Interview mit Alexander Skipis

"Das geht zulasten der kulturellen Vielfalt in der Buchbranche"

26. April 2016
Redaktion Börsenblatt
Der Bundesgerichtshof hat die Praxis der VG Wort, Verleger an Ausschüttungen zu beteiligen, für rechtswidrig erklärt. Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, über die Folgen des Urteils für die Verlagskultur und Möglichkeiten der Abhilfe.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs hat für eine große Zahl von Verlagen zum Teil katastrophale wirtschaftliche Folgen. Von welcher Größenordnung ist zu sprechen?
Das können wir erst dann seriös sagen, wenn uns die Urteilsbegründung vorliegt. Dies wird voraussichtlich in ein bis zwei Wochen der Fall sein. Für eine Schadensprognose hängt viel davon ab, in welchen Fällen Rückforderungsansprüche begründet und wie diese konkret ausgestaltet sein können. Die bisher in der Presseerklärung des Bundesgerichtshofs getroffenen Aussagen scheinen eine differenzierte Betrachtung nahezulegen. Im besten Fall könnte das positiv für die Verlage sein. Würden sich diese Hoffnungen nach Lektüre des Urteils nicht erhärten, werden nach unseren Einschätzungen mehrere Hundert Verlage in ernsthafte Schwierigkeiten kommen. Es geht insgesamt um einen Betrag in dreistelliger Millionenhöhe, der für die Jahre 2012 bis 2015 von VG Wort, GEMA, VG Bild-Kunst und VG Musikedition zurückgefordert werden muss. Die Rückforderungen umfassen – je nach Verlag – zwischen 20 und 200 Prozent des durchschnittlichen Jahresgewinns.

Befürchten Sie eine strukturelle Schwächung des gesamten Verlagssektors – und mittelfristig einen Verlust an Vielfalt in der Branche?
Ganz klar: ja. Eine große Zahl von Verlagen wird zumindest mittelfristig wegen möglicher Rückforderungen und vorläufig ausbleibender Einnahmen aus der VG Wort wirtschaftlich nicht überlebensfähig sein. Der Rest wird gezwungen sein, die Rückzahlungen zu kompensieren, beispielsweise durch das Zusammenstreichen des Programms, den Verzicht auf verlegerische Experimente oder Einsparungen beim Personal. Das geht dann auf jeden Fall zulasten der kulturellen Vielfalt in der Buchbranche.

Wie kann der Börsenverein Erste Hilfe leisten?
Wir arbeiten nach wie vor mit Hochdruck daran, Bundesregierung, Parlament und EU-Kommission von der Notwendigkeit gesetzlicher Klarstellungen zu überzeugen. Dabei sind sich alle politischen Ebenen einig, dass Verlage weiterhin an den Ausschüttungen beteiligt werden sollen und die sich abzeichnenden Folgen des Urteils nicht erwünscht sind. Diese Klarstellungen sind die Grundlage für die Zukunft und die Pflöcke dafür müssen so schnell wie möglich eingeschlagen werden. Sollte der an dem Verfahren beteiligte C. H. Beck Verlag Verfassungsbeschwerde einlegen wollen, werden wir ihn dabei zudem – wie schon beim Verfahren vor dem BGH – unterstützen. Darüber hinaus prüfen wir Möglichkeiten, einen Darlehensfonds einzurichten, der von der Insolvenz bedrohten Verlagen Überbrückungshilfe leisten könnte. Doch dazu kann man zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts Genaueres sagen.

Gibt es ein mit der VG Wort abgestimmtes Notprogramm, das Insolvenzen abwenden oder deren Folgen lindern kann?
Gern würde ich hierzu etwas sagen, doch wir kennen die Urteilsbegründung im Wortlaut noch nicht. Und erst dann kann ich seriöse Aussagen dazu machen. Es ist aktuell unklar, welche Spielräume seitens der VG Wort für ein wie auch immer gestaltetes Notprogramm bestehen.

Es gibt klare Bekenntnisse der Bundesregierung zur gemeinsamen Rechtewahrnehmung von Autoren und Verlagen. Gleichwohl ist eine gesetzliche Lösung nur im europäischen Rahmen möglich. Glauben Sie, dass Günther Oettinger etwas bewegen kann?
Günther Oettinger ist in den Gesprächen, die wir bislang dazu geführt haben, in dieser Frage sehr problembewusst gewesen und hat deutliche Handlungsbereitschaft gezeigt. Deshalb gehe ich davon aus, dass er etwas bewegen wird. Allerdings hat er auch darauf hingewiesen, dass eine europäische Lösung nicht in den nächsten Monaten, also kurz­fristig, zu realisieren ist. Sein Haus verweist deshalb auf den nationalen Gesetzgeber, der im Rahmen einer zunächst nationalen Klarstellung Rechtssicherheit schaffen könnte, quasi als eine Art Übergangslösung.

In einer ersten Reaktion sprachen Sie davon, dass der jetzt durch das Urteil herbeigeführte Zustand »nie der wahre Wille des Gesetzgebers« war. Wie konnte es dazu kommen, dass der Gesetzgeber auf deutscher wie europäischer Ebene die Leistungen der Verlage übergehen konnte – vor allem in der europäischen Urheberrechtsrichtlinie (InfoSoc) von 2001?
So kann man das nicht sagen. Ganz sicher haben weder die EU-Kommission noch der Bundesgesetzgeber die Leistungen der Verlage übergehen ­wollen. Auf nationaler Ebene hat der Gesetzgeber seinen Willen, die Verlage auch künftig an den Ausschüttungen zu beteiligen, auch ausdrücklich in die Begründung zu Paragraf 63a Satz 2 Urheberrechtsgesetz geschrieben. Die Norm ist leider nicht so eindeutig formuliert wie ihre Begründung und ließ ganz offensichtlich Spielraum für die jetzige Auslegung der Gerichte. Letztlich weiß der Gesetzgeber nicht, wie die Rechtsprechung ein Gesetz auslegt und manchmal ist dann eben auch eine Korrektur nötig. Mit so einem Fall haben wir es hier zu tun.


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