Positionsbestimmung

Quo vadis, Buchhandel?

23. September 2015
Redaktion Börsenblatt
Der Buchhandel befindet sich in einer grundsätzlichen Krise, schleicht aber gern um diesen Befund herum. Die Folge: Keiner will sich die Probleme wirklich eingestehen, meint Jochen Jung.

Könnte es sein, dass sich der Buchhandel ganz neu ­positionieren müsste? Nein, jetzt nicht im Sinne von besserer Ausbildung der Lehrlinge oder seinem Verhältnis zu den Möglichkeiten des Internets und auch nicht im Hinblick auf die Beziehung zu den Verlagen und Großhändlern. Ich meine jetzt seine Position im gesamtgesellschaftlichen Organogramm. Anders gesagt: Geht es uns mehr um das Buch oder mehr um den Handel?

Gehört doch zusammen, höre ich schon den Zwischenruf. Gewiss, derzeit ja, aber es ist doch keine Frage, dass sich der Buchhandel in einer grundsätzlichen Krise befindet, so gern wir uns auch um diesen Befund herumschleichen. So inspirierend in Wort und Tat der Optimismus unseres Vorstehers auch ist: Der Buchhandel will sich seine Probleme nicht wirklich eingestehen und tröstet sich mit geradezu rührendem Aktionismus: Man erweitert das Sortiment bis zum Baby­puder, würde am liebsten die Buchhandelslehre mit einer Ausbildung zum Koch und Sommelier ergänzen und erfindet wie neu die Illustration als Lockvogel des Textes. All das hilft wie der Eisbeutel dem Ebolakranken, nämlich auf die Dauer gar nicht.

Es ist nicht wegzureden, dass die Menschen ihr Einkaufsverhalten ändern. Noch haben wir das Glück, dass sich Amazon in seinem Verhalten gegenüber dem Finanzamt, den Mitarbeitern und unbotmäßigen Verlagen in einer Art aufführt, die es uns erlaubt, voller Verachtung mit dem Finger auf sie zu zeigen. Was aber, wenn die oder ein neuer sogenannter Marktteilnehmer sich anständig verhalten? Dann bleibt zum Beschimpfen nur noch der Kunde selbst.

Vielleicht sollten wir für eine reale Vorstellung von unserer Zukunft eher an das Buch als an den Handel denken? Mag sein, dass Letzterer eher da gewesen ist als die Kultur, die Zahl älter ist als der Buchstabe, aber würdig sind sie beide und notwendig für unser Zusammenleben auch. Seit unsere Gesellschaft akzeptiert (oder zumindest: hingenommen) hat, dass sie kapitalistisch organisiert ist, hat sie auch verstanden, dass die Kultur sich nicht aus sich selbst heraus ernähren kann. Sie braucht Unterstützung, und so wird es ja auch seit Langem praktiziert.

Die Erleichterungen vonseiten des Gesetzgebers (verminderter Mehrwertsteuersatz und fixer Ladenpreis) zeigten weiland einen richtigen Begriff von der Rolle des Verlagswesens wie des Buchhandels, genügen aber heute offensichtlich nicht mehr. Preise und Auszeichnungen des Staates für Buchhandlungen deuten auch von offizieller Seite einen Wandel in der Auffassung von der Notwendigkeit des Buchhandels an, der zeigt: Er ist Teil unseres Kulturversorgungssystems und als solcher subventionsbedürftig.

Die einen bescheren uns Konzerte, Opern, Ausstellungen, die anderen Sprachkunstwerke, deren Bühne in unseren Köpfen ist. Voraussetzung ist natürlich ein entsprechendes Selbstverständnis der Verlage wie der Sortimenter: Sind sie in erster Linie ein Teil des Unterhaltungsmarkts oder tatsächlich der Kultur? Ist die Marketingabteilung die wichtigste im Haus oder die Dramaturgie?