Im Dezember steigt der Arbeitsdruck für viele noch einmal deutlich an, es kommen noch mehr E-Mails als sonst, vieles muss vor Weihnachten erledigt, Geschenke müssen gekauft und gebastelt werden, die Kinder wollen Plätzchen backen und ein Adventskranz wäre auch schön. Wer dabei im Kopf nerviges Dauergeläut hört statt wenigstens ab und zu auch schöne Klänge, sollte die Reißleine ziehen und Silvester vorverlegen. Es ist höchste Zeit für gute Vorsätze – oder besser, so sagt es Lothar Seiwert: "Zeit zu leben" – damit man sich gut fühlt und dann auch die Arbeit leicht(er) von der Hand geht (Gabal, 168 S., 19,90 Euro).
Der "Simplify your Life"-Autor plädiert für ein Leben in Balance und für das, was wirklich wichtig ist; abseits von Alltagsdruck und Stress, von Lärm und To-do-Listen, die nie kürzer werden, so viel man auch erledigt. Neu ist das nicht, von Achtsamkeit und Life-Work-Balance ist schon lange die Rede, und das aus gutem Grund. Arbeits- und Alltagsdruck steigen nach wie vor, es muss immer mehr bearbeitet, erledigt, bedacht werden und immer mehr Menschen werden krank davon. Seiwert hat schon oft darüber geschrieben. Das Gute ist, dass er genau weiß, wovon er spricht, das Themenfeld übersichtlich und lebensnah aufbereitet und gute Fragen stellt.
"Stress und Unzufriedenheit kommen immer dann auf, wenn Ihre Aktivitäten und Ziele mit Ihren Wertvorstellungen nicht länger übereinstimmen", weiß Seiwert. Und er fragt: "Wie würden Sie Ihre Zeit verbringen, wenn Sie heute erführen, dass Sie nur noch sechs Monate zu leben haben?" Die Antwort wird vermutlich das nennen, was wichtig ist, aber zu kurz kommt, weil Alltagskram sich immer vordrängelt. Dennoch nagt es an uns, auch Träume wollen Raum haben, ob uns das gefällt oder nicht.
Darum geht es dem Autor: sich zu vergewissern, was einem alles im Kopf herumgeht und man auch hören kann, wenn man mal still wird, ebenso, ob die Arbeit noch dem entspricht, was man sich von ihr erhofft hat, oder ob sie zur leeren Routine geworden ist, ob man sich Zeit nehmen kann für einen Spaziergang und den Kindern wirklich zuhört, wenn sie von der Schule erzählen. Leben erschöpft sich, wenn die Arbeit übermächtig wird. Wir brauchen auch Zeit für Beziehungen, für Sinnfragen und für den Körper, der bewegt und gepflegt werden will.
Für manchen klingt das nach Wolkenkuckucksheim, erst recht im Dezember. Es bleibt keine Zeit zum Joggen, für Freunde oder den Partner, weil es nun mal jede Menge Sachzwänge und Zeitdruck gibt. Deshalb bleibt es auch beim alten Paradox – gerade wenn man keine Zeit hat, sollte man sie sich nehmen, spätestens unbedingt im Januar: um darüber nachzudenken, ob das alles so sein muss, ob es nicht doch Zeitdiebe gibt, oder was man tun sollte, wenn der (Arbeits-)Tag sich anders entwickelt, als man ihn geplant hat. Natürlich: Das Leben ist kein Wunschkonzert. Aber es gibt mehr Spielraum als man glaubt, wenn man im Alltagsgetümmel untergeht – und diese Freiheit sollte man leben.
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