Bundesgerichtshof vertagt Entscheidung über Verlegerbeteiligung an VG Wort-Ausschüttungen

Ausgang offen

9. März 2016
Redaktion Börsenblatt
Nach fast zweistündiger Verhandlung hat sich der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zunächst zur Beratung zurückgezogen: Ein Urteil im Rechtsstreit zwischen Martin Vogel und der VG Wort ist heute noch nicht ergangen, ein Verkündungstermin wurde für den 21. April anberaumt. Prozessbeobachter schließen nicht aus, dass das Gericht das Verfahren wegen ungeklärter Fragen noch einmal dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vorlegt.     

Der Vorsitzende Richter Professor Büscher ließ in seinem Einführungsvortrag zur heutigen Verhandlung nicht durchblicken, zu welcher Entscheidung das Gericht tendiert. Man wird also erst am 21. April wissen, ob der Eindruck der Prozessbeobachter, das Verfahren könnte dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt werden, richtig war.

Was man dann in den mündlichen Vorträgen im Gerichtssaal zu hören bekam, war die hohe Kunst der juristischen Auslegung. In seinem mündlichen Vortrag unterstrich Rechtsanwalt Winter, Vertreter der VG Wort, dass schon eine genaue Lektüre der europäischen Urheberrechts-Richtlinie (der sogenannten InfoSoc-Richtlinie) beweise, dass nicht nur der Urheber, sondern auch der Verleger als (abgeleiteter) Rechteinhaber gemeint ist. Es gebe zudem weitere europäische Rechtsnormen und Entscheidungen, die dies bestätigten, unter anderem die Richtlinie über Verwertungsgesellschaften aus dem Jahr 2014 und das Urteil zu elektronischen Leseplätzen (Paragraf 52 b Urheberrechtsgesetz). Das Reprobel-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) reiche nicht aus, um die Frage der Verlegerbeteiligung an den Ausschüttungen der VG Wort zu klären. Rechtsanwalt Rädler, Vertreter des Beck Verlags, schloss sich dieser Einschätzung an und meinte, das Verfahren sei „noch nicht für die Endentscheidung reif“.

Der Vertreter des Klägers Martin Vogel, Rechtsanwalt von Plehwe, trug das auch früher schon vertretene Argument vor, Verlegern stünde deshalb keine Beteiligung an den Kopiervergütungen zu, weil sie im Sinne des Urheberrechtsgesetzes keine „Berechtigten“ seien. Verlegte Werke und damit verbundene Rechte würden zwar nicht angemeldet, aber eine pauschale Vergütung durch die VG Wort ausgeschüttet. Dies stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung und benachteilige die Urheber.

Gegen Ende der Verhandlung hatte Hans Dieter Beck, Verleger des Streithelfers C. H. Beck, Gelegenheit, vor den Folgen eines Urteils zuungunsten der Verlegerbeteiligung zu warnen. Es träte ein doppelter Schaden ein: zunächst ein wirtschaftlicher, der gerade kleinere Verlage in ihrer Existenz gefährde, und zweitens ein Schaden, der die VG Wort träfe und diese künftig daran hindern würde, ihre ursprünglichen Aufgaben zu erfüllen. Nach der Reprobel-Entscheidung des EuGH hätten Gerätehersteller angekündigt, ihre Geräteabgaben zu halbieren. Auch die Folgen für die Kulturwirtschaft seien negativ, befürchtet Beck. In der Politik trete niemand für eine Schwächung der Verlegerposition ein – wie zuletzt das Schreiben von Bundesjustizminister Heiko Maas und Kulturstaatsministerin Monika Grütters an EU-Kommissar Günther Oettinger gezeigt habe.

Robert Staats, Geschäftsführer der beklagten VG Wort, wies abschließend auf die Bedeutung des Verfahrens hin: „Es geht um ein jahrzehntelang funktionierendes System einer Solidargemeinschaft.“ Es sei daher wichtig, das Verfahren noch einmal dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen, um zu verhindern, dass dieses intakte System zerstört wird.

Der Vorsitzende Richter Professor Büscher bekräftigte in seinem Schlusswort, man werde „keine wirtschafts- und rechtspolitische Entscheidung treffen“. Am 21. April, wenn die Entscheidung verkündet wird, wird man mehr wissen.

Chronik der Ereignisse

Februar 1958
Die VG Wort wird als gemeinsame Verwertungsgesellschaft von Autoren und Verlagen gegründet. Ihre Satzung sieht vor, dass die ihr übertragenen Rechte gemeinsam ausgeübt werden. Ihre Auftrag­geber sind etwa 400.000 Autoren und rund 11.000 Verlage.

Dezember 2011
Martin Vogel klagt gegen die VG Wort. Der Jurist und Wissenschaftsautor hält die Verteilungspraxis aus gesetzlichen Vergütungsansprüchen zwischen Urhebern und Verlagen für unrechtmäßig.

Mai 2012
Das Landgericht München folgt dem Kläger Martin Vogel und erklärt die Verteilungspraxis der
VG Wort für unvereinbar mit dem Leistungsprinzip.

Oktober 2013
Das Oberlandesgericht München folgt der Argumention in der Berufungsinstanz.

Oktober 2013
Die VG Wort legt gegen diese Entscheidung Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) ein.

Dezember 2014
Mündliche Verhandlung des Vogel-Falls vor dem Bundesgerichtshof. Das Verfahren wird ausgesetzt bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache Hewlett Packard / Reprobel.

März 2015
Die VG Wort entscheidet, die Ausschüttungen an Verlage wegen der beim BGH und beim EuGH anhängigen Verfahren auszusetzen. Bereits die Zahlungen von 2012 und 2013 stellte die VG Wort wegen des schwebenden Verfahrens nur noch unter Vorbehalt.

12. November 2015
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sein Urteil verkündet – und Verlage darin nicht als Rechteinhaber im Sinne der wichtigsten europäischen Urheberrechtlinie (InfoSoc-Richtlinie 2001/29/EG) eingestuft. 

10. März 2016
Der BGH verhandelt die Klage von Martin Vogel; der I. Zivilsenat kündigt die Verkündung einer Entscheidung für den 21. April 2016 an.