmen. Hätte sich der Kläger gegen die VG Wort, der Jurist und Autor Martin Vogel, mit seinem Antrag durchgesetzt, wäre aus Sicht einiger Urheber die Revolution perfekt gelaufen. Denn Vogel, der sich durch das Urteil des Bundesgerichtshofs über den Verteilungsplan der VG Wort bestätigt sieht, wollte den Verlagen eine Rückzahlungsfrist von lediglich zwei Wochen einräumen – eine Frist, die viele, vor allem kleinere Verlage in unmittelbare Existenznot getrieben hätte. Dieser Maximalforderung erteilte die Mitgliederversammlung allerdings gleich zu Beginn mit überwältigender Mehrheit eine Abfuhr.
Jetzt ist der Ausgang offen, und der Vorstand der VG Wort wird intern über das weitere Vorgehen beraten. Zu erwarten ist, dass am 26. November auf einer weiteren außerordentlichen Mitgliederversammlung die Beschlussvorlage zu einem korrigierten Verteilungsplan für die Vergangenheit (2012 bis 2015) zur Abstimmung gestellt wird. Schon jetzt müssen sich aber Vorstand und Verwaltungsrat unter Aufsicht des Deutschen Marken- und Patentamts Gedanken darüber machen, wie die an die Verlage gezahlten Beträge zurückgefordert werden können. Dies muss bald geschehen, weil am 31. Dezember die Verjährung für einen Teil der Ausschüttungen eintreten würde, die dann nicht mehr zurückgefordert werden könnten. Die in München gescheiterte Beschlussvorlage zu den geplanten Rückforderungen sah unter anderem vor, dass Verlagen für die Rückzahlung eine Frist bis zum 30. November 2016 eingeräumt wird und auch, dass Autoren ihnen zustehende Vergütungen für den Zeitraum 2012 bis 2015 an die Verlage abtreten können.
In den Wochen vor der Mitgliederversammlung hatten der Kläger gegen die VG Wort, Martin Vogel, und mehrere Autorengruppen, die Gegner einer Verlegerbeteiligung mobilisiert. Besonders tat sich eine Gruppe hervor, die die Interessen freier Journalisten vertritt: die Freischreiber. Aus ihrem Umfeld waren zahlreiche neue Mitgliedsanträge gestellt worden – mit dem Ziel, die Mehrheitsverhältnisse in der Mitgliederversammlung zu ändern. Was insofern gelang, als in der Berufsgruppe 2 (Journalisten und Autoren und Übersetzer von Sachliteratur) die notwendige Mehrheit verfehlt wurde, weil 37 Gegenstimmen dies verhinderten. Dass ausgerechnet die Gruppe der Journalisten die jetzige Blockade der VG Wort verursacht hat, entbehrt nicht der Ironie: Denn Journalisten unterliegen nicht dem gleichen Verteilungsschlüssel wie Buchautoren von Publikums- oder Wissenschaftsverlagen. Sie erhalten Tantiemen aus dem sogenannten Pressespiegel in Höhe von 100 Prozent. Bei Buchautoren hingegen wird satzungsgemäß ein Anteil von 30 Prozent (bei Belletristik) oder von 50 Prozent (bei Wissenschaft) an den Verlag ausgeschüttet.
Woher kommt also der Furor, mit dem einige Autorengruppen, angeführt von Martin Vogel, eine Lösung torpedieren wollen, die Verlagen eine vertretbare Rückabwicklung der Ausschüttungen ermöglicht und ihnen bei der Verteilung von Nutzungsvergütungen einen angemessenen Platz zuweist? Es ist die feste Überzeugung, dass nur Urhebern Nutzungsvergütungen zustehen, schon aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit. Die Leistung von Verlagen, die vielfach Buchprojekte ermöglichen und so Autoren Verdienstmöglichkeiten schaffen, wird hingegen bewusst übersehen. Stattdessen wird das Ressentiment bedient, dass Verlage einen Mehrwert kassieren, der ihnen nicht zusteht. Das zeigt schon die Historie des Urheberrechtsparagrafen 63a, der die Rechteausübung durch Verwertungsgesellschaften legitimieren sollte, auf den sich auch die VG Wort immer wieder bezogen hat und auf dessen Klarstellung im Jahre 2008 sie gedrängt hatte: Seine ursprüngliche Formulierung geht auf den sogenannten Professorenentwurf zum Urhebervertragsrecht zurück, dessen Mitverfasser Martin Vogel heißt. Und der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom April den Verteilungsplan der VG Wort verworfen, weil er ihn nicht durch den Paragrafen 63a gedeckt sah.
Wie sich in den kommenden Wochen zeigen wird, könnten Vogel und seine diversen Mitstreiter gerade Buchautoren und Buchverlagen einen Bärendienst erweisen: Wenn es nämlich so kommen sollte, dass die VG Wort an Verlage keine Tantiemen mehr ausschüttet, hätte deren Verbleib in der VG Wort keinen Sinn mehr und wäre zudem juristisch zweifelhaft. Der jahrzehntelangen Zusammenarbeit zwischen Verlagen und Autoren wäre der Boden entzogen. Autoren und Verlage würden nicht mehr an einem Strang ziehen, und Verlage könnten von der Politik ein eigenes Leistungsschutzrecht einfordern, das über eine eigene Verwertungsgesellschaft ausgeübt wird. Wer sich über eine solche Entwicklung die Hände reiben dürfte, ist nicht schwer zu erraten: Es sind Internetkonzerne wie Google, die sich gegen jede Form des Leistungsschutzrechts stemmen, und es sind die Gerätehersteller, die mit Verweis auf die neu eingetretene Lage ihre Abgaben herunterkorrigieren würden.
Es wird jetzt also vor allem darauf ankommen, dass der Gesetzgeber so schnell wie möglich eine Übergangslösung schafft, die das Vorgehen der VG Wort legitimiert und sie von den Risiken, die mit weiteren Abstimmungsniederlagen verbunden wären, entlastet. Ob dies, wie von Bundesjustizminister Heiko Maas angekündigt, mit der notwendigen Geschwindigkeit vorangetrieben wird, gilt nicht als ausgemacht. Denn, so ist aus Berlin zu hören, Maas will die Frage der Verlegerbeteiligung im Rahmen der Reform des Urhebervertragsrechts regeln. Und ob bis zur nächsten außerordentlichen Mitgliederversammlung der VG Wort am 26. November eine gesetzliche Lösung gefunden sein wird, ist offen. Sollte der gesetzliche Schwebezustand anhalten, könnten ihn die Gegner einer Verlegerbeteiligung nutzen, um auf dem Klageweg Rückzahlungen der Verlage zu erzwingen. Für die VG Wort und die Verlage hat am Samstagnachmittag im Münchner Hofbräukeller ein Rennen gegen die Zeit begonnen.
Ihre Parteilichkeit im Bericht sei Ihnen zugestanden, aber es sind eben genau solche verbrämten Formulierungen wie »Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom April den Verteilungsplan der VG Wort verworfen, weil er ihn nicht durch den Paragrafen 63a gedeckt sah.«, die keineswegs zur Entspannung der Lage beitragen. Und es gibt keinen »gesetzlichen Schwebezustand«, die von Ihnen euphemistisch »jahrzehntelange Zusammenarbeit zwischen Verlagen und Autoren« genannte Praxis war einfach mal rechtswidrig.
Wie wäre es denn mit einem offenen Verfahren gewesen (wir hatten alle miteinander Jahre lang Zeit, uns auf den Fall vorzubereiten, dass Herr Vogel bis zum Ende Recht behält), anstatt jetzt hektisch zu versuchen, die irreguläre Praxis im Nachgang vom Gesetzgeber legitimieren zu lassen? Wurde das offene Gespräch mit den Autor_innen gesucht, die immerhin um ihre (nach geltender Rechtslage) ihnen zustehenden gelder betrogen wurden? Hat man überhaupt einmal wenigstens diesen Fakt offen eingestanden?
Einer Katastrophe jahrelang sehenden Auges entgegenblicken und jetzt mit dem Menetekel der bösen Internetkonzerne und Gerätehersteller zu drohen, wenn nicht gemacht wird, was der Vorstand will - das steht der Branche sehr schlecht zu Gesicht.
Wir hätten sofort eine Verfassungsklage dagegen machen müssen. Aber die Interpretation des 63a war damals so, dass er der Beteiligung nicht entgegen steht. Das hat sich nun als Fehleinschätzung herausgestellt. Für eine Klage ist es zu spät, die den Verlagen zustehende Entschädigung darf nicht ausbezahlt werden. Damit fällt sie den Autoren zu, die sich freuen dürfen. Die Politik will den Fehler korrigieren, es bleibt ja auch nichts anderes übrig, will man nicht riskieren, dass die Urheberrechtsschranken wegen entschädigungsloser Enteignung als verfassungswidrig irgendwann kassiert werden müssen. Denn das steht an, sobald die erste, und das wird 52a und 52b mit der Wissenschaftsschranke sein, neu formuliert werden.
Die Verlage müssen sich demnach keinesfalls vorwerfen lassen, die Autoren betrogen zu haben. Die Verlage wurden betrogen, durch einen Paragraphen, der von Herrn Vogel mitkonzipiert wurde, wie ein Trojaner in einer Software.
Sollte meine Einschätzung juristisch falsch sein, dann bitte ich um Korrektur. Ansonsten stünde uns allen an, diesen Fehler in der Gesetzgebung abzuhaken, das Gesetz zu korrigieren, den Autoren ihren unverhofften Geldsegen zu gönnen und die Sache so abzuwickeln, dass weder die VG Wort noch das Verhältnis von Verlagen zu ihren Autoren Schaden nimmt, noch Verlage dadurch in Not geraten.
Dass Autoren nicht immer ein angemessenes Honorar erzielen ist ein Problem, das gemeinsam gelöst werden muss, aber nicht über die Schrankenvergütung.